Erste belastbare Daten für die deutsche Nordsee lieferten die Synchronzählungen der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt – 1992 habe ich dort meine ersten Schweinswale gesichtet, am Strand sitzend konnten wir die kleinen schwarzen Dreiecke der Finnen (Rückenflossen) beobachten, darunter ein Mutter-Kind-Paar. Hier ist später das erste Walschutzgebiet Europas eingerichtet worden.
Dann kamen weitere Forschungsprojekte wie das des FTZ (heute: ITAW) in Büsum für die Schleswig-Holsteinische Nord- und Ostsee und in Stralsund (Meeresmuseum) für die Mecklenburg-Vorpommern´sche Ostsee.

Darum wissen wir heute deutlich mehr:
Schweinswale sind wie alle Wale sind wandernde Arten, d. h., sie leben nicht immer innerhalb eines definierten Gebiets. Stattdessen wandern sie, im Laufe eines Tages, eines Jahres und innerhalb längerer Zeiträume. Das macht ihren Schutz nicht einfacher, denn natürlich überqueren die Meeressäuger Grenzen, so dass ihr Schutz innerhalb mehrerer Staaten abgesprochen werden muss.

Wer bin ich und wenn ja wie viele?

Global ist die Art Schweinswal – Phocoena phocoena – nicht vom Aussterben bedroht, sein IUCN-Eintrag lautet LC – Least concerned.

Schweinswale sind die häufigsten Wale in europäischen Gewässern, von Grönland bis in die Ostsee, von der Barents-See und Island bis nach Frankreich, Spanien und Portugal und im Schwarzen Meer – die Kleinwale leben in 24 europäischen Staaten!
Vermutlich gibt es ca 16 verschiedene Populationen allein in der Nord-West-Atlantischen Region mit ihren Nebenmeeren (Evans, 2020).

Auch wenn alle Schweinswale zur gleichen Art Phocoena phocoena gehören, unterscheiden sich die Unterarten und Sub-Populationen/Bestände durch

  • ihr Verhalten,
  • ihre Kommunikation (sie klicken Dialekte) und auch
  • morphologisch (Körpermerkmale) und genetisch.

Sie pflanzen sich darum nur innerhalb eines solchen Bestands fort – ein Bestand ist eine Fortpflanzungsgemeinschaft.
Darum müssen beim Artenschutz solche Bestände jeweils für sich betrachtet werden.
So kommt es, dass für die einzelnen Schweinswal-Bestände und -Unterarten unterschiedliche Gefährdungsstufen auf den Roten Listen gelten.

Akut vom Aussterben bedroht sind die kleinen Populationen in der Ostsee, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer sowie in iberischen und portugiesischen Gewässern im Nordostatlantik. Damit würden ihre genetischen Varianten erlöschen.

Phocoena phocoena-Unterarten: (Subspecies)

  • P. phocoena (Atlantic harbor porpoise),
  • P. vomerina (Pacific harbor porpoise) – für Europa irrelevant
  • P. relicta (Black Sea harbor porpoise).

Mittlerweile gibt es Hinweise auf zwei weitere Unterarten in Europa:

  • P. meridionalis (Fontaine, 2016) vor der Iberischen Halbinsel und Mauretanien
  • P. ? ( West Greenland (Nielsen et al., 2018; NAMMCO, 2019).

Diese Unterarten sind dann wieder unterteilt in Bestände (Populationen, Stocks) – nur innerhalb dieser Gruppen kommt es zur Fortpflanzung.

In deutschen Gewässern leben Schweinswale aus drei unterschiedlichen Beständen:

  • Nordsee (Southern North Sea),
  • Westliche Ostsee/Kattegatt (Beltsea/Kattegatt) und
  • Zentrale Ostsee (Baltic Proper).

Ergebnisse der Flug-Zählungen im SCANS-Projekt (Small Cetacean Abundance in the North Sea):

345.000 – 630.000 deutsche, dänische, niederländische, englische Nordsee
42.300 Kattegatt, Beltsee (Westliche Ostsee – dänische, schwedische, deutsche Ostsee)
300 Zentrale Ostsee (Baltic Proper – deutsche, schwedische, polnische Ostsee)

Das SCANS-Projekt wird von allen EU-Nordsee-Anrainern gemeinsam durchgeführt, bisher gab es drei Surveys: 1994, 2005 und 2016.
Diese Flug-Zählungen (Line Transect Surveys) haben die besten und umfassendsten Schätzungen erbracht, die es zurzeit gibt. Dazu kommen noch meist jährliche nationale Surveys, die von jedem Staat einzeln durchgeführt werden. In der Ostsee werden akustische Surveys durchgeführt (SAMBAH).

Walschutz ist kompliziert

Europäische Wale und ihre Lebensräume sind von einer ganzen Reihe internationaler und regionaler Übereinkommen und Abkommen, EU-Recht und nationaler Gesetzgebung „stark geschützt“. In der Praxis hat dieser Rechtsschutz jedoch keinen effektiven Schutz bewirkt. Die extra für den Schweinswalschutz eingerichteten SACs (Special Areas of Conservation – Umsetzung der europäischen Natura2000-Vorgaben) sind zwar in einigen Meeresgebieten/ -ländern Länder ausgewiesen worden. Allerdings werden erst jetzt (ab 2020) allmählich Bewirtschaftungspläne in Kraft gesetzt, die ein konkretes Schweinswal-Management mit Zielvorgaben ermöglichen. Vorher waren die Ziele abstrakt formuliert, ohne Ziele.

„Die Bemühungen um Erhaltung und Management sind in einen komplizierten Zusammenhang (Nexus) von Interaktionen verwickelt, der ein Netz von Verpflichtungen im Rahmen internationaler Übereinkommen und Abkommen, europäischer Umweltgesetze und europäischer Fischereipolitik umfasst. Das öffentliche Desinteresse, der mangelnde politische Wille zur Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen und komplizierte Fragen im Zusammenhang mit der Fischerei behindern jedoch echte Fortschritte.“ schreiben Ida Carlén1,2, Laetitia Nunny 3 and Mark P. Simmonds 4,5* in „Out of Sight, Out of Mind: How Conservation Is Failing European Porpoises”.

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Kommentare (3)

  1. #1 libertador
    11. Februar 2021

    “Infrastruktur-Bau und -Betrieb (Windfarmen)”

    Gibt es da Untersuchungen dazu? Insbesondere was den Lärm im Betrieb angeht, fände ich es interessant wie groß die Lärmeintrage sind.

  2. #2 Bettina Wurche
    11. Februar 2021

    @libertador: Der Bau von Windfarmen mit den Ramm-Arbeiten muss mittlerweile in der Nordsee mit Blasenschleiern abgemildert werden, das schein zu funktionieren. Die Windfarm-Betreiber haben das zumindest teilweise auch freiwillig für die Ostsee übernommen.
    Dazu gibt es einen ganzen Stapel Literatur, das Ergebnis war dieses Gutachten:
    https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/meeresundkuestenschutz/Dokumente/Noise-mitigation-for-the-construction-of-increasingly-large-offshore-wind-turbines.pdf
    und das Schallschutz-Konzept des BfN:
    https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/awz/Dokumente/schallschutzkonzept_BMU.pdf
    (Da ist jeweils viel Literatur zitiert. Allerdings hatte Frau Hendricks es für die Ostsee ebenfalls noch verabschieden wollen, dazu kam es leider nicht mehr)

    Im laufenden Betrieb fallen keine Rammarbeiten an, darum gibt es dazu keine Regelungen.
    Bislang herrschte dazu die Meinung, dass der laufende Betrieb für die Kleinwale kein Problem sei:
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5677494/

    Die Windfarmen selbst und die Turbinen-Geräusche scheinen auch kein Problem zu sein:
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19507958/

    Letztes Jahr habe ich bei Recherchen und im Gespräch mit einer Schweinswal-Forscher-Gruppe allerdings erfahren, dass es zumindest aus der Schleswig-Holsteinischen Nordsee jetzt doch Probleme gibt:
    Die Wale verschwinden gerade aus deutschen Gewässern:
    http://docs.dpaq.de/17231-fmars-07-606609.pdf
    Gleichzeitig berichteten diese Walforscher, dass es zumindest in/um einige/n Nordsee-Windfarben eine sehr hohe Lärm-Belastung (Zitat: “Höllenlärm”) gibt, vor allem durch Versorgungsschiffe. Diese Beobachtungen sind bis jetzt persönliche Kommunikation und noch nicht publiziert. Für belastbare Daten müssten jetzt Hydrophonketten aufgebaut u ausgewertet werden, dafür gibt es zurzeit noch keine Mittel. Die Publikation dürfte also noch etwas auf sich warten lassen.
    Es wäre jedenfalls eine plausible Erklärung, warum die Schweinswale jetzt ihr eigentliches Kern-Areal verlassen.
    Ich hoffe sehr, dass es bald Projektmittel und dann auch publizierte Daten gibt.

    Da Schweinswale Schiffsrouten meiden, halte ich diese Aussage für belastbar.

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