Das CERN wirft also Microsoftprodukte über Bord. Diese Meldung kam bereits vor Weihnachten in die Presse, u. a. heise und der Standard schrieben darüber. Im vorweihnachtlichen Stress habe ich die Meldungen aber nicht wahrgenommen, finde ich aber bemerkenswert und so schreibe ich heute darüber.

Ursache und Maßnahmen beim CERN

Das CERN hat seine Hintergründe in einem Blog-Beitrag beschrieben. Demgemäß ist einer der Hauptgründe für die angestrebte Migration weg von Produkten des Hauses Microsoft der Verlust des Status als “akademische Institution”. Die Mitarbeiter haben das MALT-Projekt begonnen, das die notwendigen Maßnahmen bündelt und geben noch weitere Gründe an:

  • Deliver the same service to every category of CERN personnel
  • Avoid vendor lock-in to decrease risk and dependency
  • Keep hands on the data
  • Address the common use-cases

Also, wenn es um Schulen und Hochschulen, kleine und große Firmen geht: Stehen die nicht alle zu einem gewissen Grad vor denselben Herausforderungen? Auch wissenschaftliche Felder befinden sich teils im vendor lock-in: Die Beispielkette könnte sehr lang werden.

Dem CERN-Projekt wünsche ich viel Erfolg. Vielleicht wird das CERN wieder einmal Trendsetter? Jedenfalls handelt es sich nicht um ein Transitionsprojekt, sondern um eine Kette von Projekten und die Statusseite spricht Bände: Das wird nicht einfach, der Aufwand ist groß und sollte auch andernorts nicht unterschätzt werden.

Abwarten, was beim CERN draus wird. Über die Schwierigkeiten und Beweggründe von Microsoft wegzugehen kann insbesondere der ehemalige Bürgermeister Münchens Einiges beitragen (auch schon einige Zeit her, das Interview); sehr lesenswert:

Münchens Ex-OB Christian Ude im Interview

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Kommentare (12)

  1. #1 Thilo
    2. Januar 2020

    Die Stadtverwaltung München hatte vor längerer Zeit (2003?) mal Microsoft rausgeworfen, die SPD machte damit sogar Wahlkampf („Mehr Linux, mehr Freiheit“). Vor kurzem ist man wieder zu Microsoft zurückgekehrt. Gründe weiß ich nicht.

    • #2 Christian Meesters
      3. Januar 2020

      Hallo Thilo,

      Hm, ich habe einen Link beigefügt vom Interview des Linux-Magazins mit Herrn Ude. Der sollte sich eigentlich ausklappen und nicht zu übersehen sein. Wenn er das natürlich bei Dir nicht gemacht hat, vielleicht ganz verborgen ist, dann kann man ihn wohl leicht übersehen. In dem Fall: Welches OS und welchen Browser nutzt Du?

      Gruß,
      Christian

  2. #3 Sedeo
    2. Januar 2020

    Das ist ein größeres Thema.
    Microsoft plant, ab 2025 verschiedene Dienste (u.a. Office) nicht mehr on premise bereitzustellen – ab dann wird das nur noch in der Cloud nutzbar sein.

    Ob man dann bei Microsoft bleiben kann ist eine schwere Entscheidung für alle, insbesondere auch für Behörden. Bei denen bringt die Abhängigkeit zu nicht-deutschen Unternehmen Schwierigkeiten, u.a. bei Maßnahmen in Katastrophen-Fällen, mit sich (z.B. für den Kriegsfall gibt es entsprechende Notfallpläne, die die Behörden umzusetzen haben)

    Das ist insgesamt jetzt schon ein Thema. Aber mit dem Cloud-Zwang ab 2025 bekommt das noch mal eine neue Dimension, weil ja dann auch die Nutzdaten aus der Hand gegeben werden. Microsoft plant zwar Cloud-Standorte in Deutschland, aber gesetzlich ist das Thema damit noch lange nicht abschließend geregelt. Was Microsoft mit den Daten von Behörden anstellen darf muss juristisch einwandfrei sein, und auch in Katastrophen-Fällen muss die vertraglich definierte Leistung bereitstehen.

    Ich sehe die Entwicklung auch kritisch. Microsoft ist ja nicht die einzige Firma, die die Kunden in die Cloud drängt. Sind die Daten von Unternehmen, Behörden, Schulen da wirklich gut aufgehoben? “Keep hands on the Data” triffts gut.

    Das könnte schon klappen, wenn die vertraglichen Rahmenbedingungen stimmen (und z.B. Vertragsstrafen bei Verstößen umsetzbar sind), aber da müssen erst mal die Juristen ran. Am besten wär’s wenn die Rahmenbedingungen auf EU-Ebene geschaffen würden, aber da sehe ich bisher keine Aktionen.

    • #4 Christian Meesters
      3. Januar 2020

      Das ist ein größeres Thema.

      Das war auch mal ein viel längerer Artikel. Aber dann habe ich mir gedacht: Leser können auch selber denken. Und siehe da: Funktioniert. 😉

  3. #5 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    3. Januar 2020

    > Das CERN wirft Microsoft raus – und was folgt daraus?

    Eine wahrhaft komische Überschrift. Die Leute beim CERN formulieren das Ziel perfekt:

    Why change Approach? To ensure we are back in the driving seat.

    Approach to IT Service Provisioning

    Choosing a strategy for IT service provisioning involves balancing orthogonal factors such as efficiency, agility and cost. Concerns about the rising risks of technology lock-in of integrated suites, and data lock-in of closed technologies stimulated us to reassess this balance and study alternative ways to deploy more loosely coupled services with cleanly defined interfaces, in a “micro-services” style.

    Tipping Point

    Recent sharp increases in the cost of many licenced software products triggered us to accelerate this realignment more globally across IT Department’s service portfolio.

    https://malt.web.cern.ch/malt/global/info/

    Die IT ist erst dann aus den Kinderschuhen heraus, wenn Software so einfach ausgetauscht werden kann wie die Starterbatterie beim Auto. Bis dahin dauert es noch. Doch die Zeichen sind nicht zu verkennen, z.B. bei Avianca:

    Überblick

    Avianca hatte im Zuge des Ausbaus ihres Unternehmensportfolios und des Erwerbs neuer Fluggesellschaften (und deren veralteter technologischen Systeme) Schwierigkeiten damit, ihren Fluggästen durchweg qualitativ hochwertige Services bieten zu können. Die Fluggesellschaft integrierte mittels Red Hat® JBoss® Middleware Anwendungen für die gesamte Organisation und konnte unmittelbar Verbesserungen beim Kundenerlebnis feststellen.

    https://www.redhat.com/de/success-stories/avianca

    • #6 Christian Meesters
      3. Januar 2020

      Eine wahrhaft komische Überschrift. Die Leute beim CERN formulieren das Ziel perfekt:

      Nun, DAS Ziel ist auch nicht gemeint, sondern eben die Frage was aus der Geschichte wird – ich werde das verfolgen.

      Die IT ist erst dann aus den Kinderschuhen heraus, wenn Software so einfach ausgetauscht werden kann wie die Starterbatterie beim Auto.

      Ein toller Wunsch, dem ich mich nur anschließen kann. Allerdings: Schon mal versucht z. B. eine Groupware auszutauschen? Und: Ist die PR eines Unternehmens eine belastbare Quelle, um Schwierigkeiten für eine x-beliebige Organisation für ein ähnliches Vorhaben abzuschätzen?

  4. #7 rolak
    3. Januar 2020

    sollte (..) nicht zu übersehen sein

    Nu, vielleicht leidet Thilo an derselben Konditionierung wie meiner einer: eingebundene WordPress-, Twitter-, <chat or the like>-Bröckchen zu screenshotartig zu sehen. Trotz langem, intensiven Gegentraining kann immer noch je nach Tagesform schneller reflexgetrieben Text in die Suchmaschine gehackt sein als der garnichtsoverborgene Direktzugang gefunden. Wie eben hier die unter ‘weiterlesen’ bzw ‘pic(Sprechblase) 9’

  5. #8 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    3. Januar 2020

    > #6 Christian Meesters, 3. Januar 2020
    > Ist die PR eines Unternehmens eine belastbare Quelle, um Schwierigkeiten für eine x-beliebige Organisation für ein ähnliches Vorhaben abzuschätzen?

    Im vorliegenden Fall ist Microsoft abgeblitzt, in München haben sie sich durchgesetzt. Bei Avianca weht der raue Wind des Wettbewerbs in der Luftfahrt. Die Münchner Verwaltung liegt dem Steuerzahler auf der Tasche. Dieser kann sich der parasitären Organisation nicht nicht erwehren.

    Wenn es tatsächlich Wettbewerb gibt verschwindet Windows schnell vom Markt, z.B. bei Smartphones oder den Top500.

    Microsoft kennt neuerdings keine Berührungsängste mehr. Wenn es ums Geld geht ersetzt Microsoft Windows durch Linux. Bei Azure hat Linux eine größeren Anteil als Windows.

    • #9 Christian Meesters
      3. Januar 2020

      Wenn es tatsächlich Wettbewerb gibt verschwindet Windows schnell vom Markt, z.B. bei Smartphones oder den Top500.

      Ja, da sind bloß viel IT-affinere Entscheidungsträger. Ich glaube wir teilen die Hoffnung, aber nicht den Optimismus. Ein Kollege, vor ein paar Jahren arbeitete ich in einer Firma, sagte mir einmal:

      (MS-)Office ist nun mal Industriestandart.

      DAS ist natürlich vollkommener Blödsinn! Und zugleich völlig wahr! Auch wenn nie jemand das Arbeiten damit als Standard definiert hat: Microsoft-Produkte sind in öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen derart weit verbreitet, dass man durchaus von einem Standard in den Büros unserer Republik (und anderswo) sprechen kann. Texte werden so ausgetauscht, die Groupware wird von Microsoft gekauft, viel Spezialsoftware in den Büros läuft ausschließlich auf Windows und weist MS-Office-Schnittstellen auf.

      So könnte ich ein Microsoft-Bashing starten. Aber will ich dem vollständigen Ersatz proprietärer Software nicht das Wort reden. Im Gegenteil: Zu einem diversifizierten Softwareökosystem gehören auch proprietäre Produkte, insbesondere wenn es keine (gute) offene und freie Softwarealternative gibt (was immer noch vorkommt). Die Leute, die die IT-Arbeit auf administrativer Ebene und der Entwicklung bewältigen sollen bezahlt werden! In der Welt der freien Software gibt es Finanzierungslösungen Lösungen (z. B. Stiftungen und Vereine), aber die gibt es nicht in jeder Nische (kann es nicht überall geben, weil es nicht für jede Nische Finanziers gibt). Somit haben auch proprietäre Lösungen ihre Berechtigung.

      Ich komme vom Thema ab … Das Zitat eben deutet auf vendor locked-in hin, zumindest in vielen KMUs:

      • In Schulen werden SchülerInnen explizit aufgefordert Präsentation mit MS-PowerPoint zu machen oder einen Text in MS-Word abzugeben. Vielfach fehlt offenbar die Fantasie, dass man mit alternativer Software gleichwertige Arbeit machen kann und das wird SchülerInnen verwehrt — mit den entsprechenden Kosten für die Eltern. Ein Symptom für digitales locked-in? Und: Wenn es dabei bleibt: Ist so etwas eine nachhaltige Förderung der Digitalkompetenz?
      • Nach langem Hin und Her gibt es ein Mindestalter für die Nutzung von WhatsApp. Schulen verbieten den Dienst und fördern zugleich den Austausch über diesen Dienst. Alternative Dienste, die nicht die Daten zu Facebook weitergeben und zugleich größere Datenautonomie garantieren? Fehlanzeige (jedenfalls in meinem schulischen Umfeld). Ein Symptom für digitales locked-in? Zeichen für Digitalkompetenz?
      • Universitäten machen sich mit Mühe von einem Publikationswesen frei, bei dem sie mehrfach teuer bezahlen und fördern stattdessen OpenAccess. Zugleich gelingt es nicht freie Alternativen zu fördern. Dabei könnte das sinnvoll sein: Die Lizenzkosten für wissenschaftliche Software sind nicht unerheblich und doch sind freie Alternativen für symbolische Mathematik rar (obwohl es sie gibt), setzen Felder wie das Neuro-Imaging stark auf Matlab, obwohl der Skalierbarkeit Grenzen gesetzt sind (wenn man nicht viel mehr Geld ausgeben will) und es auch hier Alternativen gibt (div. Bibliotheken für div. Programmiersprachen). Die Beispielkette könnte sehr lang werden.
      • In der Vergangenheit gab es immer wieder Initiativen, die versuchen eine freie Groupware an Universitäten zu etablieren. Das Gros der Universitäten verwendet Outlook/Exchange. Ein Symptom für digitales locked-in?

      Sind es die günstigen Lizenzen für Schulen und Universitäten, die dazu führen, dass in Unternehmen und Behörden bis zur Bundeswehr die Nutzung von Microsoftprodukten stark verbreitet ist? Symptom für digitales locked-in und die Auswirkung zugleich?

      Alternativen zu etablieren könnte sich allerdings gesellschaftlich lohnen: Schließlich gehen für Software-Lizenzen Millionen und Abermillionen Euros drauf. Und nicht jede Alternative muss frei sein. Allein Alternativen auf dem Markt zu haben, könnte die Kosten massiv senken. (Und auch freie Software will gewartet und administriert sein.)

      Ich glaube, da sind wir uns einig — allein ich befürchte auch, dass das vendor locked-in schon so stark ist, dass wir an vielen Orten mit extrem hohen Opportunitätskosten rechnen müssen. Ob etwaige Cloud-Ideen von MS dazu führen, dass ein tipping-point erreicht wird? Das bleibt abzuwarten. Noch haben wir (ehemalige) Entscheidungsträger, die so denken:

      Warum setzt man nicht Schüler als Systemadministratoren für die digitale Infrastruktur der Schule ein? Das können sie besser als viele Lehrer.

      DAS, lieber Herr De Maizière, ist Quatsch mit Soße (Zitat)! Ja, es mag in diesem Bereich kompetente Schüler und inkompetente Lehrer geben. Aber

      1. kann man sich in Produktivsystemen nicht auf Kräfte verlassen, die nur kurze Zeit in einem System sind (=Schüler).
      2. handelt es sich um eine qualifizierte Tätigkeit, die auch entlohnt gehört
      3. haben Lehrer schlicht andere Aufgaben (und da sollen sie kompetent sein) und
      4. ist das ein Denken, dass die Turnschuhadministration der 90er widerspiegelt.

      Nur, auch wenn die Zeit fortgeschritten ist: Das Denken ist es an vielen Orten noch nicht. Die Security-Krisen der letzten Monate sprechen Bände.

      M.a.W. Sie haben vollkommen recht. Es gibt nur (leider) auch eine andere Welt.

  6. #10 Blaire
    4. Januar 2020

    “wenn es Wettbewerb gibt verschwindet Windows”

    Junge, wo lebst du?

    edit: Bitte keine provokanten Beleidigungen verwenden, danke.

    Mann Mann Mann…

  7. #11 haarigertroll
    4. Januar 2020

    “Sind es die günstigen Lizenzen für Schulen und Universitäten, die dazu führen, dass in Unternehmen und Behörden bis zur Bundeswehr die Nutzung von Microsoftprodukten stark verbreitet ist? Symptom für digitales locked-in und die Auswirkung zugleich?”

    Das ist sicher ein zentraler Punkt. Gerade Universitäten werden ja aggressiv von den Softwarefirmen marketingmäßig beackert.

    Damals als ich noch an der Uni gearbeitet habe, gab’s für alle Hochschulangehörigen u.A. das volle MSDN-Paket mit allen Windows-Versionen, der kompletten VisualStudio-Entwicklungsumgebung, und Matlab mit dem kompletten Satz Bibliotheken.

    Entsprechend waren die Lehrveranstaltungen spezifisch auf z.B. C++ mit Visual Studio oder Matlab/Simulink/Stateflow ausgerichtet.

    Und es funktioniert! Die meisten meiner jungen Kollegen kommen, sobald sie mal mehr Messdaten plotten müssen als (natürlich MS) Excel verträgt, mit einer Bedarfsmeldung zum Chef und wollen Matlab.

    Bis man ihnen dann mal zeigt, dass das in der Numpy/Scipy-Welt genauso gut und komfortabel geht und schon hat sich die Firma 2000€ gespart…

    Natürlich, es gibt immer Anwendungsfelder, wo es keine sinnvolle Alternative zu proprietärer Software gibt. Z.B. für CAD oder FEM kenne ich kaum freie Lösungen, die mit vertretbarem Aufwand zum Ziel führen.

    Aber es lohnt sich immer, die Augen nach Alternativen offen zu halten, selbst wenn man nach diesen etwas suchen muss.

    Aber, um zum Ursprung zurückzukehren, da sollten gerade Schulen und Universitäten in die Pflicht genommen, aber auch personell entsprechend ausgestattet werden!

  8. #12 demolog
    15. Januar 2020

    Das die Software den Universitäten fast hinterhergeschmissen wird, liegt natürlich an der Zentralen Position, die Universitäten sind: Die Professionalisierung lernt dort ihr Handwerk und da isses doch praktisch, wenn man die neuen Professionellen gleich an sein Produkt gewöhnt.

    Dort werden neue User an das lauwarme Wasser gewöhnt und wenn es zu heiss wird, kommt man aus er Sache nicht mehr raus…

    Datensouveränität erfordert praktisch aber ein völlig anderes Herrangehen an das Problerm. Das beginnt schon beim Sourcecode und endet nicht erst dabei, dass man umfassenden Service bekommt, dessen Inhalte man nicht nachvollziehen kann.

    Niemand braucht sich auch zu wundern, wenn Europa eher eine Programmierer-Wüste ist, wenn überall der volle Service gewählt wird.
    Dann entsteht auch kein Knowhow und keine Infrastruktur, die Lösungen für Probleme finden kann, weil sie es beherrscht, sondern ohnmächtig nach Hilfe ruft.