Die Zähne und Wangenknochen der Frau lassen eine mögliche Ursache ihres Todes erkennen: Einige Oberkiefer-Schneidezähne sind extrem abgerieben, so dass die Zahnmarkkanäle freiliegen. So konnten in den offen liegenden Wurzelkanälen eitrige Entzündungen entstehen. Nach und nach griff die Infektion auf das Knochengewebe im Bereich von Oberlippe und rechter Wange über und löste den Knochen auf. Diese Entzündung könnte schließlich zu einer Blutvergiftung geführt haben und dann zum Tod.
Die Neu-Untersuchungen des Skeletts und des Schädels ergaben noch einen weiteren interessanten Befund: Eine Fehlbildung im Bereich des Hinterhauptslochs (Foramen magnum) und der zweiten Nackenwirbels, des Axis. Dadurch könnte bei bestimmte Kopfhaltungen die Blutgefäße und Blutzufuhr zum Schädel eingeschränkt haben. Einige Wissenschaftler mutmaßen, dass die Frau zu Lebzeiten durch extreme Haltungen ihres Kopfes vielleicht sogar absichtlich eine Ohnmacht herbeiführen konnte.
Solche anderen Bewusstseinszustände und bewusste oder unbewusste Trancen durch berauschende Substanzen oder Medikamente wurden und werden mit Kontakten zur Geisterwelt assoziiert. Ein Beispiel dafür ist die in Sibirien entdeckte mumifizierte Skythen-Prinzessin Ukok. Sie ist wohl an Brustkrebs gestorben und hatte vermutlich zur Betäubung der Schmerzen des metastasierten Krebses Cannabis genommen.
Die körperliche Fehlbildung der Schamanin von Bad Dürrenberg könnte beabsichtigte oder unbeabsichtigte Trancezustände und Ohnmachten hervorgerufen haben und als eine Brücke zur Geisterwelt eingesetzt worden sein. Das ist allerdings Spekulation, einen letztendlichen Beweis gibt es dafür nicht.
Die reichen und ungewöhnlichen Grabbeigaben im Kontext mit der Fehlbildung lassen in ihr eine spirituelle Figur vermuten, eine Schamanin: Eine Sammlung winziger Schneidwerkzeugen aus Stein war offenbar ein Werkzeugsatz, aufbewahrt in einem Stück hohlen Kranichknochens. Außerdem wurden durchbohrte Keilerhauer und Hirschzähne gefunden, die wahrscheinlich zu dem Kopfschmuck gehörten. Dieser Kopfputz wird als Haube aus Rehschädel und -fell rekonstruiert, von deren Vorderkante die Hirschzähne hingen, die beiden langen, polierten Elfenbein-Hauer reichten rechts und links des Gesichts fast bis zu den Schultern. Diese außergewöhnlichen Grabbeigaben weisen auf den hohen Status und ihre herausragende Position hin. Diese Hirschkappe aus Fell, Schädel und Geweih erinnert an manche heutige Trachten indigener Schamanen und einige archäologische Funde aus Yorkshire, dem mesolithischen Star Carr. Die große Vielfalt der im Grab repräsentierten Tierarten waren sicherlich nicht nur ein Nahrungsvorrat für die Tote. Archäologen interpretieren aufgrund der ethnographischen Vergleiche mit indigenen Völkern der Gegenwart und Vergangenheit zumindest manche Objekte wie die Rehgeweihe, das Tierzahngehänge sowie die Schildkrötenpanzer als Requisiten schamanistischer Praktiken. Außerdem enthielt das Grab noch Reste vieler verschiedener Arten von Wald-Tieren.
Auf dem Boden der Grube fanden die Forscher Spuren, die wie Abdrücke eines Korbgeflechts aus Weidenruten aussehen, außerdem waren im Grab einige Rötelspuren zu sehen. Das sieht danach aus, als ob die beiden Leichen in einem Weidenkorb bestattet worden seien. Rötelstein ist eine weiche Mischung aus Ton und Hämatit (Fe2O3), dem roten Eisenoxidmineral. Als eines der wenigen roten Pigmente war Rötel rar und begehrt, es wurde seit der Altsteinzeit abgebaut und etwa bei Höhlenmalereien in Altamira eingesetzt. Das rote mineralische Pigment hatte zumindest in der Steinzeit garantiert eine kultische Bedeutung. Ein Rötelstein nebst einem Langknochen, dessen verfärbtes Ende offenbar zum Farbauftrag benutzt wurde, unterstreichen die wichtige Position der Frau.
Bei der Nachgrabung im Kurpark kam wenige Meter entfernt noch eine wertvolle Opfergabe zum Vorschein: Zwei bearbeitete Schädel mit Geweih von kapitalen Hirschen. Sogenannte Geweih-Kappen, wie sie auch aus anderen mesolithischen Fundstätten bekannt sind und die in einen kultischen Kontext gestellt werden. Die 21 Hirschmasken aus Star Carr sind allerdings mit zwei Löchern durchbohrt, während von den deutschen Reh- und Hirschmasken nur eine möglicherweise solche Löcher hatte. Wegen der schlechten Erhaltung des Materials ist das nicht genau zu sagen, „keksartig“ nennen die Präparatoren die Konsistenz. Die beiden Geweihkappen waren mit der Vorderseite zur Schamanin gerichtet in einer flachen Grube eingegraben worden und 600 Jahre jünger als die Tote.
Diese Hirschgeweihmasken untermauern die Annahme, die Tote sei Schamanin gewesen. Die Archäologen interpretieren diese spätere Opfergabe so, dass das Grab der Schamanin auch lange nach ihrem Tod über Jahrhunderte hinweg noch verehrt wurde, möglicherweise war ihr Grab eine Art Wallfahrtsstätte.
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