Die Lombardei ist die italienische Provinz mit den meisten COVID-19-Toten [editiert der Klarheit halber:] pro 10.000-Einwohner bzw. pro 10.000 Infizierten. Wir erinnern uns alle an die Bilder … Sogar jetzt, wo die Zahl der Infizierten und infolgedessen der Todesfälle sinken, heben sich die Zahlen der Lombardei von den Nachbarprovinzen stark ab.
Bei der Frage nach dem “Warum” das SARS-CoV-2-Virus in Italiens reichstem Landesteil so letal scheint, während andere Regionen glimpflicher davon kamen (bis heute) harrt noch der Antwort. Einige Theorien nennen die engen Beziehungen nach China und dem Rest der Welt, die hohe Bevölkerungsdichte oder die starke (Luft-)verschmutzung. Da das Thema immer noch köchelt und bestimmt hier auf Scienceblogs auch mal wieder in den Kommentaren als Beleg für die eine oder andere Haltung dienen mag, möchte ich mich der Frage nach dem Warum zuwenden – wohl wissend, das eine abschließende Antwort hier nicht gegeben werden kann.
Was ist mit der Luftverschmutzung?
Wenn wir uns den Faktor Luftverschmutzung ansehen, dann ist klar, dass bereits mit dem SARS-Cov-Ausbruch der 2000er klar wurde, dass Luftverschmutzung einen starken Einfluss auf die Todesraten (case fatality rate) hat[Cui et al., 2003]. Italienische Forscher machen auch plausibel, dass SARS-CoV-2 über Feinstaub transportiert werden kann[Setti et al, 2020] . Widerspruch ist nicht fern[Bontempi, 2020]. Jedoch eine Korrelation zwischen Feinstaub und der COVID-19-Rate sowie der damit verbundenen Todesrate ist belegt[Bianconi et al., 2020]. Aber die Beantwortung der Ausgangsfrage bringt uns das nicht näher: Deutschland hat global betrachtet eine höhere Luftverschmutzung als Italien und das Luft im Veneto ist teils genauso mies wie in der Lombardei. Oder anders:
“A Brescia e Verona sono stati registrati livelli di smog simili (46 e 44 microgrammi per metro cubo, ndr), mentre l’aria di Bergamo è risultata significativamente migliore: i malati di coronavirus sono stati però molto più numerosi a Bergamo e Brescia, l’impatto a Verona è stato decisamente minore”, spiega Gianenrico Senna, presidente Siaaic, responsabile del Centro asma e allergie del Policlinico universitario di Verona e coordinatore dell’indagine.
bzw.
“In Brescia und Verona wurden ähnliche Smogwerte aufgezeichnet (46 und 44 Mikrogramm [Anm.: PM10] pro Kubikmeter), während die Luft von Bergamo signifikant besser war: Coronavirus-Patienten (Anm.: Und die Zahl der Toten pro Einwohner) waren jedoch in Bergamo und Brescia viel zahlreicher. Die Auswirkungen in Verona waren viel geringer “, erklärt Gianenrico Senna, Präsident von Siaaic, Leiter des Asthma- und Allergiezentrums des Universitätsklinikums von Verona und Koordinator der Umfrage.
Denn natürlich wird die Ausgangsfrage in Italien auch gestellt. Die im Artikel angesprochene Studie habe ich nirgends finden können, wenn sie von euch jemand findet und das hier postet – danke! Jedoch ist ohnedies klar, wo die Korrelation zwischen Luftverschmutzung und Todesraten nicht perfekt ist, gibt es Ausnahmen. Oder anders: Luftverschmutzung wird ein Faktor sein, aber sie kann nicht die alleinige Erklärung für Unterschiede in den Epidemieauswirkungen zwischen den italienischen Regionen sein.
Was ist mit der Bevölkerungsdichte?
Im eben zitierten Artikel wird auch der Aspekt genannt, dass die Bevölkerungsdichte ein Faktor sei:
“Diversa e direttamente correlata al numero di casi di Covid-19 è, invece, la densità di popolazione, maggiore a Bergamo città (3.029 abitanti per chilometro quadrato, 405 in provincia), intermedia a Brescia (2.198 abitanti per chilometro quadrato in città, 265 in provincia) e inferiore a Verona, specialmente in città dove gli abitanti sono meno ‘vicini’ benché il totale della popolazione sia maggiore: i veronesi sono più del doppio dei bergamaschi, ma la densità di popolazione è di 1.297 abitanti per chilometro quadrato, quasi un terzo”, aggiunge Senna.
Ok, also der Präsident des Siaaic, der italienischen Gesellschaft für Allergieen und asthamtische Erkrankungen, dessen Studie ich nicht habe finden können, erklärt, dass die Bevölkerungsdichte in Bergamo und Brescia halt höher sei als in Verona und suggeriert damit, dass die Bevölkerungsdichte ein entscheidender Faktor ist. Das klingt plausibel, aber da in Herne – weder Luftkurort noch ländliches Idyll – in puncto Todesfälle in Verbindung mit SARS-CoV-2 nicht herausragt, kann die Bevölkerungsdichte auch nur ein weiterer Faktor sein (der Scherz sei erlaubt, wenngleich der Vergleich hinkt). Überdies gibt es in vielen italienischen Regionen Städte bzw. Stadtviertel mit einer sehr hohen Bevölkerungsdichte. Es wird also unmittelbar klar, dass die Bevölkerungsdichte, keine alleinige Erklärung für das Hervortreten der Lombardei sein kann.
Was ist mit dem Einfluss von Vorerkrankungen auf die Todesrate?
Hierzu gibt es nur globale Angaben des RKI-Pendants Instituto Superiore di Sanitá (oder kennt hier jemand Quellen, die besser stratifizieren?). Diese werden zwar durch die Zahlen der Lombardei dominiert, aber eine Stratifikationen nach Regionen ist (noch) nicht möglich. Wir wissen, dass Vorerkrankungen das Risiko des letalen Verlaufs erhöhen können, was einerseits an den Vorerkrankungen liegt, andererseits auf im Alter stärker exprimierte Rezeptoren zurückzuführen sein könnte [Cai et al., 2020]. Alter und damit einhergehende Vorerkrankungen sind ein Risikofaktor – das ist altbekannt und kann ungeschützten Altenheimen zu erhöhten Todesraten führen. Folglich auch in einer durchmischten Bevölkerung in der das Virus grassiert.
Was ist mit dem Gesundsheitssystem?
Michele Usuelli, Arzt und Berater der Kleinpartei “Più Europa” zeigt mit dem Finger auf die Politik und das Mismanagement des Gesundheitswesens. Nach seiner Sicht begann die Privatisierung des Gesundheitssystems der Lombardei im Gegensatz zu anderen Regionen früher und nachhaltiger. Während andere Regionen weiterhin ein öffentliches Gesundheitssystem unterhalten hätten, ginge es in den Krankenhäusern der Lombardei stärker um eine Reduzierung der Bettenzahl und und einen Fokus auf rentable Behandlungen als anderswo. Das kann alles sein, doch für wirklich gute soziologische Analysen fehlt mir die Expertise und bei politischen Bewertungen ist Zurückhaltung angesagt. Dass es eine Überlastung des Gesundheitswesen in der Lombardei gegeben hat, steht außer Frage.
Der Versuch eines Fazit
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind einige Faktoren bekannt. Doch ein Faktor bei der Überlastung des Gesundheitssytems ist sicher das lange Ignorieren des Problems, Fussballspiele und andere Events und schlicht der Umstand, das COVID-19 in der Lombardei auftrat, als niemand damit gerechnet hat – oder mit anderen Worten: Norditalien und insb. die Lombardei hatte das Pech am Anfang der Pandemie zu stehen, als in Europa die Gefahr noch wenig ernst genommen wurde. Dann kamen einige superspreading-Events dazu und eben diese anderen Faktoren. Ich vermute(!), dass es ebenso gut bzw. schlecht andere Regionen oder gar Länder früher hätte treffen können. Vielleicht bringen weitere Studien mehr Klarheit, möglicherweise ist die Frage nach dem Unterschied des Pandemieverlauf zwischen den italienischen Regionen während der ersten Welle nie abschließend und eindeutig zu beantworten.
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