Dieser Tage tat ich das, was Wissenschaftler gelegentlich machen: Ich reichte eine Arbeit zur Veröffentlichung ein. Und so viel Sympathie ich auch der Open Access-Bewegung entgegenbringe, gestehe ich diese Veröffentlichung nicht gemäß dem Open Access-Modell eingereicht zu haben …

Betrachtungen

Wenn wir eine Sache – als WissenschaftlerInnen – in der Pandemie gelernt haben, so ist es der hohe Wert schneller und qualitativ hochwertiger Forschung. Daran ändert auch der gelegentliche Missbrauch des Systems nichts: hochqualitative Forschung ließ uns Impfstoffe in weniger als einem Jahr entwickeln und ließ uns erkennen, welche Maßnahmen zur Bekämpfung und Kontrolle der Pandemie wirklich effektiv sind. Könntet ihr euch vorstellen, wie sich diese Pandemie ausgesehen hätte, hätten wir das scharfe Schwert der Wissenschaft willentlich abgestumpft?

Das Problem mit dem wissenschaftlichen Veröffentlichungswesen ist, dass es zugleich lahm und verdammt teuer sein kann (und somit teilweise auch Ergebnisse produziert, die nicht allen Teilnehmern im großen “Spiel Wissenschaft” zur Verfügung stehen). Es geht nicht nur um das Equipment, welches man so dringend braucht oder das qualifizierte Personal – der Veröffentlichungsprozess kann selber sehr teuer sein.

Versuchen wir mal kurz zu beschreiben, wie der Prozess funktioniert – für alle, die den Zirkus noch nicht kennen. Es ist völlig verrückt und hier ist die Krux: Als WissenschaftlerIn musst du veröffentlichen und deine Resultate der kommunizieren – es heißt nicht umsonst “publish or perish”. Und es braucht ziemlich viel Zeit, eine wissenschaftliche Veröffentlichung, gemeinhin “Paper” genannt, zu schreiben: Es müssen bestimmte Richtlinien eingehalten werden und eine ganze Reihe von Bedingungen wollen erfüllt sein. Das Manuskript wird schlussendlich einem Begutachtungsprozess unterzogen durch ExpertInnen aus demselben Feld. Die verlangen meist ein paar Änderungen und dann, mit ein wenig Glück, wird deine Arbeit im Lauf einiger Monate durch die gewählte Zeitschrift veröffentlicht (kann manchmal auch ein Jahr oder mehr dauern). Je höher das Prestige der Zeitschrift, desto höher die Wertschätzung deiner Arbeit, weshalb die meisten in deinem Feld versuchen, die “besten” Zeitschriften zur Veröffentlichung ihrer Arbeiten zu bewegen.

Soweit so gut, allerdings … wenn du eine einzige Arbeit lesen willst, kann das schon mal 30 bis 40 Euro kosten. Du möchtest ein paar dutzend lesen? Das kann schnell ins Budget gehen. Hierzulande geht es zulasten der öffentlichen Hand, die das Geld – größtenteils nicht genug – den Universitätsbibliotheken gibt, die einen Pauschalzugriff mit den Zeitschriftenverlagen aushandeln. Es gibt zwar Nachlässe, doch werden pro Forschungseinrichtung und Fach große Beträge fällig – pro Jahr deutschlandweit über 100 Millionen Euro.

Und hier wird es noch interessanter: fürs Schreiben der Veröffentlichungen gibt es keinen Cent extra. Für das Begutachten gibt es in der Regel auch keinen müden Groschen. So wer verdient daran? Die Leute, denen das Journal gehört. Nicht mal das Copyright liegt bei den Forschern – auch dies ist meistens bei den Verlegern.

Und an dieser Stelle wird hoffentlich deutlich, warum es eine starke Gegenbewegung gibt. Wissenschaftliche Veröffentlichungen sollten frei zugänglich sein! Bezahlen alle Nationalstaaten für die Forschung und der Bezug von Ergebnissen steht dem größten Teile der Gesellschaft (allen Nichtbeschäftigten von Forschungseinrichtungen) nicht kostenfrei zur Verfügung stehen, ist das widersinnig! Hier kommt Open Access ins Spiel – klar, publizieren kostet immer noch Geld (Editoren, Layout, Datenbanken, Webseiten, etc.), doch nun ist es weniger und wird von den Forschenden bezahlt, wenn ihre Arbeit zur Veröffentlichung akzeptiert wird. Klasse Sache, aber letztlich nicht so günstig wie erhofft. Denn in den letzten Jahren sind die Preise für alle, die ihre Arbeiten auf diese Weise der Welt zur Verfügung stellen wollen, immer weiter gestiegen. Die Universität Cambridge unterhält da eine gute Übersicht:

 

Zusammenfassung der Veröffentlichungskosten (Article Processing Charges, APC) nach Verlagen in Open Access-Welt. Es macht manchmal einen Unterschied, ob man Mitglied einer Organisation ist oder nicht (APC from vs. APC to) und manche der gelisteten Verlage bieten auch ein Hybridmodell an: Hier kann man auswählen, ob der eigene Artikel frei verfügbar sein soll oder eine Forschungseinrichtung erst ein Abo des Verlags erwerben muss, damit die Artikel für die eigenen Beschäftigten verfügbar sind.

Im vergangenen Jahr schoss Nature – eine der prestigeträchtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt – den Vogel ab: 9500 € damit ein Open Access-Artikel veröffentlicht werden kann, aber mindestens 2000 € für die Begutachtung unabhängig davon, ob der Artikel akzeptiert werden wird oder nicht. Zu Recht gab es einen Sturm in den sozialen Medien, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte. Hier nur ein Ausschnitt:

Zurück auf Start

Mein eingereichter Artikel wird nicht in Nature erscheinen. Meine Kollaborationspartner und ich backen kleinere Brötchen. Und er hat auch nur randständig etwas mit COVID19-Forschung zu tun, COVID war nur der Aufhänger. Aber irgendwie habe ich doch Grund zur Hoffnung, dass die Arbeit vielen Kolleginnen und Kollegen dabei helfen kann, Medikamente zu entwickeln. Und sei es nur ein kleines bisschen.

Also raus damit und bitteschön frei zugänglich! Die Welt wartet!

Doch halt – der Artikel ist wie so viele in dieser Zeit zustande gekommen, weil wir drauflos gearbeitet haben. Nicht alle Projekte sind von langer Hand geplant und beantragt. Und manchmal ergibt sich eine Publikation, die gar nicht vorgesehen war. Andernfalls hätten wir womöglich Unterstützung für Publikationskosten bei Beantragung geltend machen können. Denn das geht manchmal (Beispiel). Wo war ich? Ach ja … spontane Projekte sind gar nicht mal so selten. Doch zum Glück gibt es ja Publikationskostenzuschüsse, die man in solchen Fällen beantragen kann. Mein Arbeitgeber gibt zum Beispiel gibt bis zu 2000 € und keinen Cent mehr. Die ganzen Ausnahmen bei denen es besser geht, die Fußnoten und Fußangeln des Antragsverfahrens möchte ich euch hier ersparen, nur so viel:

  • man kann solch einen Antrag nur einmal im Jahr stellen
  • jeder Cent über die 2000 € bewirkt, dass die ganzen Kosten selber getragen werden müssen (also aus der Institutskasse oder dem eigenen Portemonnaie).

Macht nichts, unsere Bibliothek rät zum Verhandeln, denn als WissenschaftlerIn hat man sonst keine Hobbies:

Viele Verlage wissen, dass die Förderung von Open Access-Artikel an eine Höchstgrenze gebunden ist. Sprechen Sie mit Ihrem Verlag über einen Preisnachlass, es kann sich lohnen!

An dieser Stelle wird euch klar, warum auch von Verfechtern des Open Access ein Artikel nicht unbedingt als Open Access-Artikel eingereicht wird: Aufwand und Kosten sind mitunter abschreckend. Dieser Artikel wird dennoch kein Universtätsbibliotheksbashing: Mittel sind schließlich nicht unbegrenzt und eine Uni-Bibliothek kann sich die Dukaten nicht aus den Büchern schnitzen. Außerdem sind mittlerweile die Verlage auf den Open Access-Zug gesprungen und wollen die Gewinne sprudeln sehen. Die Springer Nature-Gruppe, zu der beispielsweise auch die BioMed Central-Zeitschriften (BMC, hier im Blog bereits beschrieben) hat einen Milliardenumsatz und nicht unbedingt Qualität im Blick: Wo man Gebühren einnehmen kann, ist es nicht klug, weniger gute Artikel zurückzuweisen (meine Gretchenfrage bei BMC Bioinformatics – wie hältst du’s mit der Qualität? – wurde übrigens nie beantwortet). Erst wenn gemeinnützige Open Access-Verlage entstehen, die durch die öffentliche Hand gefördert werden, wäre das Dilemma, Open Access-Gebühren mit Abo-Gebühren zu balancieren, für die Bibliotheken aufzulösen. Heutzutage geht das nicht: Wo für Abos richtig viel Schotter bezahlt werden muss, können die Länder nicht auch noch (guten Gewissens) den (kommerziellen) Verlagen für Open Access beliebig viel Zucker in den Aktionärshintern blasen. Mittlerweile gibt es auch Vereinbarungen für das Open Access-Modell, bei denen Universitäten oder Universitätsverbünde durch ihre Mitgliedschaft das Recht für ihre Angestellten erwerben, Artikel unter dem Open Access-Modell ohne weitere Kosten einreichen zu können (Beispiel). Damit wird der Teufel (Abo-Gebühr) durch den Beelzebub (Vorauszahlung für Open Access) ausgetrieben …

Hier ist das Beispiel BioMed Central lehrreich: 2000 gegründet, wurden 2002 APCs (article processing charges, also Gebühren) eingeführt. Erst als die Universität Yale die Subventionen einstellte (2007), wurde die Gruppe ein Jahr später an die Springer-Gruppe veräußert. Ganz ohne Subventionen geht es scheinbar nicht. Aber wenn es schon ohne Subventionen nicht geht, warum dann Unternehmen subventionieren?

Hier nun würden sich Gedanken anschließen, welche das Tageslicht des Internets wohl nicht vertragen. So was wie “Stiftung öffentlichen Rechts”, “institutionelle Förderung” und “gemeinsam auf europäischer Ebene” kämen mir da in den Sinn – allein sie finden sich nicht auf den politischen Agenden dieser Zeit. Und so verdienen sich die Verlage weiter ein goldenes Näschen, ist weiter Review im Open Access-Modell nicht so rigoros, wie er sein könnte und bleiben wissenschaftliche Zeitschriftenartikel weiter unerschwinglich für alle, deren Universitäten sich die Abos nicht leisten können oder wollen.

 

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Kommentare (9)

  1. #1 Joseph Kuhn
    5. Dezember 2021

    @ Christian:

    Warum geht das nicht über DEAL?

  2. #3 hwied
    6. Dezember 2021

    Ein paar grundätzliche Überlegungen von beyond Wissenschaft.

    Beispiel: ein Künstler gestaltet einen Altar in einer Kirche oder er gestaltet ein Kirchenfenster.
    Als Künstler hat er ein Recht an diesem Kunstwerk. Es darf nur mit seiner Einwilligung kopiert oder sonst wie vermarktet werden.
    Dafür gibt es Verwertungsgesellschaften, die das Web durchsuchen ob jemand ein Bild von diesem Kunstwerk verwendet. Der Benutzer wird aufgefordert sich dazu zu äußern und er hat die Wahl Gebühren zu bezahlen oder das Bild aus dem Web zu nehmen.

    Ich habe das Beispiel mit dem Kirchenfenster bewusst gewählt, weil ja Fenster die „Schnittstelle“ nach außen sind. Wer jetzt gegen diese Praxis klagt, dem wird vor Gericht bescheinigt, dass er zahlen muss.

    Wenn jetzt ein Wissenschaftler eine Entdeckung oder Erfindung von öffentlichem Interesse macht, z.B. einen Impfstoff findet und seine Entdeckung veröffentlicht, wer bezahlt dann die Kosten dafür ? Wenn er seine Erfindung patentieren lässt oder sonst wie schützen, dann kann er auf diesem Wege Entgelt einfordern. Wenn er das nicht macht, sondern einfach nur bekannt werden will, z.B. mit einem mathematischen Beweis, dann wird er darauf angewiesen sein, dass jemand seine Entdeckung veröffentlicht oder ihm eine Plattform dafür bietet. Die kostet Geld. Scienceblogs ist so eine Plattform.

    Da ich über die gängige Praxis nicht informiert bin, insbesondere nicht über die Höhe von Gebühren , werde ich die Entscheidung über open Access denen überlassen, die ständig damit zu tun haben.

    • #4 Christian Meesters
      6. Dezember 2021

      Scienceblogs ist so eine Plattform

      Nee. Scienceblogs ist, wie der Name verrät, eine Blogplatform. Klar, könnte hier auch jemand wissenschaftliche Primärveröffentlichungen einspeisen, sie würde nur von der jeweiligen wissenschaftlichen Community kaum wahrgenommen und der Verlag hinter Scienceblogs kann auch nicht das dauerhafte Angebot der Plattform garantieren.

  3. #5 hwied
    6. Dezember 2021

    Christian Meesters,
    wie du gemerkt hast, bin ich weder Wissenschaftler, noch kenne ich den Unterschied von Blogplattorm und Plattform.
    Mit etwas html-Kenntnissen und oder einem Webbaukasten kann jeder seine eigene Webseite erstellen und er kann bei einem Provider eine Web-Adresse mieten. Ich bezahle z.B. 48 € im Jahr.

    Google sorgt dafür, dass mit den eingegebenen Meta-Daten jeder im Web Deine Internetseite finden kann. Man muss nur die passenden Schlüsselwörter eingeben.
    Und man kann sich mit anderen Webteilnehmern verlinken, wer die eine Webadresse findet, findet auch gleichzeitig damit die andere.

    Also, wo liegt das Problem ?

    • #6 Christian Meesters
      6. Dezember 2021

      Einfach mal eine wissenschaftliche Zeitschrift des eigenen Geschmacks auswählen und durch den Einreichungsprozess klicken – man muss ja nicht den letzten Button drücken. Dann erkennt man, was u. a. über html hinaus dahinter steht. Auch so ein CMS wie wordpress, was Scienceblogs funktionieren lässt, ist mehr als html. Es braucht, u.a.:

      • Editoren, die Manusscripte annehmen
      • eine Datenbank möglicher Reviewer
      • bei OpenAccess auch ein Abrechnungssystem
      • das System muss über den Reviewprozess Schritt halten und ggf. autom. Erinnerungen verschicken
      • vor Erscheinen müssen akzeptierte Artikel gesetzt und layoutet werden – was halbautomatisch geschieht
      • es braucht ein Layout für die Hauptseiten und zum Browsen der Artikel im Verlauf der Zeit
      • nicht fehlen darf eine hochsichere Datenbank, sodass Verlust der elektronischen Daten vorgebaut wird – das ist ein wenig mehr als der 0815-LAMP-Stack für Webserver
      • die Zeitschrift muss registriert sein (ISSN) und automatisch akzeptierte Artikel an Metadatenbanken weitergeben.

      Die Liste ist sicher nicht vollständig, sicher braucht es mehr als 48€ im Jahr, schon aufgrund der Hardware und des Speicherbedarfs. Aber einige Millionen im Jahr bräuchte es für nicht profitorientierten Betrieb ganz sicher nicht.

  4. #7 hwied
    6. Dezember 2021

    Danke Herr Meesters für die ausführliche Auflistung der Anforderungen bei Open Access.

    Ich finde, man sollte die Jugend nicht vergessen, die vorher in die wissenschaftliche Bücherei gegangen ist um sich für das Referat ein Fachbuch auszuleihen. Bei Wikipedia findet man sehr viel, aber eben von Leuten formuliert , die den Artikel zwar verstanden haben aber sich nicht in die Rolle eines Menschen einfühlen können, die das Thema noch nicht verstanden haben.
    Dabei bleibt das Buch und/oder die Fachzeitschrift unverzichtbar, wenn man für das Verständnis einer Seite eine Stunde braucht.
    Fazit: OpenAcces ist eine geniale Weiterentwicklung des Büchereiwesens , die Kosten und Gegenleistung sollte aber in bezahlbarem Rahmen bleiben.

  5. #8 Sven Zörner
    Mainz
    27. Dezember 2021

    Christian, du hast völlig Recht was die Sachlage angeht. Allein deine Schlussfolgerung teile ich nicht ganz.
    Auch hier aus Sicht des publizierenden Wissenschaftlers völlig richtig beobachtet es bleibt meist nichts anderes übrig als das Spiel mitzuspielen. Uns es ist in einigen Projekten kaum finanzierbar Open Access zu publizieren. Dennoch gibt es neben den beschriebenen wegen über die grosse Politik auch alternativen Die Du nicht betrachtet hast. Ich denke es braucht hier eine Grasroot-Bewegung von unten. Solange Die Universitätspräsidien, Institutsleitungen und Ministerien glauben Qualitätsveröffentlichungen entstehen nur in den grossen Fachverlagen und übersehen, dass die Hauptlast ohnehin von ihren eigenen Mitarbeitern. Getragen wird ändert sich da über die grosse Politik nichts. Es braucht kleine, qualitativ hervorragende neue Zeitschriften mit langem Atem und ja möglichst als Stiftung oder Genossenschaft organisier.. Hierzu braucht es die Initiative von Universitäten, von herausragenden Professoren und Fachgesellschaften. Weil das Problem das man den Bock zum Gärtner gemacht hat ist seit Jahren bekannt, aber das System (Des Wissenschafts und Publikationsmanagem) tritt sich
    selbst auf die Füsse und verhindert seit 30 Jahren eine echte Verbesserung. Ich kann die Verlage auch gut verstehen. Warum eine sprudelnde Geldquelle zudrehen. Das dies nicht dem gesellschaftlichen Ziel nach Freiheit des Wissens und offenem Wissenschaftlichen Fortschritt dient fällt dem Merkantilismus zum Opfer der im 19.Jh. den wissenschaftlichen Fortschritt erst möglich gemacht hat. Und das in einer Zeit wo (sachlich falsche) Meinungen zu alternativen Fakten geadelt und der unmittelbare Zugang zu Forschungsergebnissen technisch möglich und gesellschaftlich so bitter notwendig wäre. Es ist zum Haare raufen.

    • #9 Christian Meesters
      27. Dezember 2021

      Hallo Sven,

      schön von Dir zu hören!