Für die Zeitschrift iX habe ich eine Ärztin interviewt. Sie hat mir verraten, wie bei ihrem Arbeitgeber, einem Krankenhaus, Krypto-Technik verwendet wird. Leider sieht die Praxis etwas anders aus, als man es sich als Krypto-Fachmann vorstellt.
Das größte Problem in der Kryptografie ist, dass sie zu selten und falsch eingesetzt wird.
Über diese Erfahrung habe ich schon öfters gebloggt. Sie ist um so frustrierender, als es heutzutage extrem gute Verschlüsselungsverfahren gibt. Auch an Produkten, die diese Methoden umsetzen, herrscht kein Mangel. Doch was nutzt das, wenn diese kaum jemand nutzt?
Vertrauliche Patientendaten
Die Hoffnung, dass irgendwann die Mehrheit aller E-Mail-Nutzer Verschlüsselung einsetzt, um so den staatlichen Lauschern ein Schnippchen zu schlagen, habe ich inzwischen aufgegeben. Der Ärger, den man sich mit digitalen Zertifikaten, inkompatiblen Formaten (PGP und S/MIME), seltsamen Fehlermeldungen und dergleichen einhandelt, ist eben allgegenwärtig. Von den Auswertungsprogrammen von NSA & Co. bekommt man dagegen meist ein Leben lang nichts mit.
Doch wie sieht es aus, wenn es nicht um die eher belanglosen Daten eines Normalnutzers, sondern um Informationen aus dem Gesundheitswesen geht? Sollten nicht wenigstens Ärzte und Pflegepersonal die Daten ihrer Patienten vernünftig schützen?
Ich kenne eine Ärztin, die mir schon öfters von ihrem Klinikalltag erzählt hat. Was sie berichtet, klingt zunächst vorbildlich: In ihrem Krankenhaus hat man Passwörter längst abgeschafft und durch Smartcards ersetzt – das ist sicherer. Diese Smartcards stellen sicher, dass ein Hacker nicht durch ein erratenes oder gestohlenes Passwort auf Patientendaten zugreifen kann.
Dadurch dass sich jeder Arzt und jede Pflegekraft mit einer eigenen, fälschungssicheren Karte einloggt, lässt sich jede Aktion einer bestimmten Person zuordnen. Das ist vor allem rechtlich von Bedeutung: Im Falle eines Kunstfehlers lässt sich zuverlässig ermitteln, wer das falsche Medikament oder die falsche Diagnose eingetragen hat.
Diese Vorteile sollten die Mehrkosten, die Smartcards verursachen, mehr als aufwiegen.
Interview mit einer Ärztin
Soweit die Theorie. Wie die Praxis aussieht, hat mir die besagte Ärztin (Frau Dr. A.) in einem Interview verraten, das gestern in der Computer-Zeitschrift iX erschienen ist. Leider kann ich aus urheberrechtlichen Gründen hier nur einen Ausschnitt vorstellen:
iX: Wenn Sie morgens auf die Intensivstation kommen und dort den PC nutzen wollen, wie loggen Sie sich ein?
Dr. A.: Ich muss mich in der Regel nicht einloggen, da meist noch die Karte von meinem Vorgänger steckt. Es läuft dann das Programm ORBIS, das ein eigenes Passwort erfordert. Auch dieses Passwort hat meist schon mein Vorgänger eingegeben, ich kann also sofort loslegen.
iX: Und wenn ihr Vorgänger Dienstende hat?
Dr. A.: Meistens lässt er die Karte stecken und geht ohne sie nach Hause. Dann können alle Kollegen den ganzen Tag damit arbeiten. Falls nicht, logge ich mich mit meiner eigenen Karte ein. Außerdem legen viele Kollegen ihre Karten in ein Kästchen neben dem PC. Wenn ich meine eigene Karte nicht zur Hand habe, nehme ich eine von dort. Die PIN ist meistens draufgeschrieben.
iX: Ihnen ist sicherlich klar, dass ein solcher Umgang mit Smartcards gegen alle Regeln der IT-Sicherheit und sicherlich auch gegen die hausinternen Vorschriften verstößt …
Dr. A.: Ja, natürlich. Es lässt sich aber nicht ändern. Das Einloggen am PC dauert etwa dreieinhalb Minuten. Wenn ich das 30 Mal am Tag mache und außerdem alle anderen Sicherheitsvorschriften beachte, komme ich nicht mehr zum Arbeiten.
Das vollständige Interview mit Frau Dr. A. und einen ausführlichen Artikel von mir zum Thema “Warum wird Verschlüsselung so selten und oft falsch genutzt?” gibt es in der aktuellen Ausgabe der iX (8/2016). Ein weiteres Interview, das mit dem Artikel erschienen ist, habe ich mit der Londoner Professorin Angela Sasse geführt. Sie ist Spezialistin für User-centered IT-Security.
Keine Frage, Smartcard-Sharing, Karten mit aufgeschriebener PIN und dergleichen sind nicht das, was man sich beim Umgang mit Smartcards wünschen würde. Aber so sieht nun einmal die Realität aus.
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