Der Eremit Noah John Rondeau hatte unbequeme Ansichten, die er verschlüsselt zu Papier brachte. Inzwischen ist sein Code geknackt.
Wer sich für Kryptologie-Geschichte interessiert, muss öfters Geografie-Unterricht nehmen. So lernte ich beim Schreiben für Klausis Krypto Kolumne unter anderem schon, wo Nérac im Departement Lot-et-Garonne und Atalaya liegen – nachdem sich jeweils eine Verbindung dieser Orte mit einem Kryptogramm ergeben hatte.
Als ich gestern – Google sei Dank – mal wieder auf eine interessante Verschlüsselung stieß, die ich noch nicht kannte, waren die geografischen Gegebenheiten dagegen schnell geklärt. Die Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York kannte ich nämlich bereits. Dies lag allerdings nicht daran, dass dort (genauer gesagt in Lake Placid) zweimal die Olympischen Winterspiele stattgefunden hatten (1932 und 1980), sondern weil dort der mutmaßliche Frauenmörder Henry Debosnys lebte. Er hinterließ vier Kryptogramme, die bis heute nicht gelöst sind. Ich habe darüber ausführlich berichtet.
Der Einsiedler und sein Verschlüsselungscode
Seit gestern weiß ich, dass es in den Adirondack Mountains einen weiteren Mann gab, der verschlüsselte Dokumente hinterließ: Noah John Rondeau (1883-1967). Dieser lebte als Einsiedler in einer Hütte an einem kleinen Fluss namens Cold River. Er empfing gerne Besucher und zeigte sich stets freundlich. Schnell wurde er zu einer regionalen Berühmtheit. Es gibt sogar eine eigene Web-Seite über ihn (noahjohnrondeau.com).
Von der Regierung und der Verwaltung in seiner Heimatregion hielt Rondeau nicht viel. Daraus machte er auch in seinen umfangreichen schriftlichen Aufzeichnungen (diese hatten oft Tagebuch-Charakter) keinen Hehl. Damit man ihm daraus keinen Strick drehen konnte, wendete er ein selbst entwickeltes Verschlüsselungsverfahren an, das er im Laufe seines Lebens mehrfach änderte.
Zwei verschlüsselte Doppelseiten von Rondeau sind über die Web-Seite des Archivs des Staats New New York zugänglich. Dies ist die erste:
Und hier die zweite Doppelseite:
Code mit Hilfe eines Kompasses geknackt
Nach Rondeaus Tod gingen seine Aufzeichnungen an das Adirondack Museum über. Dort konnte man die Verschlüsselungen nicht lösen. Dies gelang jedoch 1992 einem gewissen David Greene nach Jahre langer Arbeit (hier gibt es Details dazu).
Wie zu erwarten, entpuppte sich die Verschlüsselung als Buchstaben-Ersetzung (ein komplizierteres Verfahren ist für ein Tagebuch kaum praktikabel), die Rondeau mit zahlreichen Tricks (z. B. falsch geschriebenen Wörtern) undurchschaubarer gemacht hatte. Rondeaus Geheimtext-Alphabet ist teilweise an einen Kompass angelehnt. Greene gelang der Durchbruch, als er feststellte, dass die Symbole für Nord, Süd, Ost und West für die Buchstaben N, S, E und W standen. Zu den Tricks, die sich Rondeau hatte einfallen lassen, zählte ein Zeichen, das festlegte, dass die Symbole in der folgenden Zeile auf dem Kopf standen.
In der Literatur zur Kryptologie-Geschichte tauchen die Aufzeichnungen von Noah John Rondeau meines Wissens nirgendwo auf. Dies ist erstaunlich, denn die Geschichte ist nicht neu und mehrfach veröffentlicht. Selbstverständlich habe ich Rondeaus Werk in meine Liste der verschlüsselten Bücher aufgenommen. Es hat dort die Nummer 00064.
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Zum Weiterlesen: Der verschlüsselte Tagebuch-Eintrag der Isdal-Frau
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