Am Strand von Koshino in der Nähe von Fukui, Japan sind im Juli und August mehrere Badegäste von Delfinen gebissen worden. Die japanische Zeitung Mainichi zitiert die lokale Polizei, dass zwischen dem 24. Juli und dem 12. August an drei Stränden 17 solcher Delfin-Angriffe auf Schwimmer vorkamen. Von den Geschehnissen im seichten Wasser vor dem Koshino Beach und Takasu Beach Stadt Fukui berichteten auch andere Medien.
Two more swimmers bitten by dolphin in Fukui City, #Japan: At least one man was taken to hospital on Thursday for non life threatening injuries.
Local officials believe the same dolphin is behind at least six similar attacks this summer. pic.twitter.com/AKqOYuyScg
— 鳳凰資訊 PhoenixTV News (@PhoenixTV_News) August 12, 2022
Ein älterer Mann schwamm am Strand von Takasu weniger als vier Meter vom Ufer entfernt, als er in den rechten Arm gebissen wurde: „Ich hatte in den Nachrichten von dem Delphin gehört und wollte eigentlich sofort aus dem Wasser steigen, wenn ich ihn sehen würde. Aber als ich ihn dann bemerkte, war er schon direkt neben mir“, sagte er dem Mainichi. Der Mann sagte, er habe versucht, das Maul des Delphins aufzuhebeln, aber der Meeressäuger weigerte sich, seinen Arm loszulassen. Der Mann hatte den Eindruck, dass der Delfin ihn fast unter Wasser zu drücken versuchte. „Ich geriet in Panik, aber ich wurde gerettet, als jemand in der Nähe den Meeressäuger wegtrieb“.
Die Opfer erlitten oberflächliche Bisse in Finger, Hände und Arme, nur ein Mann hatte eine tiefere Bisswunde am Daumen, die im Krankenhaus genäht werden musste.
Das Video im Mainichi-Artikel zeigt eine Rauferei zwischen einem Mann und einem Delfin. Der Mann war mit seinem auf einer Luftmatratze sitzenden Kind im Wasser. Laut dem Echizen Matsushima Aquarium in Fukui ist der Delfin hinter dem Chaos ein Indopazifischer Tümmler (Tursiops aduncus) sein. Die Mitarbeiter des Aquariums stellten fest, dass die Angriffe wahrscheinlich von demselben Delfin stammten, der anhand von Beschreibungen identifiziert wurde und erstmals im April gesehen wurde.
Weitere Filme zeigen Interaktion, an deren Ende der Delphin einen fliehenden Mann verfolgt und beißt. Die japanischen Behörden gehen davon aus, dass für mindestens sechs der Vorfälle der gleiche Große Tümmler verantwortlich war. Zum Schutz der Badegäste haben die Behörden nun Ultraschallsender entlang des Strandes installiert, die Delfine abschrecken sollen. Außerdem warnen sie Schwimmer davor, sich Delfinen zu nähern.
Die japanischen Behörden reagieren angenehm unaufgeregt: „Wir ermutigen Besucher, den Delfin aus der Ferne zu beobachten, wenn er sich am Strand zeigt.“, sagte der Beamte. (Das erinnert mich an eine Situation, als durch ein Unwetter ein Japanischer Riesensalamander auf einmal aus dem Kamogawa-Fluß mitten in Kyoto gespült wurde: Ein Spaziergänger nahm seinen aufgeregten Hund an die Leine und rief die Polizei – „Der Molch wurde von der herbeigerufenen Polizei wieder in den Fluss zurückgebracht. Niemand würde einem solchen Tier etwas zuleide tun.“).
Der Strand ist sowohl bei Menschen als auch Delfinen beliebt, die intelligenten und oft verspielten Meeressäuger kommen hier bis ins knietiefe Wasser an die Badegäste heran. Normalerweise gehen sie friedlich miteinander um. Nun stellt sich die Frage, warum hier ein oder mehrere Tümmler rabiat wurden. In den Videos der Delfinangriffe fehlen mir immer die Minuten davor. Die Bisse in Finger, Hände und Arme lassen mich vermuten, dass die Menschen nach dem Kleinwal gegriffen haben.
Bei einem anderen Angriff wurden wohl Schwimmer gebissen, nachdem sie versucht hatten, ein Foto mit dem Tier zu machen.
Das wäre für mich eine schlüssige Erklärung: Wildtiere werden ungern angefasst, falls Menschen es dennoch versuchen, verteidigen sich die Tiere mit Bissen, Kratzern, Tritten oder Rempeleien.
Dass Menschen gegenüber Tieren (und Pflanzen) keinen respektvollen Abstand halten, ist Teil eines Bildungsmangels zu Naturthemen, mangelndem Verstand und einer durch irreführende Medienberichte aufgebauten falschen Erwartungshaltung.
Ein lokaler Kaffeehausbesitzer erzählte, dass er schon häufiger beobachtet hätte, dass an diesem Strand Delfine Menschen schubsen. In diesem Jahr seien die Meeressäuger allerdings deutlich rabiater geworden und würden sich regelrecht auf die Menschen stürzen.
Mittlerweile scheint es keine weiteren Interaktionen zu geben – ob die Menschen Abstand halten, die akustischen Scheuchgeräte wirken oder der Delfin sich beruhigt hat, ist nicht geklärt.
Ob es für die Verhaltensänderung der Delfine einen Auslöser gegeben hat, ist nicht bekannt.
Delfine sind keine Kuscheltiere
Wenn ich jemandem erzähle, dass ich mit Walen gearbeitet habe, ist die erste Frage immer, ob ich mit den Meeressäugern geschwommen bin. Nein, natürlich nicht. Meine Schnabelwal-Forschung habe ich an Schädeln in Museumssammlungen durchgeführt. Bestandsaufnahmen haben wir in antarktischen Gewässern von einem Forschungseisbrecher aus durchgeführt – schnelle Finnwale würde man an sich vorbeischwimmen sehen und bei 12°C Wassertemperatur macht schwimmen vielleicht auch keinen Spaß. Zumal die Bestandsschätzungen am besten von möglichst weit oben klappen. Auch die tieftauchenden Pottwal-Bullen in nordnorwegischen Gewässern sind nicht unbedingt aufs Kuscheln aus. Als wir bei einer Pottwal-Safari großmäulige deutsche Extremtouristen dabei hatten, die bei 12°C Wassertemperatur neben den Walen tauchen wollten, haben wir Guides die einfach reden lassen – am nächsten Tag draußen auf See war natürlich keine Rede mehr davon.
Entgegen der in breiten Teilen der Öffentlichkeit herrschenden Meinung sind Delfine und andere Wale keinesfalls begeistert, wenn Menschen mit ihnen schwimmen wollen. Gerade Delfine tragen immer noch schwer an der Ära „Flipper“. Oft sind sie ja auch neugierig und nähern sich Booten, reiten in der Bugwelle von Schiffen oder suchen manchmal sogar die Interaktion mit Schwimmenden. Allerdings sollte man dann einfach den Moment genießen und nicht unbedingt versuchen, nach ihnen zu grabschen oder unbedingt ein gemeinsames Selfie aufnehmen zu wollen. Das mögen sie nämlich nicht, sondern finden das sogar oft extrem stressig (Darum bitte auch Hotelanlagen, die Schwimmen mit gefangenen Delfinen anbieten, meiden). Und dann sollte man sich noch klar machen, dass ein Indopazifischer Großer Tümmler 2,60 Meter lang und bis zu 230 Kilogramm (Kein Schreibfehler!) schwer wird und sich im Wasser wesentlich geschickter als wir bewegt. Diese Kleinwale sind pralle Muskelpakete und können einem Menschen schnell durch einen Rempler die Rippen oder Extremitäten brechen. Ihr Gebiß besteht aus 20 bis 29 Zähnen pro Kieferhälte und durchlöchert Fische und Tintenfische zuverlässig, „piercing“, nennen Biologen das. Dass der genervte Kleinwal am japanischen Badestrand nur etwas zugeschnappt hat, zeigt, dass er wohl genervt, aber nicht wirklich aggressiv war.
Dass Delfine weltweit unter Artenschutz stehen, bedeutet übrigens auch, dass man sie nicht scheuchen, angrabbeln oder anderweitig nerven sollte.
Delfine sind gewandte Jäger mit tödlichen Gebissen, die selbst kräftige und schnelle Meereswesen wie große Fische oder intelligente Kopffüßer überwältigen und verspeisen. Als Top-Prädatoren sind sie nicht immer nett zu anderen Meeresbewohnern, nicht einmal zu anderen Walen und ihren eigene Gruppenmitgliedern: Manche mobben und verletzen Weibchen und Jungtiere.
Gerade Tursiops-Bullen sind mittlerweile dafür bekannt, dass sie in manchen Beständen kleinere Wale töten: Vor Schottland haben ein Delfinbulle bzw. eine Gang schon mehrfach Kälber der eigenen Gruppe getötet, solche Infantizide sind bei Walen selten (Allerdings mittlerweile auch bei Orcas beobachtet). Die bis zu 3,5 Meter großen Tursiops-Bullen vor Schottland prügeln immer wieder junge Schweinswale zu Tode, die dann mit schwersten Bißwunden und Knochenbrüchen tot an den Stränden angespült werden.
Auch sexuell motivierte Gewalt kommt immer wieder vor. Manche Bullen schüchtern die Weibchen definitiv durch Drohungen, Gewalt und andere Schikanen ein, um sie zur Kopulation zu bewegen. VerhaltensforscherInnen diskutieren bis heute, ob männliche Delfine Weibchen vergewaltigen, weil das eine moralische und juristische Komponente beinhaltet. Außerdem zeigen Delfine manchmal sexuell motiviertes Verhalten gegenüber anderen Arten und Menschen, dabei handelt es sich nach Aussage der Verhaltensbiologie aber um sexual coercion, was nicht der Reproduktion dient. Es ist wohl vielmehr das sogenannte Aufreiten, ein bei Säugetieren verschiedenster Spezies übliches Verhalten. Delfine beider Geschlechter und aller Altersgruppen können es zeigen. Es kommt auch vor, dass Weibchen bei Männchen aufreiten und Jungtiere bei ihren Müttern. Die möglichen verhaltensbiologischen Erklärungen reichen von spielerischem Verhalten und Bestätigen von Freundschaft bis zu Dominanz- und Aggressions-Verhalten (Diese Diskussion ist ausführlicher hier zu finden).
Dusty, der genervte Delfin
Angriffe von Großen Tümmlern auf Menschen sind selten, kommen aber immer wieder vor. 2013 kam es in Irland innerhalb von zehn Tagen immer wieder zu Angriffen durch denselben Delfin namens „Dusty“ an der Küste vor dem County Clare. Das erwachsene Weibchen war ein regelmäßiger Gast vor der Küste, wie es dort manchmal vorkommt. Normalerweise sind solche Delfine dann lokale Attraktionen und interagieren mit Badegästen und Booten. 2013 rammte „Dusty“ allerdings ohne ersichtlichen Grund innerhalb von zehn Tagen zwei Frauen: Die erste Schwimmerin erlitt Rippenfrakturen, geprellte Wirbel und Lungenschäden, die andere Schwimmerin brauchte nach einem Rammstoß in den Unterleib medizinische Versorgung.
Der irische Wal-Experte Simon Berrow, Executive Officer der IWDG, sagte, Dusty sei ein erwachsener, weiblicher Großer Tümmler, der vor etwa 15 Jahren zum ersten Mal von irischen Fischern vor der Küste von County Clare gesichtet wurde. Ihre Bewegungen würden seit dem Jahr 2000 verfolgt und sie sei zu einer beliebten Attraktion in der Gegend von Doolin geworden. Er sagte auch, die beiden Frauen seien nicht die ersten Menschen, die in den letzten Jahren von Dusty ernsthaft verletzt worden seien. Die Gruppe berichtete, dass es mindestens drei weitere Vorfälle gegeben habe, bei denen Menschen von dem Delphin so hart gerammt worden seien, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert worden seien.
2014 mussten ebenfalls vor der Irischen Küste in der Bucht von Galway fünf Schwimmer gerettet werden, die von einem aggressiven Delfin in die Enge getrieben worden waren. Der Meeressäuger hatte die Schwimmenden nicht angegriffen, sie jedoch umkreist und sei dann „in einschüchternder Weise“ auf sie zugeschwommen. Die Besatzung eines Fischerboots hatte ihre Notlage bemerkt und das Boot zwischen die Menschen und den Delfin geschoben. Kurz danach kam auch ein Boot der alarmierten Royal National Lifeboat Institution (RNLI) und geleitete die Schwimmenden sicher zurück an den Strand. Auch die RNLI-Mannschaft hatte das Verhalten des Delfins als aggressiv eingeschätzt.
Dieses CNN-Video zeigt Dusty, die aufgeregt das Wasser aufwühlt und mit dem Schwanz schlägt, und einige Menschen, die sie im Wasser stehend umringen. “Angry dolphin caught attacking people” halte ich für falsch. Für mich sieht es so aus, als wolle der Delfin sich Platz schaffen. Warum die Badenden nicht gleich von sich aus mehr Abstand zu dem offensichtlich aufgeregt agierenden Meeressäuger halten, ist mir unbegreiflich.
Vor den Küsten der Britischen Inseln leben mehrere Bestände Großer Tümmler (Tursiops truncatus). Immer wieder gibt es einzelne Delfine, die lange Zeit, oft über Jahre hinweg, an einem Küstenabschnitt heimisch werden. „Dusty“ hat , die gute Informationen auch über andere Walsichtungen und -strandungen an den Irischen Küsten bietet.
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