Die Route der Orcas folgt direkt dem Hering. Bis vor einigen Jahren kamen die Blankfisch-Schwärme bis in den Tysfjord, wo sich eine Orca-Whale-watching-Industrie entwickelt hat. Mitten im düsteren nordnorwegischen Winter kamen dort Scharen von Touristen, um nahe der Küste den Orcas beim Fressen und Herumlungern zuzugucken.
In den letzen Jahren hat sich der Weg der Heringsschwärme geändert, auch die Wale ziehen nicht mehr in den Tysfjord.
Stattdessen tauchen sie nun auch im Winter häufiger vor den Vesteralen auf, was die dortigen Whale-watching-Companies freut. Dort sind zwar die Pottwale die Haupt-Wal-Attraktion, aber Orcas kommen beim Publikum auch gut an.
Im Sommer sind die Schwertwale auch vor den Vesteralen, dann ist ihre Speisekarte etwas vielfältiger: Neben Hering fressen sie auch Makrele, Kabeljau und Lachs, dazu kommen Seehunde und gelegentlich auch Seevögel. Und nun zumindest manchmal auch ein Schweinswal.

Schlussfolgerung und Diskussion

Mel Cosentino hat für die Jagd auf den Schweinswal drei mögliche Hypothesen:
1. Die Orca-Gruppe gehört zu Population B.
Sie jagen regelmäßig andere Wale und Robben und sind nun erstmals vor Andenes beobachtet worden. Vielleicht haben sie ihr Habitat ausgedehnt.
Das ist die unwahrscheinlichste Annahme.

2. Die Orca-Gruppe gehört zu Population A.
Sie haben ihr Nahrungsspektrum erweitert und jagen nun auch andere Wale.
Vom Seehund, der ja bereits auf dem sommerlichen Speiseplan stand, zum Schweinswal ist es nur ein sehr kleiner Schritt.

3. Die Orca-Gruppe gehört zu Population A.
Sie haben im Sommer einen größeren Speiseplan, als bisher bekannt war.
Einzelne Beobachtungen hatten dafür schon Hinweise geliefert, seit 2011 sind mehrere Angriffe auf andere Wale beobachtet worden. Aber bis jetzt war es eher eine Annahme, der letztendliche Nachweis – die wissenschaftliche Publikation einer vollständigen Hetzjagd mit Verzehr der Beute – fehlte noch.
Das hält Mel Cosentino für die wahrscheinlichste Erklärung.

„Killer“ oder “Panda der Meere”?

Der Heilige Brendan hat auf seiner Reise nach Amerika Seeungeheuer beobachtet, die andere Seeungeheuer in Stücke gerissen haben – die erste Dokumentation eines Mitteleuropäers über “killer whales”. Die Namen “Killer whale” und “Mörderwal” sprechen für sich, im Norwegischen heißen Orcas “Spekkhogger” oder “spekkhugger”,.
Orcinus orca, der Wal aus der Unterwelt, hat lange Zeit unter Fischern, die in kleinen Booten unterwegs waren, Furcht und Schrecken verbreitet. Außerdem waren die Wale mit dem großen Appetit unter Fischern verhasst, die Isländische Regierung hat sie deshalb in den 50-er Jahren mit Hilfe der US-Airforce sogar bombardieren lassen.

Durch die Orca-Forschung an der kanadischen Westküste ab den späten 80-er Jahren kam heraus, dass diese Wale ein unglaublich spannendes Familienleben haben und eher sanft und freundlich sind. Die als erstes und am besten erforschte Population war die der friedlichen Residents, die sich mit Lachs begnügten. Das Bild des Mörderwals wandelte sich von der reißenden Bestie zum netten Kumpel. Vor allem die Forschung von John Ford auf Vancouver Island hat hier Maßstäbe gesetzt.

Einige der bemitleidenswerten Walgenossen landeten in Delphinarien. “Free Willy” rundete das Bild ab und der Orca war nun der Panda der Meere. etwas größer als Flipper, aber gut drauf und nicht „böse“.
Erst die Erforschung anderer Orca-Populationen, die andere Meeressäuger zerreißen, ergab allmählich ein realistischeres Bild der Vielfalt ihrer Verhaltensweisen. In Delphinarien kamen bei “Unfällen” mit Orcas mehrere Trainer ums Leben, aus dem “Panda der Meere” wurde ein Problembär.
Jede der vielen Populationen hat ihr eigenes Beutespektrum. Wenn man ihnen im Meer begegnet, sollte man respektvoll Abstand halten und nicht erwarten, mit ihnen schwimmen zu gehen. Und: Ins Delphinarium gehören sie ganz sicher nicht. Sie sind einfach zu groß.

Quelle:
Cosentino, A. Mel: „First record of Norwegian killer whales attacking and feeding on a harbour porpoise“
Diese Publikation ist sehr lesenswert. Neben einem exzellenten Augenzeugen bericht bietet sie auch einen großen Überblick über die Orcas im Nordatlantik und einen kurzen Abriß der Orca-Forschung in Norwegen.

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Kommentare (6)

  1. #1 Nina Heugen
    11. August 2015

    “Und: Ins Delphinarium gehören sie ganz sicher nicht. Sie sind einfach zu groß.”

    => Ab welcher Größe “gehören” sie denn in ein Delphinarium?

  2. #2 Bettina Wurche
    11. August 2015

    @Nina Heugen. Die Frage ist eher “bis zu”. Ich befürworte, unter bestimmten Umständen, kleine Wale (z. B. Tursiops oder Phocoena) weiterhin in ausgewählten Delphinarium zu halten. Und meine perönliche Meinung ist, dass wesentlich größere Tiere nicht mehr händelbar sind, ohne sie und die Trainer stark zu gefährden.
    Meine subjektive Meinung zur Delphinariendiskussion ist hier:
    https://scienceblogs.de/meertext/2013/06/18/verbot-fur-delphinhaltung-in-deutschland/

  3. #3 BreitSide
    Beim Deich
    11. August 2015

    Orcas sind einfach wunderschön, sozusagen “kuhles Disain”.

    Deine Meinung zu Delfinarien interessiert mich brennend. Gleich mal guggen… ok, der Titel scheint mir entgegenzukommen;-)

  4. #4 BreitSide
    Beim Deich
    11. August 2015

    Hmmm, jetzt muss ich doch wieder nachdenken;-) Meine bisherige Totalablehnung wackelt. Vielleicht fahr ich mal nach Nürnberg;-)

    Immerhin geht das mit der Auswilderung offensichtlich gar nicht, eins der Hauptargumente für Zoos. Aber das ist wohl auch von Tierart zu Tierart verschieden.

    Die existierenden Delfinpopulationen müssen also “auf ewig” erhalten werden, da es ja den älteren Tieren nicht zugemutet werden kann, irgendwann allein leben und sterben zu müssen?

  5. #5 Bettina Wurche
    11. August 2015

    @Breitside: Ich denke wirklich, dass man die einzelnen Aquarien sorgfältig ansehen muss. Die Nachzucht ist eben das Problem. Wenn man den Walen gestattet, einigermaßen tiergerecht zu leben, kommen eben Männchen und Weibchen zusammen. Und dann gibt es oft Nachwuchs. Inwieweit sich ein Tierarzt und ein Zoo darauf einlassen würde, hier mit Empfängnisverhütung zu experimentieren? Das ist völlig unerforscht und ein großes Risiko für die Tiere.
    Und: Es wäre natürlich für die Botschafter der Meere gut, auch noch zur nächsten Generation von Kindern “sprechen” zu können. Ich arbeite sehr viel mit Kindern und Erwachsenen und erlebe immer wieder, wie tief berührt sie von solchen Begegnungen sind – auch im Zoo.

    Die Fürsorge um ältere Tiere darf nicht allein der Grund sein, weitere Tiere ins Becken zu setzen. Ältere Tiere müssen deswegen manchmal umziehen oder bekommen einen anderen Gefährten, damit sie nicht allein sind. Andere bleiben allein.
    Der Duisburger Flußdelphin ist der einzige seiner Art in Europa, alle seine Kumpel sind verstorben.
    Den verbliebenen Weißwal hatte Duisburg an einen anderen Zoo abgegeben.
    Insgesamt wurde die Anzahl der Walarten dort reduziert, außer dem Flußdelphin gibt es nun nur noch die Tümmler-Gruppe.
    In allen modernen Zoos geht ja die Tendenz dahin, weniger Arten in größeren Gruppen zu halten.

  6. […] Neben den in Küstengewässern ansässigen Resident Orcas ziehen auch andere Orcas – Migrating Orcas – durch die Schottischen Gewässer. Das Leben der Nordatlantik-Schwertwale dreht sich im Winter vor allem um Hering. Die Schwertwale vor Norwegen und Island fressen sich vor allem im Winter an den fetten Schwarmfischen satt. In einigen Regionen wie in Nord-Norwegen schwimmen die Heringe und Orcas regelmäßig bis dicht unter die Küsten und sind dann die Stars der Whale-watching-Unternehmen. Heringe sind sehr fetthaltig und eine reichhaltige Nahrung. Allerdings sind sie Schwarmfische und nicht sehr groß. Darum haben die Orcas besondere Jagd- und Freßmethoden entwickelt: Sie „fahren“ mit den Heringen Karussel – „carousel feeding“ (meertext: „Whale watching in Nord-Norwegen mit Wal-Drama: Orcas jagen Schweinswal“). […]