Weiße Haie und andere große Haiarten gehören zu den Top-Prädatoren der Ozeane. Ein Weißer Hai (Carcharias carcharodon) ist mit fünf bis sechs Metern Länge – ganz große Weibchen können auch sieben Meter erreichen – die größten Nicht-Planktonfressenden Haie und Fische.
Seit einigen Jahren werden sie selbst gejagt.
Die Gansbaai an der Südspitze Südafrikas ist ein Seegebiet “zwischen zwei Ozeanen”, zwischen dem kalten Benguela- Strom und dem warmen Agulhas-Strom. Dies und die Landnähe sorgen für ein extrem produktives marines Ökosystem, in dem “The Marine Big 5” vorkommen, die Big Five des Meeres:
• Haie – Weißer Hai, Blaue und Makohaie sowie Bronzehai
• Wale – Südkaper, Buckel-und Brydewale
• Pinguine
• Seelöwen
• verschiedene Delphine, darunter Große Tümmler
Bis etwa 2017 waren die fünf bis sechs Meter langen Weißen Haie die HerrscherInnen des Revier, sie jagen dort vor allem Seelöwen, während die Seelöwen vor allem den kleinen Pinguine nachstellen.
2017 gaben Kadaver von sieben Weißen Haien an den Stränden der Gansbaai den Biologen zunächst Rätsel auf – woher stammten ihre Wunden? Bei der Nekropsie der Knorpelfisch-Kadaver kam heraus, dass allen die Leber fehlte. Die Jäger waren selbst zur Beute geworden, Orcas hatten sie erlegt. Die schwarz-weißen Zahnwale sind die größten Delphinartigen, haben starke Gebisse und agieren oft wie ein Wolfsrudel koordiniert in der Gruppe. Für die sieben bis neun Meter langen intelligenten Zahnwale sind selbst große Meeresjäger wie die Weiße Haie lediglich ein Snack.
Offenbar hat sich ein Orca-Pärchen namens Port und Starbord, die an ihren zusammengefallenen Rückenflossen leicht zu erkennen sind, zu Feinschmeckern für Hailebern entwickelt. Hai-Lebern sind sehr groß und sehr fetthaltig, so wird etwa Lebertran aus den Lebern von Riesenhaien extrahiert. Orcas haben als warmblütige und schnelle Säugetiereim kalten Meer einen extrem hohen Kalorienbedarf. Darum suchen sich die verschiedenen Orca-Populationen (Ökotypen) jeweils die Beute, die bei geringstem Aufwand die meisten Kalorien liefert (Meertext: “Sind Orcas wählerisch beim Essen?”)
Port und Starbord werden seit 2009 in der Region beobachtet. 2015 kamen sie dann in die Schlagzeilen, weil sie Weiße Haie jagten: “It was in 2017 that Port and Starboard hit the headlines, because by then, they appeared to have moved onto bigger prey—great white sharks! Over the course of that year, five great white sharks washed ashore in the Gansbaai area with similar trauma to cow sharks found in False Bay.”.
Die südafrikanische False Bai war bis dahin ein El Dorado für Hai-Tourismus wie Käfigtauchen. Seit 2017 gibt es einen signifikanten Rückgang der Haie: Waren vor 2017 zwischen 200 und 250 Weiße Haie dort gesichtet wurden, waren es 2021 nur noch fünf. Da immer noch reichlich Seelöwen dort leben und auch keine ozeanographischen Veränderungen aufgefallen sind, vermuten die südafrikanische Biologin Alison Towner und ihre Ko-AutorInnen, dass die Haie dieses Gebiet wegen der Orca-Bedrohung meiden in ihrer aktuellen Studie “Fear at the top: killer whale predation drives white shark absence at South Africa’s largest aggregation site”.
Die Orcas jagen vor allem subadulte, also noch nicht ganz erwachsene Haie von drei Spezies, da sie die leicht überwältigen können. Die langlebigen Knorpelfische bekommen ohnehin nur wenig Nachwuchs, durch ihrne frühen Tod können sie sich nicht fortpflanzen.
Ohne Weiße Haie jedoch vermehren sich die Seelöwen stärker, ihre Beute sind die südafrikansichen kleinen Pinguine, deren Bestand bedroht ist. “However, balance is crucial in marine ecosystems, for example, with no Great White Sharks restricting Cape Fur seal behavior, the seals can predate on critically endangered African Penguins, or compete for the small pelagic fish they eat. That’s a top -down impact […].”.
Im australischen Port Lincoln jagen Schwertwale ebenfalls Weiße Haie:
Touristen, die 2015 eigentlich durch Käfigtauchen Weiße Haie aus der Nähe erleben wollten, wurden Augenzeugen, wie sechs Orcas einen Hai jagten – wieder waren sie nur auf die Leber aus. Die Wale waren dabei so nahe am Schiff, dass die Menschen ihre Ortungslaute hören konnten. Sowohl der Bootsführer als auch die Meeresbiologin Dr. Catherine Kemper erklärten gegenüber der Presse, dass sie so etwas noch nie zuvor gesehen hatten.
Die Orcas könnten bei ihrer winterlichen Wanderung aus der Antarktis nach Norden, wobei sie eigentlich Buckelwalen folgen, auf diese neue Nahrungsquelle gestoßen sein. Typisch für Orcas, haben sie auch die Hai-Mahlzeit perfektioniert: Zu zweit drehen sie den gar nicht so kleinen Knorpelfisch auf den Rücken. Viele Haie verfallen dann in eine Art Paralyse (“tonic immobility”), dann reißen die Wale die Leber aus dem noch lebenden Fisch. Auch in diesem Fall mieden Haie zunächst diesen Meeresabschnitt und kehrten erst drei Monate später zurück.
Warum die Zahnwale von ihrer üblichen Beute, Buckelwalen, abgewichen sind, ist nicht geklärt. Da sich die Buckelwalbestände wie die meisten Walbestände nach dem Ende des industriellen Walfangs in den 1970-er Jahren erholt haben, kann e skaum am Nahrungsmangel liegen.
Das gleiche spielt sich vor Kalifornien ab, wo im sogenannten Roten Dreieck vor der kalifornischen Küste besonders viele Weiße Haie leben. Erwachsene Exemplare erbeuten dort die fetten Seeelefanten, subadulte Individuen und Gruppen jagen direkt an den Stränden (unter den Beinen der Badenden) Rochen.
Dafür hatte das Team um Salvador Jorgensen vom Monterey Bay Aquarium für eine Studie 2019 Daten aus verschiedenen Projektgruppen miteinander kombiniert, so dass sie die Interaktionen von 165 zwischen 2006 und 2013 markierten Weißen Haien mit Daten aus 27 Jahren Forschung an Robben-, Orcas- und Hai-Surveys kombinieren konnten. Dadurch konnten sie die Interaktionen zwischen den Arten abbilden. Jim Tietz, der an der Stude mitgearbeitet hat, erklärte, dass mit dem Auftauchen der Orcas die Haie aus dem Gebiet verschwanden: “By supplementing the Aquarium’s new shark tagging data with Point Blue’s long-term monitoring of wildlife at the Farallon Islands National Wildlife Refuge, we were able to conclusively show how white sharks clear out of the area when the orcas show up.”.
Obwohl Weiße Haie auch Wale, Knochenfische, Tintenfische und verschiedene andere Robben erbeuten, ist ihr saisonales Fressen von jungen Seeelefanten eine wichtige Energieressource, die sie für ihre ausgedehnten Wanderungen durch die Ozeane brauchen. So treffen sie sich alljährlich im sogenannten White Shark Café zur Paarung und verbringen dort Zeit mit Artgenossen. Die konkreten ökologischen Auswirkungen sind noch nicht untersucht, aber die Biologen befürchten, dass darunter die Fitness der gesamten Carcharias carcharodon-Population leiden könnte.
Auch wenn die Orcas die Region wieder verlassen haben, dauert es teilweise ein Jahr, bis die Haie zurückkehren. Die Wale haben auch hier die Knorpelfische in Angst und Schrecken versetzt.
Weiße Haie fühlen sich also durch Orcas so stark bedroht, dass sie ihre liebsten Freßzonen lieber meiden, sogar über Jahre hinaus. Haie erinnern sich also an negative Erlebnisse, können diese untereinander kommunizieren und entscheiden sich aktiv gegen gute Nahrungsressourcen und für mehr Sicherheit.
Durch die Abwesenheit der großen Haie wird das Artengefüge nachhaltig verändert, mit weitreichenden Veränderungen ganzer Ökosysteme, wie etwa vor Südafrika.
Die Orcas sind damit mal wieder die Gewinner von Veränderungen im Ozean. Das Verspeisen von Haien hat allerdings für die Zahnwale langfristige Folgen: Ihre Zähne leiden darunter (Meertext: “Orcas mit Zahnschäden durch Gefangenschaft und Fisch-Mahlzeiten“). Da sie als Säugetiere ihre Zahnreihe nicht einfach wie Haie regelmäßig erneuern können, müssen sie nach dem Abreiben oder gar Wegsplittern der Zähne mit den ruinierten Gebissen leben.
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