A vampire squidEs gibt Neuigkeiten über den Tiefseevampir-Tintenfisch!
Die News kommen nicht etwa aus der Tiefe des Ozeans, sondern aus den Kellern des Santa Barbara Museums of Natural History. Das Museum liegt in LA, Kalifornien, und hat eine exquisite Sammlung von Tiefseebewohnern. Darunter auch zahlreiche Exemplare von Vampyroteuthis infernalis, die in ihren mit Alkohol gefüllten Sammlungsgläsern auf neugierige Wissenschaftler warten. Henk-Jan Hoving, ein Meeresbiologe des Helmholtz Centre for Ocean Research in Kiel, ist bei einem Forschungsaufenthalt im Santa Barbara Museum of Natural History den Geheimnissen des Vampir-Liebeslebens auf den Grund gegangen.

Entgegen seinem infernalischen Namen Vampyroteuthis infernalis – Vampirtintenfisch aus der Hölle – ist dieser Tiefsee-Bewohner ein sehr friedlicher Zeitgenosse. Er ist als einziger Tintenfisch kein Jäger, sondern nascht Meeresschnee, der aus Detritus besteht.
Die gefährlich aussehenden Haken auf den Armen nutzt er nur, um den Schnee zur Mundöffnung zu transportieren. Meistens schwebt das Tier recht entschleunigt durch die Tiefsee. Wenn er es aber eilig hat, stülpt er den Mantel über den Kopf und schaltet den Jetantrieb ein.

Das geheime Liebesleben der Tiefseevampire

Der Tintenfisch-Experte Henk-Jan Hoving hat 47 große Vampir-Weibchen seziert.
Sein Ziel: Das geheime Liebesleben der Tiefsee-Vampire zu erforschen.
Das Ergebnis war überraschend: Vampyroteuthis hat einen vollständig anderen Reproduktionszyklus als seine vielarmigen Verwandten.
Die meisten Tintenfische erleben in ihrem Leben nur eine, dafür aber auch spektakuläre Paarung. Kurz danach sterben sie, meistens werden sie nicht älter als sechs bis achtzehn Monate.
Der Tiefsee-Vampir hingegen paart sich mehrmals im Leben! Und lebt deutlich länger. “I don’t think this slow pace of life allows one big reproductive spawning event,” meint Hoving dazu. “Multiple spawning events may better suit this squid’s low-energy lifestyle.” In der Tiefsee läuft das Leben etwas ruhiger ab, wegen des unregelmäßigen Nahrungsangebots leben viele Tiefseebewohner zwischen Fastenzeiten und Fressorgien.

Die Sektion der 47  geschlechtsreifen Weibchen brachte zu Tage, dass die Vampire sich mehrfach paaren. Wie bei Menschen auch, reifen Tintenfisch-Eizellen im Eierstock heran und sind von einer Schicht Zellen umgeben, den Follikeln.
Die Eizelle wird bei der Ovulation freigesetzt, die Follikel bleiben im Eierstock erhalten. Zum Glück für die Forscher resorbieren die Ovarien diese Follikel sehr langsam. So konnten die Forscher die Anzahl der produzierten Eier rekonstruieren.
Dabei ergab sich, dass diese Tintenfische eine Reproduktionspause einlegen. In dieser Zeit wachsen und reifen keine Eier heran. Außerdem scheint es, als ob herangereifte, aber nicht „verbrauchte“ Eier wieder im Körper absorbiert werden können. Hoving interpretiert diese Pause als Mittel zum Energiesparen in “schlechten Zeiten”. Die Weibchen können sich dann erholen und Energie speichern für den nächsten Reproduktionszyklus.

Auch die Anzahl der Reproduktionszyklen überraschte die Tintenfisch-Forscher:
Dieser Zyklus kann wohl mehr als 20-mal wiederholt werden.
Es gibt sogar einige Hinweise auf noch mehr Zyklen: Das größte Vampir-Weibchen der Museumssammlung hatte schätzungsweise 38-mal abgelaicht. Und dann sie hatte noch genügend reproduktive Zellen für weitere 65 Zyklen!
“If we assume 38–100 spawning events, the duration of the adult stage is at least 3–8 years in this specimen, with the total life span exceeding these numbers” schreiben die Autoren. Das sind Hinweise auf eine Langlebigkeit, die unter Tintenfischen einzigartig ist! Die meisten ihrer vielarmigen Kollegen werden nur zwischen 6 und 18 Monate alt.

Natürlich gibt es da noch viele unbeantwortete Fragen:
Wie lange dauert ein Reproduktionszyklus und eine Reproduktionspause?
Wie lange dauert es, bis ein Follikel vollständig resorbiert ist?
In welcher Zeit wächst aus dem Ei ein kleiner Vampir heran?
“It would be nice to keep animals in the lab alive for as long as possible to try to figure out how fast they grow,” wünscht sich Hoving.
Bis jetzt hat leider noch kein Tier längere Zeit im Aquarium überlebt.
Die Studie gibt auch keinen Hinweis darauf, wo oder wann die Fortpflanzung der Tiefseevampire stattfindet. Da müssen die Tintenfischologen abwarten, bis Vampyroteuthis ihnen weitere Informationen gibt und mehr Licht ins Dunkel seines geheimen Lebens in der dunklen Tiefe bringt.

Eine persönliche Anmerkung

Vampyroteuthis infernalis mit dem roten Mäntelchen und den großen blauen Augen ist ein Überlebender aus dem Dunkel der Zeit, der Fossilbefund geht bis in die obere Trias zurück (Rhätium: 208,5–201,3 Mio Jahre).
Der Vampir-Tintenfisch hat acht Arme wie ein Krake, zusätzlich trägt er noch zwei lange, fadenartige Arme mit vielen Sinneszellen. Dieses gelblich gefärbten „Sinnesarme“ können in Hautfalten zurückgezogen werden. Mit seiner Armausrüstung passt der Vampir weder exakt zu den Kraken noch zu den Kalmaren, darum hat er seine eigene Ordnung bekommen: die Vampyromorpha. Er ist 1930 von dem deutschen Zoologen Carl Chun beschrieben worden und bekam seinen Namen, weil die Haut zwischen den Fangarmen für Chun wie der Umhang eines Vampirs aussah.

Quellen

Henk-Jan T. Hovin, Vladimir V. Laptikhovsky, Bruce H. Robison: “Vampire squid reproductive strategy is unique among coleoid cephalopods”. (Current Biology, Volume 25, Issue 8, pp R322–R323, 20 April 2015)
DOI: https://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.02.018

Monterey Bay-Aquarium: Midwater Ecology Expedition

meertext: Der Flug des Vampir – jetzt life im Monterey-Bay-Aquarium

meertext: Cephalopod-Friday: Der Tiefseevampir – ein Relikt aus der Vergangenheit

https://news.sciencemag.org/biology/2015/04/unusual-sex-life-vampire-squid?utm_source=facebook&utm_medium=social&utm_campaign=facebook

 

Kommentare (9)

  1. #1 meregalli
    24. April 2015
  2. #2 Phil
    24. April 2015

    Warum sterben die Vampir-Tintenfische den im Labor?

  3. #3 Bettina Wurche
    24. April 2015

    @ meregalli: Danke, das Video ist großartig. Man sieht sehr gut, wie er mit den Kopfflossen paddelt. Die weißen Schwebepartikel sind übrigens der Meerschnee.

  4. #4 Bettina Wurche
    24. April 2015

    @ Phil: Ich hab emit noch keinem Aquarienexperten oder Tierarzt darüber gesprochen und habe auch keine pathologische Analyse zu verstorbenen Vampyrotheutus-Exemplaren gelesen.
    Es ist generell ein Problem, Tiere aus Tiefsee-Ökosystemen am Leben zu halten. Sie kommen oft schon verletzt dort an, schließlich werden sie gewaltsam aus ihrem Lebensraum gerissen und in ein völlig anderes Milieu gesetzt. Und dann muss man im Aquarium die richtige Wasserqualität, Helligkeit/Dunkelheit und auch noch die richtige Nahrung treffen. Das ist ziemlich schwierig, vor allem bei Tieren, mit denen es kaum Erfahrungswerte gibt. Und freischwimmende Tintenfische sind sehr sensible Tiere.

    In Stralsund hat man im Ozeaneum gerade nach fast zweijähiger Mühe Tiefwasserkorallen-Riffe eröffnet. Die Tiere waren während des sehr langsamen Aufstiegs an den anderen Druck gewöhnt worden, dann hatte man sie mit einem recht komplizierten Verfahren gefüttert, und sie sehen jetzt richtig gut aus. Tintenfische sind noch viiieel komplizierter.

  5. #5 inge schuster
    24. April 2015

    treffen die Weibchen vielleicht so selten auf einen Partner, dass nur Typen sich fortpflanzen konnten/selektiert wurden, die mehrmals die Chance einer Befruchtung hatten?

  6. #6 Bettina Wurche
    25. April 2015

    @ Inge Schuster: Liebe Frau Schuster, darüber ist absolut nichts bekannt. Die Tiefseeforscher sind ja immer schon glücklich, wenn sie EINEM Vampir sehen, mehrere sind noch nie beobachtet worden. Vom ebenfalls in der Tiefsee lebenden Riesenkalmar Architeuthis ist mittlerweile bekannt, dass Männchen ihre angespitzten Spermatophoren in jedes Weibchen geschossen (“implantiert”), das ihnen über den Weg schwimmt. (Ein starker Gegensatz zu Kraken, wo das Männchen die Spermatophore zärtlich in die Mantelhöhle seiner Auserwählten reicht). Bisher ist völlig ungeklärt, wie die Spermien aus den ventral implantierten Spermabehältern dann zu den Eiern gelangt. Ich habe so etwas auch noch nicht über andere Kalmare oder gar Vampire gelesen, das ist noch im Dunkel des Meerestiefen verborgen.
    Eine schnelle Verfügbarkeit der Fortpflanzungsprodukte dürfte jedenfalls ein erheblicher evolutiver Vorteil sein, bei Tieren, die nur selten und unregelmäßig auf einen Partner treffen.

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