„Wie schnell ist eine Schnecke?“
Diese Frage stellte mir meine Fossilien-Freundin Ingeborg vor ein paar Wochen.
Sie war wiederum von dem kleinen Gianluca gefragt werden, einem naturbegeisterten Grundschüler, den sie mit ihrer Fossiliensammlung beeindruckt hatte.
Eine typische Kinderfrage – solche grundsätzlichen Fragen bringen jeden Wissenschaftler innerhalb weniger Sekunden ins Schwitzen.
Das ist nämlich gar nicht so einfach zu beantworten und hat mich richtig viel Recherche gekostet.
Die Geschwindigkeit von Schnecken ist sehr unterschiedlich, weil sie in verschiedenen Milieus verschiedene Fortbewegungsarten haben.
Landschnecken kriechen auf ihrer Sohle auf festem Untergrund, dabei sondern sie einen Schleimfilm aus Polysacchariden ab. Auf diesem Schleimbett vollführt die Schnecke mit ihrem lang gestreckten Fuß eine wellenförmige Bewegung von hinten nach vorn. Der Schleim sorgt für eine feste Saug-Bindung an den Untergrund und verringert die Reibung. Mit dem Gleiten auf der eigenen Schleimspur erreichen sie keine sehr hohen Geschwindigkeiten.
Die meisten Süßwasser- und Meeresschnecken kriechen ebenfalls auf dem Boden, aber unter Wasser. Dabei können sie aufgrund ihrer guten Bodenhaftung auch Wasserpflanzen oder andere Untergründe erklimmen.
Andere können sogar frei schwimmen.
Manche werden vom Winde verweht.
Schneckenrennen: „Ready, steady, Escargot“
Die in unseren Gärten vorkommende Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa) kann 3 Meter pro Stunde, also 0,003 km/h, schnell kriechen.
Das ist nicht sehr schnell. Da die Weinbergschnecke aber nur Pflanzen frisst und durch eine dicke Schale geschützt ist, reicht es ihr offenbar aus.
Eine andere Weinbergschnecke ist mit 7 cm /min gestoppt worden.
Weinbergschnecken werden oft bei Schneckenrennen eingesetzt. Die bekannteste Meisterschaft der rückgratlosen Athleten ist die Guinness Gastropod Championship, die regelmäßig im Londoner Pub „O’Conor Don“ stattfindet. Der Champion Archie legte mit seinem Sprint-Weltrekord von 13 Inch in 20 Sekunden die Messlatte ziemlich hoch.
Am Strand lassen sich die Spuren von Schnecken sehr gut beobachten, denn viele von ihnen sind Weidegänger und raspeln Algen vom Untergrund. Dabei fressen sie eine regelrechte Schneise in den Algenrasen, die sich deutlich vom Untergrund abhebt. Da Schnecken selten geradeaus, sondern eher in Schnörkeln kriechen, ist die exakte Vermessung der Strecke kompliziert. Eigentlich müsste man die mäandrierende Laufstrecke nachmessen und dann die Zeit gegenrechnen. Eine komplexe Problemstellung – vielleicht ein kleines Projekt für den nächsten Strandurlaub?
Falls man die Leistung einer individuellen Schnecke inmitten eines ganzen Pulks der Weichtiere verfolgen und messen möchte, sollte man sie markieren. Nagellack ist dafür ausgezeichnet geeignet.
Weichtiere im Meer: Raubschnecke und Meerestänzerin
Unter den Meeresschnecken gibt es nicht nur friedliche Weidegänger, sondern auch Raub- und Jagdschnecken. Die müssen zwangsläufig schneller sein, als ihre Beute – sonst würden sie ja nie etwas erbeuten.
Wellhornschnecken (Buccinum undatum), die an der Nordseeküste leben, werden nach Aussage des Schneckenexperten Gerhard Haszprunar von der Ludwig-Maximilians-Universität in München bis zu 16 cm/min schnell.
Veronique Lapointell und Bernard Sainte-Marie hatten Köder ausgelegt, um die Beutezüge der Wellhornschnecke zu erforschen – sie haben Geschwindigkeiten zwischen 7,3 und 15,1 cm/min gemessen.
Diese schnelle Meeresschnecke soll dabei einen ihrer Schalendornen ins Sediment stecken und sich daran schnell über den Meeresboden ziehen – das habe ich leider selbst noch nie beobachtet, aber mein Paläontologie-Professor Klaus Bandel der Universität Hamburg hat es uns sehr anschaulich geschildert.
Die Schneckenopfer von Raubschnecken sind übrigens an den kreisrunden Löchern in der Schale leicht zu erkennen.
Dieses Video zeigt den Überfall einer Wellhornschnecke auf eine Muschel. Dieses zweischalige Weichtier war allerdings eine schlechte Wahl: es war die Feilenmuschel Limaria, die mit klappenden Schalen einfach weggeschwommen ist.
Eine frei schwimmende Meeresschnecke wie die Sternschnecke oder die spanische Tänzerin sind schneller als auf dem Boden kriechende Schnecken.
Dazu habe ich leider keine Geschwindigkeitsangabe gefunden.
Das Video zeigt die Fortbewegung der roten Meeresschnecke ohne Außenschale: Sie bewegt ihren abgeplatteten Fuß wie eine Flamencotänzerin ihren Rocksaum – abwechselnd biegt sie die vordere und hintere Saumkante und die rechte und linke auf und ab. Das sieht zwar sehr dynamisch und ästhetisch aus, sie dürfte damit allerdings keine sehr hohe Geschwindigkeit im Vortrieb erreichen. Hexabranchus sanguineus – der Name deutet auf ihre blutrote Farbe hin – ist ein kapitales Weichtier, sie wird so groß wie eine Männerhand.
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