Riesenhaie schwimmen mit dem Golfstrom im Sommer bis weit nach Norden und sind in der äußeren Nordsee nicht selten. Dass ein Riesenhai stirbt, dann als treibender Kadaver angefressen wird und verwest, seine Form verändert und schließlich mit einem Sturm angespült wird, ist ein normaler Vorgang. Gerade Stürme bringen immer interessante Dinge in den Spülsaum, die teilweise weite Reisen hinter sich haben. Darum ist es wenig verwunderlich, wenn Meeresungeheuer besonders oft nach Extremwettern wie Stürmen oder Fluten auftauchen, solche dramatischen Umstände steigern den Monstergrusel natürlich noch zusätzlich. Das ohrenbetäubende Tosen des Sturms und des Meeres liefert die perfekte akustische Kulisse für eine Monstergeschichte.

Das “St. Augustine-Monster” – Blobs mit undefinierbarer Konsistenz

Blobs zeichnen sich durch ihre undefinierte Struktur aus. Ihr Gewebe wird oft als gummiartige Masse beschrieben – wabbelig, strukturlos und irgendwie zäh.
Wale, Haie und Fische kommen erst durch Verwesungsprozesse in diese Konsistenz. Eine Tiergruppe der Wirbellosen hingegen hat von Natur aus die zähe Konsistenz eines gut durchgekauten Kaugummis: Tintenfische.

So befinden sich unter den Blobs und Globstern auch viele Tintenfische, und zwar vor allem die großen Exemplare wie Riesenkraken und Riesenkalmare.
Solch ein großer Meeresmollusk erreicht seine Größe vor allem durch seine meterlangen Tentakel, aber auch der Kopf und Eingeweidesack sind schon beachtlich. Ohne ihre charakteristischen Tentakel und die schillernde Körperoberfläche sind sie per Definition Blobs.
Betrachtet man Photos von Blobs genauer, entdeckt man oft Armstümpfe. Dann sind die Tintenfische dem Angriff eines Hais oder Wals zum Opfer gefallen und haben ihre Arme eingebüßt, die aufgrund des geringen Durchmessers am leichtesten abzubeißen sind. Hat das Tier noch einzelne Arme, werden diese oft als Kopf an einem langen Hals oder als Schwanz, als Rüssel oder andere Körperanhange fehlinterpretiert.

Einer der berühmtesten und vor allem der ältesten Blobs ist das „St. Augustine-Monster“, das 1896 am gleichnamigen Strand an der Küste Floridas angespült wurde.

Cropped version of the image “Dr. DeWitt Webb beside the remains.”, which has been much reproduced. (Wikipedia: St. Augustine Monster)

Das „St. Augustine-Monster“ von 6,3 Metern Länge, 2,1 Metern Breite und 1,2 Metern Dicke und weißlicher gummiartiger Konsistenz war schnell als Objekt für die Wissenschaft beansprucht worden. Der örtliche Arzt und Gründer der Naturkundlichen Gesellschaft von St. Augustine Dr. DeWitt Webb beschrieb den Strandfund mit mehreren Tentakel-Stümpfen und schickte Photos und Beschreibung an Zoologen des Museums für Vergleichende Zoologie in Harvard, später sicherte er auch Gewebeproben. Die Zoologen veröffentlichten auf dieser Basis die ersten Zeitungsberichte, später auch Publikationen. Ohne den Fund selbst zu untersuchen, extrapolierten Gelehrte die immense Größe, als nächstes wurde der Oktopus aufgrund des nicht sehr guten Photos und einer Skizze aufgrund der Beschreibung umgedeutet in einen Pottwal. Weitere, abenteuerlichere Theorien mit prähistorischen Sauriern und Tiefseemonstern kamen unweigerlich dazu.

Irgendwann fiel dieser Blob den Schlaf des Vergessenen. Erst 60 Jahre später fand der Meeresbiologe Forrest Wood die Geschichte auf einem alten Zeitungsartikel. Darin war auch die Gewebeprobe im Smithsonian vermerkt – die wollte Wood sich selbst ansehen und forderte sie an: Die Untersuchung der Schnittproben im Phasenkontrastmikroskop und der Vergleich mit anderem Oktopus- und Kalmargewebe ergab ganz klar: Tintenfisch-Bindegewebe!
Auch der Biochemiker Mackall untersuchte das amorphe Gewebe und kam zum gleichen Schluß: Es handelte sich sicher um einen Oktopus!

Wood und Mackall waren übrigens Gründungsmitglieder der Internationalen Gesellschaft für Kryptozoologie, und publizierten ihre Erkenntnisse natürlich. Allerdings konnten sie aufgrund der angeblichen Größe des St. Augustine-Monster das Gewebe keiner bekannten Oktopus-Art zuordnen und nahmen eine neue, gigantische Art an.

Richard Ellis beschreibt diese Geschichte in seinem Buch “Seeungeheuer“ ausführlich. Allerdings legt er dabei mehr Wert auf das Mysteriöse, als auf das Debunking.

Ich selbst erlaube mir, ohne diesen Blob selbst gesehen zu haben, die unglaubliche Größe etwas zu verringern. Zum einen kann man wegen der gummiartigen Konsistenz eines Tintenfisches das Gewebe gerade eines toten Tieres deutlich länger ziehen, als es zu Lebenszeiten gewesen ist. Zum anderen sollte man auch hier berücksichtigen, dass möglicherweise irgendwo in der Informationskette ein monstermäßiges Wachstum des Blobs geschehen ist. Der englische Wikipedia-Artikel bietet zahlreiche Abbildungen des Blobs, teils mit Menschen zum Größenvergleich, die zwar einen großen Kopffüßer-Teil zeigen, der sicherlich zu einem großen Tier gehörte – aber es braucht dafür keinen 23-Meter-Oktopus. Auf der hier abgebildeten Photographie sieht es für mich so aus, als ob Dr. Webb deutlich tiefer steht, als der Blob. Der Blob hingegen scheint auf einigen Tentakelstümpfen und Sand aufgebockt zu liegen. Allerdings lassen sich ohne Kenntnis der Körpergröße Dr. Webbs keine genauen Aussagen treffen.

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Kommentare (6)

  1. #1 Aginor
    29. Oktober 2020

    Danke für den Artikel!

    Fällt wieder ein bisschen in die Kategorie “Thanks, I hate it”, perfekt zu Halloween weil bissl eklig, aber das ist Biologie eben nunmal häufig. Eklig aber interessant.

    Denke z.B. auch gerne an einen Vortrag zurück, den mal ein Biologe über irgendwelche koprophagen Käfer gehalten hat, die Schafskot toll finden und daher bevorzugt dort ihre Eier ablegen.
    Oder an den Artikel über die abgefahrene Laus, die die Zunge eines Fischs auffrisst und ihre Stelle einnimmt. Nightmare fuel.
    😀

    Bei Walkadavern am Strand hoffe ich nur immer, dass nicht wieder jemand auf die stupide Idee kommt den Kadaver zu sprengen (wie die Typen in Oregon 1970). 😀

    Gruß
    Aginor

  2. #2 RPGNo1
    29. Oktober 2020

    Das gruseligste an dem Film war wohl der evangelikale Filmemacher, der mit dem Blob vor Kommunismus warnen wollte.

    ABER: Mit diesem Film hat die Karriere des unvergesslichen Steve McQueen erst den richtigen Push erhalten. Sie brachte ihm nämlich eine Rolle in der Fernsehserie “Wanted: Dead or Alive” ein, die ihm einem breiteren Publikum bekannt machte.

    https://www.metv.com/stories/steve-mcqueen-s-performance-in-the-blob-got-him-his-role-in-wanted-dead-or-alive

    So kann aus etwas Schlechtem aus etwas Gutes entstehen. :

  3. #3 Dampier
    http://dampierblog.de/
    29. Oktober 2020

    Danke für den Hinweis auf das Netzwerk für Kryptozoologie! Das war mir bisher entgangen. Ich hab gleich mal den RSS-feed abonniert und das Jahrbuch auf meine Liste gesetzt!

    Vereinzelte Berichte sind älter – so wurden 1648 im mexikanischen St. Maria del Mar unidentifizierbare Überreste einer Meereskreatur angeschwemmt.

    Das interessiert mich besonders, hast du da eine Quelle für mich? (Zufällig versuche ich gerade, diverse Santa Marias aus der Zeit und der Region (Mittelamerika) ihren obskuren Quellen zuzuordnen und auseinanderzuhalten. Mein erster Gedanke war “oh nein, nicht noch ein Santa Maria!”)

    Unter historischen Seeungeheuer-Darstellungen auf Seekarten oder Gemälden fehlt diese amorphe Monsterkategorie allerdings – wahrscheinlich war sie zu diffus.

    Kennst Du “Seeungeheuer und Monsterfische – Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten” von Chet van Duzen? Ein schöner Bildband und gleichzeitig ein gutes Nachschlagewerk zum Thema. Da hab ich eben mal geschaut, und auch keinen Blob gefunden. Die Darstellungen auf alten Karten sind ja nie aus erster Hand, und ich könnte mir vorstellen, dass ein eventueller amorpher Blob schon von Interpretationen überformt ist, wenn er die Feder des Kartographen erreicht.

  4. #4 Bettina Wurche
    29. Oktober 2020

    @Aginor: Och, das ist ja ein erheblicher Teil der Biologie. In den Planktonproben waren auch oft solche Partikel, die wurden als Indet. (Indeterminierbar) bezeichnet oder als Schlonz. Dabei war es der allgegenwärtige Meeresschnee. Solche Blobs sind halt einfach etwas größere amorphe Teile. Ich glaube, dass in den letzten Jahrzehnten niemand mehr versucht hat, einen Wal zu sprengen – die Videos davon sind mittlerweile einfach zu bekannt.
    Koprophage Käfer sind gar nicht selten, das sind doch die ganzen Scarabaeidae. Ein einziger Kuhfladen ist sogar ein ganzer Lebensraum. Gerade Dung von Pflanzenfresser ist ja letztendlich nur weiterverarbeitete Pflanzenmaterie.
    Über den Zungenparasiten hatte ich mal geschrieben… Und dann war da noch die Hirnauslutsch-Amöbe vor San Franciso
    Parasiten finde ich wirklich gruselig, die sind so ausgebufft.

  5. #5 Bettina Wurche
    29. Oktober 2020

    @dampier: Im Ellis habe ich es zumindest unter “Blobs” nicht gefunden, in die anderen Kategorien passt es nicht.
    “Unidentified carcass from Santa Maria del Mar, Oaxaca, Mexico (1648)” findet sich so in diversen Einträgen:
    Ich hatte es auf Wikipedia ohne weiter Quelle gefunden, jetzt nur noch im Archiv:
    https://www.youtubez.com/index.php?q=aHR0cDovL3dlYi5hcmNoaXZlLm9yZy93ZWIvMjAxMTA5MTgwNTM1NDMvaHR0cDovL2VuLndpa2lwZWRpYS5vcmcvd2lraS9HbG9ic3Rlcg
    https://itsmth.fandom.com/wiki/Globster
    https://hauntedauckland.com/site/globster
    Exakt der gleiche Wortlaut, ohne weitere Quelle.
    Vielleicht könnte man im Spanischen fündig werden?

    Seeungeheuer und Monsterfische – Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten” von Chet van Duzen habe ich hier natürlich liegen : )
    Ja, die Mönsterchen sind sich immer wieder überraschend ähnlich. Wenn ich mich recht entsinne, hatte Gessner sie als erstes katalogisiert, in seinem Fischebuch sind auch viele der Monster.

  6. #6 Dampier
    29. Oktober 2020

    Danke @Bettina, für die Hinweise! Da werde ich bei Gelegenheit mal nach suchen (auch im Spanischen).