Warum ist eine Spielzeug-Schreibmaschine des Herstellers Mattel mit einer Verschlüsselungsfunktion ausgestattet? Und warum wird diese Funktion in der Gebrauchsanweisung nicht erwähnt?
Gestern habe ich den österreichischen Sammler Günter Hütter besucht. Herr Hütter besitzt eine große Zahl an technischen Antiquitäten – Uhren, Funkgeräte, Flugzeugmodelle und einiges mehr.
Fast schon nebenbei finden sich auch einige großartige Verschlüsselungsmaschinen in Günter Hütters Sammlung. Dazu zählen beispielsweise mehrere Enigmas, ein Siemens-Geheimschreiber und eine Kryha-Maschine. Die meisten dieser Geräte hat Herr Hütter erworben, als sie noch um ein Vielfaches billiger waren als heute – man muss eben den richtigen Riecher haben.
Die Barbie-Schreibmaschine mit Krypto-Modi
Am spannendsten in Günter Hütter Sammlung fand ich jedoch ein Gerät, das gar nicht als Verschlüsselungsmaschine erkennbar ist und obendrein bisher kaum mehr als ein paar Euro wert ist: eine Spielzeug-Schreibmaschine von Mattel.
Wie man auf dem Foto sieht, handelt es sich um eine Barbie-Schreibmaschine in mädchenkompatiblem Lila. Die als Größenvergleich abgebildete Getränkedose zeigt, dass das Gerät nicht zur Ausstattung einer Barbie-Puppenstube gedacht war, sondern zum Schreiben verwendet werden kann. Meines Wissens wird dieses Spielzeug schon lange nicht mehr hergestellt.
Was die Gebrauchsanweisung verschweigt: Die Barbie-Schreibmaschine unterstützt gleich vier Verschlüsselungsmodi. Diese lassen sich durch das gleichzeitige Drücken von Shift+Lock+1/2/3/4 aktivieren. Nach Aktivierung entsteht beim Tippen ein Buchstabensalat, der scheinbar keine Bedeutung hat. Mit Shift+Lock+5/6/7/8 lässt sich der jeweils zugehörige Entschlüsselungsmodus aktivieren. Tippt man anschließend den zuvor erhaltenen Buchstaben-Salat ein, erhält man den Klartext zurück.
Mehr zu diesem ungewöhnlichen Gerät findet sich auf einer Webseite des Crypto Museum, das von meinen beiden niederländischen Freunden Marc Simons und Paul Reuvers betrieben wird. Die beiden haben sogar einen Aprilscherz dazu veröffentlicht. Diesen kannte ich bereits, mir war aber bis gestern nicht klar, dass hinter dem Scherz eine wahre Begebenheit steckt.
Ein unauffälliges Verschlüsselungsgerät für Spione?
Doch warum ist eine Barbie-Schreibmaschine mit undokumentierten Verschlüsselungsfunktionen ausgestattet?
Mein erster Gedanke: Es steckt ein Geheimdienst dahinter. Zweifellos wäre eine als Spielzeug getarnte Verschlüsselungsmaschine eine interessante Idee für CIA, KGB und Konsorten gewesen. Vor allem bei einem Agenten, der Kinder hat, würde ein solches Gerät absolut unverdächtig wirken.
Doch leider musste ich meine Spionage-Hypothese schnell ad acta legen. Denn die vier unterstützten Verschlüsselungsverfahren sind reine Buchstaben-Ersetzungen – viel zu schwach für den Einsatz im Geheimdienstwesen.
Außerdem hat mich Günter Hütter auf Folgendes hingewiesen: Die Elektronik der Barbie-Schreibmaschine stammt offensichtlich vom slowenischen Herstellter Mehano, der selbst eine (funktionsgleiche) Spielzeug-Schreibmaschine im Programm hatte. Bei dieser wurde die Verschlüsselungsfunktion in der Gebrauchsanweisung durchaus erwähnt.
Die Frage lautet daher: Warum erwähnte Mattel die Verschlüsselungsfunktionen nicht in der Gebrauchsanweisung?
Vielleicht dachte man, dass dieses Feature auf nicht allzu großes Interesse stoßen würde. Oder man hatte die damals ziemlich strengen Exportbestimmungen in den USA im Auge. Zu Erinnerung: Bis ins Jahr 2000 war der Export von Kryptografie aus den USA verboten. Ausnahmegenehmigungen wurden nur für Verfahren erteilt, die für die NSA knackbar waren. Für eine Kinder-Schreibmaschine gab es sicherlich keine Ausnahme-Genehmigung. Mit einem solchen Gerät im Gepäck aus den USA auszureisen, war damit bereits ein Gesetzesverstoß.
Wie dem auch sei, die Barbie-Schreibmaschine ist in jedem Fall ein Kuriosum unter den Verschlüsselungsgeräten. Und optisch macht sie mindestens so viel her wie eine Enigma.
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