Dass sich ausgerechnet Äpfel als Allerwelts- und Alltagsfrucht so stark durchgesetzt haben, ist wenig verwunderlich: Fruchtfleisch und Schale sind robust genug für lange Transporte, getrocknet sind sie besonders lange lagerfähig und köstlich.
Bald kultivierten auch klösterlichen Obstgärten des Mittelalters in Europas eine immer breitere Palette von Obst, Gemüse, und Kräutern für Speisen und Arzneien. Äpfel und andere Früchte wurden allerdings zu dieser Zeit  zunächst als aromatische Zutat zum Würzen eingesetzt, weniger zum Verzehr als frische Frucht.
Obst wurde in dieser Zeit eher getrocknet, und dann gebraten oder gekocht verspeist. Gerade getrocknete Äpfel bieten eine Fülle von Aromen.
Eine der wenigen aus dieser Zeit überlieferten Apfelsorten ist die graue französische Renette, die bis heute vor allem in alten Streuobstwiesen kultiviert wird.

Obst für Klöster, Adel und fürs Volk
Die Klöster waren in Europa die Zentren für den Fortschritt bei der Pflanzenkultivierung und Nutzung. In ihrem durch Mauern geschützten und warm gehaltenen, zeitaufwändig gepflegten Gärten wurden auch erstmals mediterrane Gewächse wie Lavendel weiter im Norden gezogen. Diese Mauern sind nicht nur ein Schutz vor Diebstahl und vor wilden Tieren gewesen, sondern waren auch gerade weiter im Norden wichtig, um die teilweise empfindlichen Pflanzen vor dem rauen Winterklima zu schützen. Je nach ihrer Position im Garten konnten dann auch mediterrane Gewächse dort gut gedeihen. In Klöstern standen genug Arbeitskräfte für die schweren Arbeiten wie der Bewässerung, dem Beschneiden bis hin zur Ernte zur Verfügung. Aufgrund ihrer Schriftkunde konnten die Mönche wichtige Informationen zu ihren Pflanzenzuchten niederschreiben und mit anderen Klöstern austauschen. Gleichzeitig sollen diese Gärten aber auch den Mönchen zur Entspannung gedient haben, so wurden etwa Krankenquartiere in der Nähe des Gartens angelegt, damit die Kranken durch die wohltuende Wirkung der Pflanzen schneller genesen sollten.
Wegen des großen Arbeitsaufwands blieben solche Kulturfrüchte zunächst ein Privileg für Könige, den Adel und den Klerus.

Aber bald wurde ihr Nutzen auch für die Ernährung der breiten Bevölkerung deutlich, so sind seit dem Mittelalter Dörfer und Kleinstädte Mitteleuropas häufig mit Gürteln aus Obstgärten umgeben. Oft waren diese Gürtel auch mit Wäldern durchsetzt, die wichtige Wildfrüchte boten wie wilde Apfel- und Birnbäume, Esskastanien oder die im Wald wild wachsenden Johannisbeersträucher. Gleichzeitig dienten Blätter aus dem Wald zur Polsterung der empfindlichen Früchte wie Kirschen beim Transport in die Städte. Die Anlage solcher Gärten mit hochstämmigen Obstbäumen veränderte die Landschaft grundlegend, unsere heutigen Kulturlandschaften entstanden.

Diese neu geschaffenen Obstwälder zeigten ihren Nutzen gerade in Hungerperioden. Darum verordneten Herrscher wie Karl der Große ihren Untertanen die Pflanzung von 16 Baumarten, die meisten davon Obstbäume. Seit dem 16. Jahrhundert etwa gab es für jedes Paar mit Hochzeitsabsicht die Verpflichtung, sechs Obstbäume zu pflanzen und zu pflegen, vorher bekamen sie keine Erlaubnis zum Heiraten.
Auch der pragmatische Preußenkönig Friedrich der Große veranlasste per Order die Anpflanzung von Obstbäumen und das Anlegen von Baumschulen im ganzen Land. Diese Aufforstung war wichtig, da zuvor im Dreißigjährigen Krieg große Teile der Obstgärten Mitteleuropas verwüstet worden waren. Diese Obstbäume dienten sowohl der Ernährung der ortsansässigen Bevölkerung, als auch der Verproviantierung für durchziehende Reisende und durchmarschierende Soldaten.
Ein ganzes Kapitel stellt die Bedeutung und Verbreitung von Obstgärten in England vor. Gerade im aufkommenden Industriezeitalter mit immer größeren Städten sollten sie die arbeitende Bevölkerung mit Früchten und vor allem Cider versorgen. Der berühmte botanische Garten Kew Gardens u. a. für den Zweck angelegt worden, dort von Seereisen und Expeditionen mitgebrachte fremdartige Früchte zu kutivieren und zu prüfen, ob sie zur Ernährung der schnell wachsendne Bevölkerung taugten.

Andere Kapitel beschäftigen sich explizit mit Kirschgärten, die bereits aus der Antike überliefert sind und deren Vielzahl von Kirschen mir heute das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Wie bei anderen Obstsorten wurden dort verschiedene Sorten für verschiedene Zwecke wie Dörren, Schnapsbrennerei oder das Trocknen nebeneinander gepflanzt. Außerdem wurden die Sorten nacheinander reif, sodass über einen langen Zeitraum des Sommers hinweg frische Früchte zur Verfügung standen.
Im 16. Jahrhundert, so das Kapitel „Die Geburt der Pomologie“, begann dann die enzyklopädische und wissenschaftliche Erfassung und Erforschung der Vegetation und auch der Früchte, bei der neben Priestern nun auch Amateuer- oder professionelle Naturforscher eine immer größere Rolle spielten. Aufgrund der Formen- und Farbenvielfalt der Früchte wurde diese Wissenschaft intensiv von Künstlern begleitet. Aus dieser Blütezeit der botanischen Illustration sind viele Porträts von Pflanzen und Früchten überliefert, mit exakter Abbildung der Sorten und von hoher Ästhetik. Durch den aufkommenden, immer günstigeren Buchdruck fanden sie schnell weite Vebreitung.

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Kommentare (11)

  1. #1 thomas
    4. August 2022

    “Diese Kulturäpfel stammen wahrscheinlich aus Wildäpfeln im zentralasiatischen Raum, Malus pumila ist wohl ihre ihr Urahne.”

    Malus sieversii aus Kasachstan ist damit gemeint.

    Malus pumila ist der Kulturapfel, auch als M. domestica bekannt.

    Sehr zu empfehlen ist auch Rosie Sanders’ Apfelbuch.

  2. #2 Aginor
    4. August 2022

    Danke für die Rezension, sie macht auf jeden Fall Lust auf das Buch!

    zur Kulturgeschichte der Obstbäume:
    So rein von der Idee her finde ich es auch naheliegender, dass der Anbau von Obstbäumen älter ist als der Getreideanbau, anstatt umgekehrt. Dass aus den Kernen Bäume wachsen die genau jene Früchte produzieren ist sehr schnell intuitiv erfassbar, ohne irgendwelches großartiges Wissen über Biologie. Wenn man also mehr solche Früchte haben will pflanzt man die Samen in die Erde und passt darauf auf.

    Bis aus irgendwelchen Gräsern das Getreide wird, das man so richtig verwenden kann dauert es länger und wenn sich der Ertrag auch lohnen soll dann ist Züchtung erforderlich. Beim Felder bestellen kann man mehr falsch machen als wenn man so halbwild eine Streuobstwiese anlegt, und ein schon einigermaßen großer Baum ist weniger empflindlich und erfordert weniger Arbeitszeit zur Pflege, im Vergleich zu einem Getreidefeld.
    Wenn man sich die Lebensweise der Menschen in jener Zeit anschaut dann leuchtet es schon ein, finde ich.

    Gruß
    Aginor

  3. #3 Bettina Wurche
    4. August 2022

    @thomas: Dankeschön! Ich habe es korrigiert.

  4. #4 Bettina Wurche
    4. August 2022

    @Aginor: Da bin ich hin- und hergerissen. Mit Getreide bekommt man halt viele Menschen schnell satt und es lässt sich lange lagern. Darum denke ich, dass Getreideanbau die Entwicklung von größeren Siedlungen ermöglicht haben dürfte.
    Mit Obst wäre das schwieriger.

  5. #5 rolak
    4. August 2022

    selbst sammelnd

    Oh ja! Zur Zeit ua Brombeeren, die vom Nachbargrundstück in die Firmeneinfahrt wachsen – MI-FR naschen nach Feierabend, DI WochenendErnte. Letzte Woche gabs einen BrombeerMichel, gestern zum Kaffeeklatsch die Beeren zusammen mit Äpfeln in Blätterteig, saure Sahne dabei^^

    Selbst anbauen eher in der Größenordnung Balkon, aber das Buch werde ich mir trotzdem mal ansehen, alte Gentechnik in alten Kulturen ist halt schon ziemlich interessant…

  6. #6 Bettina Wurche
    4. August 2022

    @rolak: Oh ja, das hört sich lecker an! Brombeeren schmecken auch toll im Käsekuchen und überhaupt fast allem : )
    Gentechnik kommt eher nciht vor, es geht eher um tradierte Zucht durch Auslese, Pfropfen,…

  7. #7 nix
    4. August 2022

    Eckart Brandt

  8. #8 Bettina Wurche
    4. August 2022

    @nix: qué?

  9. #9 Ales
    Köln
    4. August 2022

    Kleiner Literaturtipp zum Thema:
    Patrick Roberts: “Die Wurzeln des Menschen” in dem u.A. darum geht, wie der Mensch zu seiner Nahrung kam:
    https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-die-wurzeln-des-menschen/1949143

  10. #10 rolak
    4. August 2022

    geht eher um tradierte Zucht

    ..die halt letztlich ebenfalls den Gensatz abändert(e) – wenn auch deutlich unkontrollierter als es heutzutage möglich ist, sowohl bei klassischer Zucht als auch bei neueren Techniken.

    Imho/zeitlich erlebt dürfte ‘enthält rekombinante’ aka selbstgestrickte DNA mehr ein MarketingDing sein, um großzügig zwischen ‘natürlich’ und ‘GMO’, zwischen gut&böse abgrenzen zu können, inklusive dergleichen.

  11. #11 thomas
    6. August 2022

    Musikalisch passt Ian Dury’s Titel “Apples” gut.