Es gibt Tage, da frage ich mich, ob ich zu wenig verdiene. Schließlich erledige ich “nebenher” Lehrleistungen, die zumindest bezüglich der mittleren Semesterwochenstundenzahl so manchen Lehrstuhlinhaber in den Schatten stellt. Da es bei mir um IT geht, könnte ich den Vergleich mit manchem kommerziellen Kurs aufmachen (Beispiel). Aber selbst mit weniger Aufwand einen Onlinekurs erstellen könnte noch einige Eiscremeäquivalente (hausinterne sommerliche Währungsumrechnungseinheit) liefern.
Aber klar, Selbstständige müssen ihre Kosten für derartige Kurse höher ansetzen als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Es geht auch nicht um Neid und den schnöden Mammon. Man macht sich halt so Gedanken welche Karriere man hätte haben können, wenn man nur nicht so bescheiden wäre. Den Gedanken kennen wir alle. Er verträgt selten das Tageslicht, wissen wir doch um die eigen Grenzen – hoffentlich.
Manchmal begegnen einem jedoch Fälle, die zu denken geben – gerade im wissenschaftlichen Bereich.
- Da war der “Senior Data Analyst” einer kleinen Firma der bei mir im Pythonkurs für Einsteiger(!) aufschlug und so überhaupt nichts raffte.
- Und der Superprogrammierer, der als Doktorand auch hier im Blog schon (anonym) als schlechtes Beispiel diente, häufiger jedoch mit seiner Arbeit für Erheiterung sorgte, unter anderem zu diesem Artikel anregte und jetzt bei einem großen internationalen Pharmakonzern als Datananalyst arbeitet.
- Besonders in Erinnerung: Der PostDoc, der von Gruppe zu Gruppe gelobt wurde, immer wieder studentische Arbeiten betreute und Karriere um Karriere erschwerte, bis seine selber jäh endete – der bis dahin jedoch eine Hoppla-hier-komme-ich-Haltung ausstrahlte, die therapeutisch gegen niedrigen Blutdruck hätte eingesetzt werden können.
- Oder die Doktorandin, die von Ihrer Leitung zur technischen Aufsicht der Gruppe bestellt wird – ohne sich selber in die Arbeit hineinfuchsen zu wollen.
Sie alle eint, dass ihr Hochmut sie noch nicht oder zumindest nicht früh genug zum Fall gebracht hat. Und es gibt beliebig viele dieser Charaktere. Manchmal reicht es sogar für die ganz große Karriere – unlängst hatten wir es ja bereits über schwurbelnde, eingebildete und minderfähige Doktores, Professoren und sogar Nobelpreisträger.
Jüngster Fall (in meiner Wahrnehmung) ist Didier Raoult (Wikipedia Fr; Wikipedia De), gewissermaßen der Bhakdi Frankreichs*. Er wurde vor mehr als einem Jahr von der Wissenschaftsbetrugsjägerin Elisabeth Bik darauf hingewiesen, dass es einige Unstimmigkeiten in seiner “Studie” Hydroxychloroquine and Azithromycin treatment of COVID-19 infections gibt. Wir erinnern uns: Diese “Studie” hat den populistischen Hype um das “Covid19-Heilmittel Hydroxychloroquin” mit angetrieben.
Damit hätte die Angelegenheit erledigt sein können, doch die netten Coronaleugner von nebenan unterscheiden sich häufig in ihrer Überzeugung und Dünnhäutigkeit nicht von “Gallionsfiguren der Bewegung”. Herr Raoult jedenfalls beeilte sich gleich auf Twitter gegen Frau Bik auszuteilen – mit der Konsequenz, dass sie zu Graben anfingen und gar wissenschaftliches Fehlverhalten nachweisen konnte. Und dies ist der Grund, warum ich ihn auch als Blender betrachte: Sein unflätiges Gehabe ist zwar unangenehm, aber in einem Punkt nur wirklich relevant. Zwar kann er Frau Bik verklagen und die wissenschaftliche Community kann mit offenen Briefen antworten (hier die Version zum Mitzeichnen), aber sein Umgang mit Fehlern ist bezeichnend: Es ist offenbar nicht so, dass da Abbildungen verwechselt, Daten verschwunden sind oder man Verantwortung für Fehler eines Mitarbeiters übernähme, neeein man muss erst einmal abstreiten und austeilen! Und das obwohl mittlerweile, vielleicht nicht juristisch, aber doch im wissenschaftlichen Sinn, mehrfaches wissenschaftliches Fehlverhalten nachgewiesen wurde und man mittlerweile überhaupt nicht mehr weiß welche wissenschaftliche Veröffentlichung des Herrn Raoult noch valide ist – mal abgesehen von dem Schaden, den er pandemiebezogen angerichtet haben mag.
Auch hierzulande und nicht allein im biologisch-medizinischen Bereich gab es in der jüngeren Vergangenheit größere ähnliche Wissenschaftsskandale (Psychologie, Paläontologie), verursacht durch Gernegrößen bzw. Gernenochgrößergrößen (als ob man nicht “oben” wäre, wenn man als ProfessorIn ein Labor leitet). Was man dagegen tun kann? Ich weiß es nicht. Gegen die Titelhuberei gibt es den Vorschlag den “Dr. med” abzuschaffen und auch darüber hinaus noch weitere Doktortitel. Und das ist schon ein sehr dickes Brett, dass es da zu bohren gilt. Letztlich sind wir alle gefordert: Von uns, die wir studentische Arbeiten betreuen, bis zu den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Und wo individuelle Verantwortung für eine Veränderung notwendig ist, geschieht, wie das Beispiel der Bekämpfung des Klimawandel lehrt, mitunter lange wenig. Jemanden durchs Praktikum, die Bachelor-/Masterarbeit oder gar die Promotion rasseln lassen ist sehr aufwendig: Es gilt alle Details zu protokollieren und am Ende einen Eklat durchzufechten. Einer Universität die gegen Scharlatane in den eigenen Reihen vorgehen will geht es nicht anders. Bei Institutionen die gegen Betrüger und Scharlatane vorgehen wollen kommt hinzu, dass alle Beteiligten sich absichern wollen und pro-aktives Handeln durch die Hierarchie gebremst wird.
Blender-Prävention ist schwer.
Update [1. Juni 2021]: Nature hat den Fall Raoult vs. Bik mal zusammengefasst. Und Bik schreibt selber noch mal die Kurzfassung zu dem Paper in einem Twitterthread – sehr nüchtern und klar:
Here is my first analysis of the new @IHU_Marseille preprint called 'Early Treatment with Hydroxychloroquine and Azithromycin in 10,429 COVID-19 Outpatients: A Monocentric Retrospective Cohort Study'
Found here: (not sure why in April 2020 folder).https://t.co/ETz75b4PlO— Elisabeth Bik 💉 💉 (@MicrobiomDigest) May 31, 2021
.*schwurbelnder Professor am Karriereende, der in der Vergangenheit schon durch Meinungsstärke in Feldern abseits seiner Expertise aufgefallen ist.
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