Die britische Geheimdienst-Einheit MI9 war im Zweiten Weltkrieg für die Unterstützung Kriegsgefangener zuständig. Sie entwickelte dazu interessante Verschlüsselungstechniken – bis hin zum Verstecken geheimer Botschaften in Gesellschaftspielen.
Der Brite John Pryor (1919-2011) nahm als Marineoffizier am Zweiten Weltkrieg teil. 1940 geriet er in Dünkirchen in deutsche Gefangenschaft und musste die nächsten fünf Jahre in einem Gefangenenlager nahe Bremen verbringen. Immerhin erhielt er die Möglichkeit, Briefe an seine Eltern in Cornwall zu schreiben. Dabei gelang es ihm, in einige seiner Schreiben versteckte Mitteilungen einzuschmuggeln. Pryor verwendete dazu einen recht komplizierten steganografischen Code.
In Deutschland wenig bekannt: MI9
Über Pryor und seine Briefe habe ich bereits vor gut zwei Jahren auf Klausis Krypto Kolumne berichtet. Was ich damals nur am Rande erwähnte: Der Code, den Pryor verwendete, wurde von einer wenig bekannten aber äußerst interessanten britischen Geheimdienst-Einheit namens MI9 entwickelt.
Zu MI9 habe ich erstaunlicherweise keine einzige deutschsprachige Quelle gefunden (auf Englisch gibt es mehr, zum Beispiel einen Wikipedia-Eintrag). Dabei war diese Einheit für die deutsche Geschichte durchaus von Bedeutung. Die Aufgabe von MI9 war es, im Zweiten Weltkrieg britische Kriegsgefangene mit geheimdienstlichen Mitteln zu unterstützen und ihnen nach Möglichkeit die Flucht zu ermöglichen. In 35.000 Fällen soll Letzteres gelungen sein.
Deuschland war das wichtigste Zielgebiet des Mi9, denn hier wurden zahlreiche britische Soldaten gefangen gehalten. Erstaunlicherweise wurden diese vergleichsweise gut behandelt, sofern es die äußeren Umstände erlaubten. Ihre Lage war in jedem Fall deutlich besser als die der Insaßen von Konzentrationslagern. Den Genfer Konventionen folgend durften die “Prisoners of War” (PoW) Briefe mit Ihren Angehörigen austauschen und außerdem Pakete empfangen. Um die Zustellung kümmerte sich das Rote Kreuz.
Das Mi9 sorgte dafür, dass ausgewählte Soldaten in der Nutzung eines steganografischen Codes ausgebildet wurden – für den Fall einer Gefangennahme. John Pryor war einer davon. Dieser geriet tatsächlich in Gefangenschaft und schaffte es, in seinen Briefen versteckte Botschaften zu übermitteln. So konnte er seine Heimat über Verluste, Fluchtvorhaben, persönliches Befinden und mehr informieren.
Das MI9 entwickelte zahlreiche Methoden, um Gegenstände in Paketen zu verstecken, die an die Kriegsgefangenen gesendet wurden. So schickte man beispielsweise zwei Feilen, eine Landkarte und einen Kompass in einem Monopoly-Spiel versteckt an einen internierten britischen Soldaten (hier gibt es ein Foto davon). Eine weitere Methode bestand darin, Landkarten in Spielkarten zu verstecken – nach Abziehen einer Deckschicht kamen die Landkarten zum Vorschein.
Um das Rote Kreuz nicht in Verruf zu bringen, gründete das MI9 eine eigene Hilfsorganisation, die Pakete an Kriegsgefangene auslieferte.
Ein seltenes Handbuch
Der wohl wichtigste kreative Kopf des MI9 war Christopher Hutton. Dieser verfasste ein Handbuch namens Per Ardua Libertas, in dem die wichtigsten Tricks des MI9 beschrieben wurden. Google sei Dank habe ich einige Seitenscans dieses Buchs im Internet gefunden. Das von Pryor verwendete steganografische Verfahren wird auf den letzten Seiten beschrieben.
Die folgende Seite aus Per Ardua Libertas zeigt, wie Landkarten und andere Fluchthilfen in einer Körperpflege-Tasche versteckt wurden.
Die nächste Seite zeigt, wie Landkarten in Spielkarten versteckt wurden, und ein paar andere Methoden. Leider ist mir nicht klar, was passiert, wenn man (wie beschrieben) die Taschentücher wäscht, vielleicht weiß ein Leser mehr.
Kurios: Ein Kompass, der sich im Gebiss verstecken lässt. Der Zweck der Sandalen ist mir leider nicht bekannt.
Eine Fotokamera im Feuerzeug versteckt:
Landkarten auf Stoff (silk maps) ließen sich als Taschentuch tarnen oder in Kleidungsstücke einnähen (außerdem raschelten sie nicht):
Funkgeräte in der Zigarrenschachtel – James Bond wäre sicherlich neidisch geworden:
Leider sind dies alle Seiten von Per Ardua Libertas, die mir zur Verfügung stehen. Insgesamt hat das Buch 76 Seiten. Mich würde natürlich auch der Rest brennend interessieren, doch Per Ardua Libertas gibt es weder online noch im Handel. Falls mir ein Leser einen Tipp geben kann, wo man ein vollständiges Exemplar bekommt, würde mich das sehr interessieren.
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Zum Weiterlesen: Rilke-Kryptogramm: Ein ungelöstes Rätsel aus dem Zweiten Weltkrieg
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