Thunfisch ist ein auch für menschliche Konsumenten wertvoller Fisch, der einen beträchtlichen Wert darstellt, die menschlichen Fischer teilen ihren Ertrag also nur ungern mit den Zahnwalen. Darum kommt es immer wieder zu Aggressionen der spanischen und marokkanischen Fischer gegenüber den Orcas, wie etwa der Biologe Jörn Sellering beobachtet hat. Sellering arbeitet für firmm – foundation for information and research on marine mammals. Die Stiftung erforscht die Orcas vor Gibraltar und bietet Whale watching-Touren an, das Team ist mit dem Bestand gut vertraut.

Ruth Esteban et al: “Dynamics of killer whale, bluefin tuna and human fisheries in the Strait of Gibraltar” https://doi.org/10.1016/j.biocon.2015.11.031

Orcas jagen entweder direkt die großen, schnellen Fische, die den warmblütigen kraftvollen Säugern körperlich unterlegen sind.
Andere Orca-Familien haben gelernt, in das Netz-Labyrinth der traditionellen Thun-Fischerei hinein- und wieder hinauszuschwimmen, oder „pflücken“ die Thune von den stählernen Haken der Langleinen. Die Fischer wollen sich den teuren Fang natürlich nicht „stehlen“ lassen und verteidigen ihn, teilweise sogar mit Elektroschockern oder Messern.

Außerdem verletzen sich die Orcas oft an den Netzen aus Kunststoff und den Haken aus Stahl. So tragen viele der Wale die Narben tiefer Fleischwunden von Haken und die Einkerbungen an Kopf und Flossen, einige haben sogar Flossen eingebüßt – diese Verletzungen sind typisch für Beifang in Fischereigerät (Mehr dazu hier). Einige Kälber sind auch in den Netzen gestorben, obwohl die Mütter verzweifelt versuchten, sie zu befreien. Die schrumpfenden Thunfisch-Bestände verstärken die Konkurrenz zwischen Mensch und Schwertwal zunehmend.
Dazu kommt, dass gerade dieses Seegebiet extrem stark durch Menschen genutzt ist, Fischerei, Fährverkehr, Frachtschifffahrt und Tourismus sowie die immer höhere Schadstoff- und Lärmbelastung erschweren das Leben der Meeressäuger. Die Gibraltar-Orcas sind nach denen in britischen Gewässern europaweit am stärksten mit Polychlorierter Kohlenwasserstoffen (PCBs) kontaminiert, sie nehmen die Schadstoffe über ihre Beute auf. Die Konzentration von PCBs in ihrem Blubber übertrifft bei weitem die Grenzwerte für Meeressäuger, das westliche Mittelmeer ist ein globaler PCB- “Hotspot” (Jepson, P. D., Deaville, R., Barber, J. L., Aguilar, A., Borrell, A., Murphy, S., Barry, J., Brownlow, A., Barnett, J., Berrow, S., Cunningham, A. A., Davison, N., Doeschate, M., Esteban, R., Ferreira, M., Foote, A. D., Genov, T., Giménez, J., Loveridge, J., et al. (2016). PCB pollution continues to impact populations of orcas and other dolphins in European waters. Scientific Reports, 6, 18573).

So kann dieser Lebensraum den kleinen Orca-Bestand kaum mehr ernähren und ein kleiner Bestand ist immer gefährdeter als ein größerer. Dass die Wale durch internationales, EU- und spanisches Recht streng geschützt sind, hilft ihnen dabei nur wenig.

Orcas versus Boote – wie geht es weiter?

Durch die Dokumentation der Orca-Attacken konnten die spanischen und portugiesischen Wal-Experten nachweisen, dass an 61 % der Angriffe die gleichen drei Schwertwale  beteiligt waren, es sind junge Erwachsene. Einige BiologInnen vermuten, dass es davor einen Zwischenfall zwischen diesen Individuen und einem Boot gegeben haben müsse. Andere Wal-ExpertInnen meinen, dass die Orcas sich vielleicht für den Tod eines Kalbes „rächen“ bzw. weitere solcher für sie dramatischen Vorfälle vermeiden wollen.
Klar ist, dass die angreifenden Orcas gezielt und koordiniert vorgehen: Die Menschen auf den Booten berichten, dass die Zahnwale intensiv kommuniziert hätten. Die Pfiffe und Klicks waren durch die dünnen Bootswände deutlich zu hören. Die Akustik der Rammstöße und Kommunikation hatten die Bootsbesatzungen zusätzlich extrem verängstigt, wie die erfahrene Seglerin und Biologin Victoria Morris berichtete.

Spanische WissenschaftlerInnen wie Ruth Esteban von Orca Ibérica haben der spanischen Regierung die Einrichtung eines Orca-Schutzgebiets vorgeschlagen. Damit hätten die Wale einen sicheren Rückzugsbereich, auch wenn ihre Versorgung mit Thunfisch dann noch nicht gesichert wäre. Außerdem drängen sie darauf, endlich die seit 2017 vorliegenden Vorschläge für ein Orca-Management umzusetzen, was eine Reglementierung der Meeresnutzung bedeuten würde. Nach Auskunft von Ruth Esteban ist eine wissenschaftliche Publikation zu diesen Vorfällen in Vorbereitung.

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Kommentare (8)

  1. #1 Joseph Kuhn
    10. August 2021

    “Die Meeressäuger scheinen die Funktion des Ruders zu verstehen.”

    Oder reagieren Sie vielleicht nur auf die Bewegung des Ruders? Gibt es dazu eine Diskussion unter den Fachleuten?

    Insgesamt eine eigenartige Geschichte. Ein Glück, dass nicht mehr Tiere auf solche Ideen kommen. “Der Angriff der Nacktschnecken” würde für einen Horrorfilm taugen.

  2. #2 Bettina Wurche
    10. August 2021

    @Joseph Kuhn: Sie reagieren auf die Bewegung UND scheinen die Funktion des Ruders zu begreifen, laut
    https://segelreporter.com/panorama/orca-angriffe-26-attacken-auf-segelyachten-in-zwei-monaten-warum-tun-sie-das/
    Mich würde es nicht wundern, denn so ein Ruder ähnelt ja einer Flosse. Und zumindest große Bartenwale werden von Orcas durch das Abbeißen der Flossen gestoppt und manövrierunfähig gebissen.
    Die beiden extrem erfahrenen und sehr renommierten Walforscher Ken Balcomb und Lori Marino gehen davon aus, dass Orcas den Kontext zwischen Fischerei und ihrer Nahrungsknappheit verstehen.
    https://scienceblogs.de/meertext/2020/09/14/orcas-rammen-yachten-was-steckt-dahinter/?all=1

    Ja, natürlich gibt es eine angeregte Diskussion, denn dieses Verhalten ist ein absolutes Novum. Einige Biologen meinen halt, die Orcas würden nur wie Hunde reagieren. Dafür ist mir das Ganze aber etwas zu gezielt und zu koordiniert. Ich glaube nicht, dass die nur verspielt sind.
    Mich erstaunt eigentlich eher, dass solch ein Verhalten nicht schon häufiger aufgetreten ist, schließlich hätte so ein Orca-Rudel gegenüber den oft kleinen Fischereifahrzeugen gegenüber schon etwas entgegenzusetzen.
    Es erinnert an eine Szene aus “Der Schwarm”, was ja teilweise mit Horrorszenarien spielt.

  3. #3 Joseph Kuhn
    10. August 2021

    @ Bettina Wurche:

    Danke für die Erläuterungen. Bin gespannt, wie das weitergeht.

  4. #4 werner
    11. August 2021

    Da kommt einem “Der Schwarm” in den Sinn…

  5. #5 Bettina Wurche
    11. August 2021

    @werner: Allerdings!

  6. #6 Herb
    Heidelberg
    12. August 2021

    Eine Frage, die ich mir immer mal wieder stelle: Warum gehören Menschen nicht in das Beuteschema von Orcas? Die Ausrüstung dazu hätten sie und sie sind ja ansonsten nicht unbedingt wählerisch. Sind sie vielleicht doch so intelligent daß sie keinen “Krieg” anfangen wollen, oder mögen sie kein Neopren?

  7. #7 Spritkopf
    12. August 2021

    @Herb

    und sie sind ja ansonsten nicht unbedingt wählerisch

    Doch, sind sie. Es gibt eine arte-Doku (die leider schon aus dem Medienarchiv gelöscht ist), in der wird beschrieben, wie verschiedene Populationen im Raum Vancouver ganz unterschiedliche Nahrungsquellen haben. Eine Population frisst Meeressäuger wie Robben und kleine Wale, eine andere frisst ausschließlich Fisch. Und sie schwenken selbst dann nicht um, wenn ihre Nahrung knapp wird und sie kurz vorm Verhungern stehen.

    Allerdings glaube ich nicht, dass das der einzige Grund ist, warum Orcas nicht auf Menschenjagd gehen.

  8. #8 Bettina Wurche
    12. August 2021

    @Herb: Wie @Spritkopf schon schrieb, sind Orcas oft doch ziemlich wählerisch. Schwertwale haben ihre Kulturen auch um ihre Beute und Jagdstrategien herum aufgebaut, wahrscheinlich seit ca 10.000 Jahren, nach der letzten Eiszeit. Menschen sind wahrscheinlich nicht oft genug im Wasser, um sie als lohnenswerte Beute auszumachen und dazu eine ausgefeilte Jagdstrategie zu entwickeln. Es könnte auch sein, dass wir durch unser ganz anderes Äußeres als Wale, Robben, Fische,… einfach nicht ins Beuteschema passen.
    Dazu kann ich nur spekulieren, das würden nämlich eine Menge Leute gern wissen : )