Quelle/Source: Lohmeyer

1914 verschickte ein deutscher Soldat eine verschlüsselte Brieftauben-Nachricht von Lötzen nach Königsberg. Die Buchstaben-Häufigkeiten sprechen für eine Transpositions-Chiffre. Kann ein Leser diese Nachricht knacken?

English version (translated with DeepL)

Im Jahre 2012 ging eine verschlüsselte Brieftauben-Nachricht aus dem Zweiten Weltkrieg durch die Presse. Ein Hausbesitzer in Surrey hatte diese Botschaft – zusammen mit einem Taubenskelett – bei Renovierungsarbeiten in seinem Kamin gefunden. Dieses Kryptogramm ist bis heute nicht gelöst und gehört inzwischen zu den bekanntesten ungelösten Krypto-Rätseln überhaupt. Ich habe schon mehrfach über diese Geschichte gebloggt und bin auch in meinen Vorträgen schon öfters darauf eingegangen.

Quelle/Source: Wikimedia Commons

Meines Wissens war diese Botschaft bisher die einzige bekannte verschlüsselte Brieftauben-Nachricht überhaupt.

 

Eine weitere Brieftauben-Nachricht

Dank Blog-Leser Matthias Lohmeyer kann ich heute eine zweite verschlüsselte Brieftauben-Nachricht präsentieren. Hier ist sie:

Quelle/Source: Lohmeyer

Matthias schreibt dazu: “Ich habe im Nachlass meines Urgroßvaters eine kleine Kapsel gefunden, mit der Nachrichten per Brieftaube verschickt wurden. Darin befand sich noch die Originalmeldung vom 30. Juli 1914, dem Tag an dem Russland offiziell mobilmachte, und einen Tag vor der deutschen Kriegserklärung.”

Die Nachricht wurde vom Kommandeur der Festung Boyen bei Lötzen (Giżycko) in Ostpreußen an das Gouvernement in Königsberg verschickt. Dies ist eine Strecke von gut 100 Kilometern.

Matthias hat folgende Transkription erstellt:

Quelle/Source: Lohmeyer

Hier ist der transkribierte Geheimtext:

oeeme iicru drztf bsate
eimno sebte feasg nsair 
esria gethg ssnsn astbe
tbnue vetnz updru gheuu
lishg iefej nesci rgtgs
inets fnese gindz rcsrn
r

Eine Transpositions-Chiffre

Die Nachricht besteht also aus Fünfergruppen. Die Bedeutung der Zahlen auf der rechten Seite ist mir nicht bekannt.

Leider ist nicht klar, welches Verschlüsselungsverfahren verwendet wurde. Es ist allerdings bekannt, dass am Anfang des Ersten Weltkriegs eher schlechte Methoden zum Einsatz kamen, und dass sich die Qualität der Kryptografie im Verlauf des Kriegs erhöhte. Verschlüsselungsmaschinen spielten im Ersten Weltkrieg nur eine sehr geringe Rolle, am Anfang noch gar keine. Hier ist eine mit Multi-Dec von Christian Baumann erstellte Häufigkeitsanalyse:

Quelle/Source: Baumann

Die Buchstaben-Häufigkeiten sprechen für eine Transpositions-Chiffre. Findet ein Leser mehr heraus? Matthias Lohmeyer und ich würden uns freuen.


Further readingUngelöste Verschlüsselungen aus dem Zweiten Weltkrieg (3)

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Kommentare (21)

  1. #1 Max Bärtl
    24. August 2022

    Ich vermute das „ÜBCHI“ verwendet wurde, also etweder eine einfache Spaltentransposition oder einen doppelte bei welcher der gleiche Schlüssel noch einmal verwendet wurde.

    http://informatik.rostfrank.de/info/lex09/pics/uebchi/uebchi02.gif

  2. #2 Max Bärtl
    24. August 2022

    Schlüssel: DJIKBGCLHAEF

    TEXT: Feind bei Possessern in der Nacht zum dreissigsten zum Angriff vorgegangen beschiesst Feste seit Tagesanbruch bis jetzt nur geringe (V)erluste

  3. #3 Max Bärtl
    24. August 2022

    Wie vermutet wurde der „Übchi“ verwendet, jedoch nur in einfacher statt doppelter Ausführung.

    Zur Stadt Possessern: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pozezdrze

  4. #4 Thomas
    24. August 2022

    @Max Bärtl

    Gratulation!
    Ein Sahnehäubchen wäre noch der leicht zu merkende Schlüssel. Das von dir gefundene Muster (3,9,8,10,1,6,2,11,7,0,4,5) konnte ich in einer Wortliste nicht wiederfinden. Vermutlich ist eine Phrase benutzt worden, wie z.B. “KAMPFUNDSIEG” in der Schlüsselanleitung.

  5. #5 Klaus Schmeh
    24. August 2022

    @Max Bärtl:
    Vielen Dank und Gratulation! Das ging mal wieder sehr schnell.

  6. #6 Gerd
    24. August 2022

    Die Zahlen auf der rechten Seite müssten die Nummern der fünf Brieftauben sein.

  7. #7 Matt. Lohmeyer
    Sydney
    26. August 2022

    @Max Bärtl:
    Vielen Dank für die schnelle Arbeit. Der Text ist sehr interessant und bereiten mit etwas Kopfzerbrechen, denn das Datum auf der Depesche ist eindeutig der 30.7.14 – auch genannt im Text. Den Geschichtsbüchern nach wurde der Plan Deutschland anzugreifen erst am 14. August vom russischen Generalstab abgesegnet und die Operationen der 1. Armee am 17. August mit Überschreitung der deutschen Grenze eingeleitet. Dass über 2 Wochen vor der Invasion schon aktive Artillerieduelle stattfanden ist mir neu. Hochinteressant. Vielen Dank. Matthias

  8. #8 Max Bärtl
    26. August 2022

    @Matt. Lohmeyer
    Die Depesche und ihr Klartext sind aufgrund des Datums zweifellos historisch sehr interessant. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert die Depesche einem Museum oder einer Ausstellung über den ersten Weltkrieg zur Verfügung zu stellen.

  9. #9 Matt. Lohmeyer
    26. August 2022

    @Max Bärtl
    Ich hatte schon vorher das Militärhistorische Museum angeschrieben um anzufragen ob diese Nachricht für das Museum vielleicht von Interesse ist. Könnte mir vorstellen das nicht viele Taubendepeschen überlebt haben da das Papier hauchdünn ist und sicher viele davon schon aus Sicherheitsgründen nach ihrer Entschlüsselung vernichtet wurden. Jetzt wo der Text bekannt ist wird die Sache noch interessanter… Nochmal vielen Dank!

  10. #10 Rossignol
    Paris, France
    26. August 2022

    With a small corpus of German texts, I found the literal two-word key FRISCHES HAFF for (3,9,8,10,1,6,2,11,7,0,4,5)
    Does it make sense ?

  11. #11 Thomas
    26. August 2022

    @Rossignol

    Yes, the key phrase you’ve found makes perfectly sense, because this is a part of the Baltic sea near Königsberg (Kaliningrad). I did only use a corpus containing single words from Wikipedia, may I ask which one you’ve used?

  12. #12 Thomas
    26. August 2022

    @Matt. Lohmeyer

    In einem Feldpostbrief vom 7.8.1914 ist bereits von Kriegshandlungen in Ostpreußen in den vorangegangenen Tagen und davon die Rede, dass die Feste Boyen verraten sein soll. Also scheinen die Russen schon Ende Juli/Anfang August dort operiert zu haben, bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit der Generalmobilmachung:

    https://opaskrieg.de/en/timeline/

    (Spätere) Brieftaubendepeschen mit der Feste Boyen hat übrigens das Bundesarchiv.

  13. #13 Thomas
    26. August 2022

    Jedenfalls wurde von Gefechten mit russischen Einheiten in Ostpreußen bereits am 2. August 1914 berichtet: https://dfg-viewer.de/show/?set%5Bmets%5D=https://content.staatsbibliothek-berlin.de/zefys/SNP2812988X-19140803-0-0-0-0.xml

  14. #14 Max Bärtl
    26. August 2022

    @Thomas

    Die Feste Boysen spielte eine große Rolle beim stoppen des Russischen Angriffs auf Ostpreußen, damals rückten zwei russische Armeen gegen eine unterlegene deutsche Armee in Ostpreußen vor. Diesen Armeen stellte sich die masurische Seenplatte als Hindernis in den Weg. Der Seenpass von Lötzen hätte eine Gelegenheit zum Passieren dieses Hindernisses geboten, war aber durch die Festungen Boyen versperrt. Die russischen Angriffsarmeen teilten sich daher, um im Norden und im Westen an den Seen vorbei nach Ostpreußen hinein vorzurücken. Damit boten sie der unterlegenen deutschen Armee die Gelegenheit, sie einzeln zu schlagen. In dieser Zeit belagerten russische Truppen unter General Kondratiev die Festung. Der Befehlshaber der Festung, Oberst Busse, wies jedoch die Forderung nach Kapitulation und Übergabe mit den Worten: „Die Feste Boyen wird nur als Trümmerhaufen übergeben“ zurück. Nach der Schlacht von Tannenberg, in der die russischen Truppen eine Niederlage erlitten hatten, musste Kondratiev sich mit seinen Soldaten zurück ziehen.

  15. #15 Rossignol
    Paris, France
    26. August 2022

    @Thomas

    I am using a small corpus of 1051 German books from The Project Gutenberg.
    For each text, after removing punctuation marks and diacritics, I formed the list of words. I then test the pairs of consecutive words from this list.
    The key phrase is taken from

    Etymologisches Wörterbuch der deutschen Seemannssprache, by Gustav Goedel

    *Haff*, das.

    Kurisches Haff, Frisches Haff, Pommersches Haff, die drei großen Strandseen an der Küste der Ostsee.

    https://www.gutenberg.org/cache/epub/39762/pg39762.txt

  16. #16 Klaus Schmeh
    26. August 2022

    @Rossignol:
    Thanks! The mystery of the key is now solved, too.

  17. #17 Kerberos
    26. August 2022

    Interessanter- (und konsequenter-) weise
    hat man das deutsche e durch eine Art
    Epsilon ersetzt.
    Auch in der Schreibschrift-Adresse und
    Unterschrift, soweit deutlich genug.
    Ob das auch Praxis für den Landser war,
    wenn er eine Meldung als Posten schrieb?

  18. #18 Gerd
    26. August 2022

    Das mit dem anders geschriebenen “e” ist noch lange später als “Funkerschrift” üblich gewesen. D, R, Q, E, U, Z wurden anders geschrieben, damit beim schnellen Mitschreiben von Hand keine Verwechslungen auftreten, zB.e mit l, oder d mit a, oder q mit g. Hat man offenbar schon damals beim Militär so gelernt.

  19. #19 Matt. Lohmeyer
    28. August 2022

    @Thomas – das die Russen schon früh in Ostpreussen operiert haben ist interessant. Danke für die Fingerzeige. Interessant ist das Kavalleriescharmützel und kleine Inkursionen natürlich etwas anderes sind als Artillerie >45km über die Grenze vorzubringen und damit von Possessern aus die Festung Boyen beschiessen… Eine solche massive Inkursion noch vor der Kriegserklärung müßte doch eigentlich gut dokumentiert sein. Seltsam… Mehr Forschung nötig…

  20. #20 Matt. Lohmeyer
    28. August 2022

    @Thomas
    Danke auch für den Verweis auf die Taubendepeschen im Bundesarchiv. Es sind insgesamt neun davon erhalten. Interessanterweise sind zwei davon ebenfalls verschlüsselt. Habe Klaus davon schon eine Kopie geschickt. Die Verschlüsselung scheint etwas professioneller zu sein da alle mit einem anderen Schlüssel verschlüsselt wurden. Vielleicht ist’s ja den Codeknackern in der Leserschaft von Interesse.

  21. #21 Klaus Schmeh
    28. August 2022

    >Habe Klaus davon schon eine Kopie geschickt.
    Darüber werde ich auf jeden Fall in den nächsten Tagen bloggen.