In einer Bibliothek in Chicago ist ein verschlüsselter Text aus dem 19. Jahrhundert aufgetaucht. Wer ihn löst, erhält eine Belohnung von 1.000 US-Dollar.
Die Bibliothek der Universität Chicago besitzt eine Homer-Ausgabe aus dem Jahr 1503. Das wäre für Klausis Krypto Kolumne nicht weiter interessant, schließlich ist das Buch nicht verschlüsselt. Allerdings: Auf zwei Seiten sind handschriftliche Notizen angebracht, die bisher niemand entziffern konnte. Die Bibliothek ist mit diesem Rätsel nun an die Öffentlichkeit gegangen (danke an den Leser masso spora für den Hinweis). Dem erfolgreichen Codeknacker winken 1.000 US-Dollar Belohnung.
Hier ist die entsprechende Seite der Bibliothek: Identify mystery text, win $1000
Auf der Bibliotheksseite finden sich Scans der beiden Seiten in hoher Auflösung. Auf der ersten Seite kann man folgendes lesen:
Auf der zweiten Seite gibt es zwei relevante Stellen:
Die Experten der Bibliothek vermuten, dass die unlesbaren Zeilen in einer Kurzschrift des 19. Jahrhunderts verfasst sind. Möglicherweise ist die Sprache Französisch. All diese Informationen sind jedoch nur Vermutungen.
Eine Kurzschrift dient eigentlich nicht der Verschlüsselung, sondern soll schnelles Schreiben ermöglichen. Dennoch spielen Kurzschriften in der Kryptologie immer wieder eine Rolle. Da es früher sehr viele davon gab, ist es heute oft schwierig, einen Kurzschrifttext zu lesen. Ich zitiere aus meinem Buch Nicht zu knacken, in dem es um ungelöste Verschlüsselungen geht:
Wie bedeutend Kurzschriften einst waren, zeigt sich in ihrer langen und vielfältigen Geschichte. Seit dem 16. Jahrhundert haben unzählige Gelehrte unterschiedliche Kurzschrift-Alphabete und -Techniken entwickelt. Alte Kurzschrift-Dokumente sind häufig schwer zu lesen. Dies liegt vor allem an der großen Vielfalt unterschiedlicher Kurzschriftsysteme, die früher kursierten und die heute oft vergessen sind. Manchmal müssen Historiker deshalb Verschlüsselungsexperten um Hilfe bitten, wenn sie solche Dokumente entziffern wollen. Manche Autoren nutzten eine Kurzschrift sogar bewusst, um ihren Text vor neugierigen Mitlesern zu schützen – es gab also einen fließenden Übergang zwischen dem Stenografieren und dem Verschlüsseln.
Als erster Spezialist für die Entzifferung unbekannter Kurzschriften gilt der Kryptologe Herbert Yardley (1889-1958). Als dieser um 1920 eine Dechiffrier-Einheit für das US-Außenministerium aufbaute, legte er eine eigene Abteilung für die Dechiffrierung von Stenogrammen an. Er sah sich zu diesem Schritt gezwungen, da seine Auftraggeber meist nicht zwischen verschlüsselten und stenografierten Botschaften unterschieden – sie wollten einfach nur einen unlesbaren Text entziffert haben. Yardleys Abteilung entwickelte einen Katalog, der über 50 Kurzschriften auflistete und im Detail beschrieb. Wenn keine davon zu einem untersuchten Text passte, dann mussten Yardleys Mitarbeiter auf die üblichen kryptologischen Dechiffrier-Methoden zurückgreifen.
Zum Weiterlesen:
- Auf meiner Encrypted Book List finden sich mehrere Bücher, die in einer Kurzschrift verfasst sind. Es handelt sich dabei jeweils um Tagebücher.
- Hier ist ein Artikel aus der Fachzeitschrift Cryptologia, in dem das Lösen eines Kurzschrifttexts beschrieben wird (kostenpflichtig): Breaking an Eighteenth Century Shorthand System
- Die Anthon-Abschrift (Platz 3 auf meiner Liste der 25 größten Verschlüsselungsrätsel) ist vermutlich von einer Kurzschrift beeinflusst.
Kommentare (11)