Vor ein paar Tagen hat Wirtschaftsminister Rösler ein Positionspapier „Wachstum und Stabilität in schwierigem Umfeld sichern“ veröffentlicht. Unter der Überschrift „Neue Märkte erschließen – im Inland und im Ausland“ fordert er dort z.B.: „Keine Hemmnisse bei der Entfaltung neuer Märkte durch überzogene Anforderungen (etwa an Daten- und Verbraucherschutz).“ Man stutzt etwas bei dieser Formulierung, weil es bei neuen Märkten schließlich zunächst um den Nutzen für den Verbraucher gehen sollte, wie kann da Verbraucherschutz stören? Hier scheint vermutlich das markttheologische Credo mancher Kreise in der FDP durch, der Glaube, dass Märkte an sich erstrebenswert sind. Aber die unglückliche Röslersche Gegenüberstellung von Märkten und Verbraucherinteressen einmal beiseitegelassen, ist es letztlich nicht völlig richtig, überall Märkte und auch möglichst freie Märkte zu etablieren? Bringen sie die Verbraucherinteressen nicht am besten zur Geltung? Regeln Märkte die Dinge nicht effizienter als staatliche Bürokratie? Verteilen sie Güter nicht so, dass der gesellschaftliche Nutzen am größten ist? Sollte daher nicht alles seinen Preis haben?

… und Michael Sandels Bedenken
Michael J. Sandel sähe in Röslers Papier sicher einen Beleg für seine These, dass wir nach wie vor in einer Zeit des Triumphs der Märkte leben, Weltfinanzkrise hin oder her. Sandel lehrt Philosophie in Harvard und vor kurzem ist sein Buch „What Money Can’t Buy“ auf Deutsch erschienen, unter dem Titel „Was man für Geld nicht kaufen kann“. Darin geht es um die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, alle Lebensbereiche möglichst marktförmig zu organisieren und alles käuflich zu machen. Seine Antwort ist klar: Nein.

Die Beispiele, die Sandel anführt, um zum Nachdenken über dieses Thema anzuregen, sind alltagsnah: Soll man Kinder zum Lesen motivieren, indem man ihnen dafür so viel Geld gibt, dass es für sie interessant wird, Bücher lesen? Oder ersetzt man damit ungewollt das Interesse am Lesen durch das Interesse am Geld und fördert noch dazu kurzfristiges Renditedenken, verdirbt Geld hier also den Charakter? Soll das Recht zur Jagd auf geschützte Nashörner in begrenztem Umfang gehandelt werden, damit ein Markt entsteht, der den Schutz von Nashörnern lohnend macht? Oder ist das nicht sinnvoll, weil damit zugleich der Abschuss der Tiere legitimiert wird, statt ihn moralisch zu ächten? Soll man Polizeiautos mit Firmenwerbung fahren lassen, wenn dadurch die öffentlichen Haushalte entlastet werden, oder geht dadurch etwas von der Autorität und Neutralität der Polizei verloren? Soll der Zugang zu Politikern mit einem Preis versehen und „verkauft“ werden, es handelt sich schließlich um ein knappes Gut? Oder ist es moralisch anrüchig, wenn Politikertermine auf diese Weise käuflich werden? Das war übrigens Anfangs 2010 in Deutschland ein heißes Eisen. Damals wurde bekannt, dass die CDU in NRW bei ihrem Landesparteitag Einzelgespräche mit dem damaligen Ministerpräsidenten Rüttgers für 20.000 Euro angeboten hat. Der NRW-CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst musste deswegen seinen Hut nehmen, die Öffentlichkeit empfand diesen Handel offensichtlich moralisch nicht in Ordnung. Was den Zugang zu Politikern angeht, argumentiert Sandel, hier sei die Zuteilung über Warteschlangen vorzuziehen. Die Politik verliere an Würde, wenn sie zur Handelsware gemacht werde, zumal Märkte hier keinen größeren gesellschaftlichen Nutzen stiften als die Warteschlange.

Pragmatisches Argumentieren
Sandel dekliniert dieses pro und contra an zahlreichen weiteren Fällen durch, von kostenpflichtigen fast tracks am Flugschalter, dem Handel mit Organen und Arztterminen, der Frage, ob man Kinder verkaufen dürfe oder Emissionsrechte handeln solle, bis hin zur Käuflichkeit von Freunden, Ehrungen und Titeln. Mal kommt er zum Ergebnis, dass man die Dinge gut mit einem Preis versehen und auf Märkten handeln kann, mal kommt er zu einem anderen Ergebnis, etwa weil eine „Bepreisung“ die moralischen Normen von Entscheidungen in unerwünschter Weise verändert. Was wäre beispielsweise ein gekaufter Nobelpreis noch wert, fragt er zu recht. Je nachdem, um was es geht, können andere Verteilungsverfahren wie die Warteschlange, Bedürftigkeit oder Eignung besser sein, oder auch der Verzicht darauf, etwas überhaupt als Produkt anzubieten. Recht makaber geht es im Kapitel „Das Geschäft mit dem Tod“ zu. Dort diskutiert Sandel die in den USA relativ häufigen “corporate owned life insurences“ (die in einigen Fällen fast so etwas wie steuerbegünstigte Unternehmenswetten auf den Tod von Angestellten sind) oder Wetten auf den Tod von Prominenten, ein Geschäft, dessen volkswirtschaftlicher Nutzen an sich nur schwer zu begründen sein dürfte.

Man könnte Sandels Beispielliste problemlos verlängern, etwa was die auch hier schon wiederholt diskutierte Kommerzialisierung der Gesundheit angeht, das disease mongering, die perversen Anreizstrukturen von Chefarztverträgen über Operationsmengen oder – etwas subtiler, aber nicht weniger problematisch – Stiftungslehrstühle, die zuweilen Fragen an die wissenschaftliche Integrität der dort betriebenen Forschung aufwerfen können.

Die Moral der Märkte
Sandel arbeitet zwei zentrale Prüfpunkte heraus, die bei der Entscheidung helfen sollen, ob man etwas mit einem Preis versehen und als Produkt handeln soll oder nicht. Zum einen fragt er, ob die Vermarktung einer Sache Fairnessregeln verletzt, ob z.B. Ärmere zu letztlich unfreiwilligen Verträgen animiert werden, zum anderen fragt er, und das sieht er als den wichtigeren Punkt, ob die Vermarktung einer Sache deren moralische Bewertung verändert und ob das mit der Bepreisung eingeführte Interesse an Geld andere moralische Normen verdrängt. Dass es dies gibt, belegt er mit Studien zu ökonomisch paradoxen Anreizen: Manchmal nimmt mit der Einführung finanzieller Anreize das erwünschte Verhalten ab statt zu, z.B. wenn sich Bürger plötzlich in ihrem freiwilligen Engagement nicht mehr gewürdigt sehen. Manche Ökonomen, so Sandel, verfolgen die „moralische Entlastung“ der Gesellschaft geradezu als Programm, sie sehen wie schon Adam Smith den Eigennutz als stabilere Grundlage der Gesellschaft an. Das lehnt Sandel als moralisches Zersetzungsprogramm ab. Sandel steht dem Kommunitarismus nahe, das kommt hier zum Tragen.

Pädagogisch wertvoll für Rösler?
Sandels Buch ist mit typisch amerikanischem Pragmatismus geschrieben, leicht zu lesen und trotzdem ausgesprochen lehrreich. Es wäre auch Herrn Rösler zu empfehlen, als Heilmittel gegen seinen allzu schlichten Glauben an freie Märkte. Es gibt keine „unsichtbare Hand“ der Märkte, die alles gut macht, das ist nur das „Gespenst des Kapitals“, wie Joseph Vogl es so schön formuliert hat. Wenn alles seinen Preis hat und sich die Motive unseres sozialen Zusammenlebens auf den Preisvergleich reduzieren, führt das eben nicht zwangsläufig zur besten aller Welten. Durch Lesen (gerne mit finanziellem Anreiz motiviert) neu gewonnene Einsichten könnte Rösler für die Überarbeitung seines Positionspapiers gut gebrauchen. Er fordert dort z.B. die weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und will noch mehr Erleichterungen für befristete Arbeitsverhältnisse. Dabei arbeitet nach Angaben des Statistischen Bundesamtes schon heute fast jeder 10. Arbeitnehmer befristet, bei den Berufseinsteigern fast jeder Zweite. Sandel ist ein eher liberaler Denker, aber einer, der sich über die moralischen Grenzen des Marktes Gedanken macht. Eine Politik, die Märkte so organisiert, dass die Beschäftigten immer mehr zur ökonomischen Verschiebemasse werden und zugleich den Finanzspekulanten anstrengungsloser Wohlstand garantiert ist, sähe er wohl, um einen Spruch des FDP-eigenen Moralphilosophen Westerwelle zu zitieren, als einen Akt spätrömischer Dekadenz.

Sandel formuliert am Ende seines Buches, wohin die ungehemmte Vermarktung aller Lebensbereiche führt, es dürfte keine liberale Vision sein: „In einer Zeit zunehmender Ungleichheit läuft die allumfassende Kommerzialisierung des Lebens darauf hinaus, dass Arme und Reiche zunehmend getrennte Leben führen. Wir arbeiten und kaufen und spielen an verschiedenen Orten. Unsere Kinder besuchen verschiedene Schulen, unsere Lebenswelten schotten sich voneinander ab. Dies dient weder der Demokratie noch unserer Lebensqualität.“

Kommentare (72)

  1. #1 Spoing
    29. Dezember 2012

    Naja ich sehe das beschriebene von Sandel eher als eine Kritik am Marktradikalismus an. Ob man die Vorstöße von Rösler und Konsorten schon da ansiedelt halte ich jedoch eher für Fragwürdig. Auch diese fordern bei weitem keinen marktwirtschaftlichen Anarchismus. In der Gegenüberstellung wirkt es ja fast so als wäre durch das aufzeigen der Grenzen, das ablehnen des Ganzen die Forderung. (Ich weiß das es nicht so gemeint ist, aber es wirkt so) Denn hier wird nur Staat vs Wirtschaft gesehen und nicht als konkurrierendes aber auch kooperierendes Dreiergespann mit den Privatem zusammen.

    Das Märkte überall immer zum Wohle der Gesellschaft handeln glaubt heut zu Tage nicht mehr wirklich jemand.
    Sie befriedigen lediglich die Nachfrage. Ist diese zu lasten dritter gibt es eine Güterabwägung. (einfaches, aber makaberes Beispiel: Tote pro Kwh im Vergleich zu den Erzeugungskosten).
    Das Problem ist lediglich das alles was käuflich ist, immer zu lasten dritter geht. Da es nun einmal knappe Güter sind.
    Einige Beispiele schließen sich damit aber schon aus. Ein gekaufter Nobelpreis würde ja seinen Wert verlieren und somit keine Nachfrage mehr erzeugen. Bei den Restlichen gibt es viele, welche kein Knappes gut sind. So ist die Lesemotivation durch Geld ja lediglich eine Bestechung. Etwas zu kaufen, was nicht knapp ist, ist Marktwirtschaftlicher Nonsens und staatliches versagen.

    Die Restlichen Fälle sind dann nur noch zwei grundlegende:
    Zum einen: Knappes Gut, welches (moralisch) nicht finanziell gehandelt werden darf (Nashorn, Organspende).
    Hier steht der Staat in der Pflicht das moralische Interesse der Gesellschaft vor dem individuellen Interesse des Marktteilnehmers zu schützen. Sprich den Markt zu unterbinden, da er unmoralisch ist.
    Zum anderen: Umgehen/Ausnutzen der Regeln für individuellen Profit.
    Nur weil der Staat (DFB) nicht mitspielen soll, muss er trotzdem die Spielregeln bestimmen, damit es fair zu geht.
    Nur Schiedsrichter, Regelmacher und Mannschaft stellen muss vermieden werden.

  2. #2 Ludger
    29. Dezember 2012

    Rösler will neue Märkte erschließen (Zitat aus dem verlinkten Röslerpapier))

    Neue Wachstumsmärkte erschließen: Digitale Welt; neue Technologien zum Umbau der Energieversorgung wie Smart Grids; Verkehrstechnologien; Elektromobilität; Gesundheitswirtschaft; neue Werkstoffe; laufender Dialog mit Unternehmern zur Verbesserung der Rahmenbedingungen, insbesondere mit jungen innovativen Unternehmen und Start ups und Gründung des neuen BMWi Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“ Anfang 2013.”

    Beispiel aus dem Buch von Sandel:

    Die Beispiele, die Sandel anführt, um zum Nachdenken über dieses Thema anzuregen, sind alltagsnah: Soll man Kinder zum Lesen motivieren, indem man ihnen dafür so viel Geld gibt, dass es für sie interessant wird, Bücher lesen?

    Da will der Wirtschaftsminister Absatzmärkte für die Exportindustrie fördern, wird dafür kritisiert und wird wird darauf hingewiesen, dass man für Geld nicht alles kaufen kann. Die Wünsche des Ministers haben allerdings nichts mit Kindererziehung noch mit Nashörnern zu tun, die etwas später im Text von Joseph Kuhn vorkommen. Sandel sei Kommunitarist. Laut Wikipedia: “Kommunitarismus entwickelte sich um 1980 als kritische Reaktion auf die Philosophie von John Rawls. […] Der Kommunitarismus begreift den Menschen als soziales Wesen, das notwendig von Kultur und Tradition seines Gemeinwesens geprägt ist. Der Liberalismus gilt unter den Kommunitaristen als selbstzerstörerisch. Die ökonomische Nutzenmaximierung, die Selbstverwirklichung und eine Überbetonung des Individuellen, welches auf Kosten des Gemeinwohls geht, sind kennzeichnend für den Liberalismus. […]” . Der von den Kommunitaristen angemeckerte John Rawls wird von Wikipedia mit den Worten zitiert: “„a) Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist. b) Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen; und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip).“
    – John Rawls: Justice as Fairness: A Restatement (2001), §13[10]”
    Hat jemand etwas dagegen? Ausserdem scheint es mir um eine amerikanische Diskussion zu handeln, die wenig mit Herrn Rösner und der FDP zu tun hat.
    Es gibt offenbar unterschiedliche politische Grundstimmungen: Die einen wollen Gerechtigkeit durch mehr Vorschriften, Verwaltung und mehr Umverteilung und die anderen wollen Gerechtigkeit durch politische Bedingungen einer fairen Chancengleichheit und weniger Vorschriften.
    Noch ein Satz zu Westerwelle: Zitat aus dem verlinkten Spiegelartikel:

    Zum Vergleich, Westerwelle vor ein paar Tagen in der “Welt”: “Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.”

    Er soll ja vor allen Dingen die Sozialhilfe gemeint haben. Es trifft aber auf uns alle zu. Wir profitieren alle von der Sklaverei, die allerdings outgesourced ist (Jeans für 8 Euro oder DVD-Player für 30 Euro u.s.w.) Wenn irgendwo ein Stahlwerk dichtgemacht wird, entsteht dort ein Freizeitangebot. Wenn irgendwo Spargel zu stechen ist, ist man auf polnische Saisonarbeiter angewiesen. Manche Gladiatoren gehören zu den am besten bezahlten Arbeitnehmern der Republik: das Volk wird ruhig gehalten mit panem et circenses. Der Wohlstand geht einher mit Geburtenrückgang. Der Abstieg

    Wikipedia:
    “Dekadenz (frz. décadence, über mlat. decadentia, von lat. cadere „fallen“, „sinken“) ist ein ursprünglich geschichtsphilosophischer Begriff, mit dem Veränderungen in Gesellschaften und Kulturen als Verfall, Niedergang bzw. Verkommenheit gedeutet und kritisiert wurden.“

    hat schon begonnen.

  3. #3 Dr. W
    29. Dezember 2012

    ist es letztlich nicht völlig richtig, überall Märkte und auch möglichst freie Märkte zu etablieren?

    Natürlich ist das richtig. Allerdings schaffen Marktwirtschaften im Gegensatz zu Planwirtschaften derart viel Mehrwert, dass in gewissem Umfang auch Apparatschiks und systemimmanente Umverteilung möglich werden.

    Letztlich kann das dazu führen, dass linke Sichten alltäglich werden oder zumindest so erscheinen – auch dafür ist dann Geld da; aber die Werte entstehen in marktwirtschaftlichen Systemen fast durchgehend in der Privatwirtschaft.

    Der Liberalismus hat in D bekanntlich kein Zuhause, D musste mühsam zu modernen gesellschaftlichen Systemen genötigt werden und auch heute ist die Zahl überzeugter erkennender Liberaler eher im Promille- als im Prozentbereich. – Anders wären Artikel wie diese gar nicht möglich, würden peinlich berührt weggehüstelt werden.

    MFG
    Dr. W

  4. #4 Dr. W
    29. Dezember 2012

    @Ludger

    Es trifft aber auf uns alle zu. Wir profitieren alle von der Sklaverei, die allerdings outgesourced ist (Jeans für 8 Euro oder DVD-Player für 30 Euro u.s.w.)

    “Wir” transferieren Geld in Staaten, in denen schlechtere Löhne gezahlt werden, die sich aber auch darum bemühen mit marktwirtschaftlichen Mitteln Wohlstand zu schaffen. – Das hat mit Sklaverei gar nichts zu tun. [1]

    Schlecht wäre es dagegen die eigenen Märkte abzuschotten und anderen so den Handel zu erschweren oder unmöglich zu machen. So wie es bspw. in der Landwirtschaft versucht wird und bei der Bekleidung versucht worden ist.

    MFG
    Dr. W

    [1] Man ist in einigen Ländern nicht unfroh bspw. $100 im Monat zu verdienen.

  5. #5 Ludger
    29. Dezember 2012

    WB: ” Das hat mit Sklaverei gar nichts zu tun. [1] […]
    [1] Man ist in einigen Ländern nicht unfroh bspw. $100 im Monat zu verdienen.”
    siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Lohnsklaverei : Als Lohnsklaverei werden degenerierte bzw. atavistische Arbeitsverhältnisse bezeichnet, wie sie unter frühkapitalistischen Produktionsverhältnissen in den Industriestaaten bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich waren und heute noch in vielen sozial rückständigen, rechtsfreien Nischen der Weltwirtschaft vorkommen.” Stichwort (Wikipedia) Sweatshop

  6. #6 Dr. W
    29. Dezember 2012

    @Ludger
    Kommen Sie jetzt bitte nicht mit linken Sichten aus der Wikipedia als Referenz.
    Sind Sie sich über die weltweiten Einkommensverhältnisse im Klaren? Wollen Sie vielleicht ein wenig Information tanken und nehmen dazu den Data Explorer von Google zur Hand?
    BTW und aus dem Gedächtnis: Die Grenze für absolute Armut ist irgendwo bei $1 pro Tag nach UN-Definition.

  7. #7 Joseph Kuhn
    29. Dezember 2012

    @ Dr. W.: Ich glaube nicht, dass Sandel die Marktwirtschaft abschaffen will und von “linken Sichten” à la Stéphane Hessel trennen ihn vermutlich Welten. Aber in der Kritik an markttheologischen Weltanschauungen wären sie sich wohl nahe. Überall sollen also freie Märkte herrschen, meinen Sie? Viel Spaß in einer solchen Welt, liberal im Sinne möglichst freier Entfaltungsmöglichkeiten für alle Menschen wäre das kaum. Sandel erwartet davon eher eine plutokratische Klassengesellschaft mit Dekandenz am oberen und Verelendung am unteren Rande, siehe das Zitat am Ende des Blogbeitrags. Das Erodieren der Mittelschichten in sozial stark ungleichen Gesellschaften, die soziale Entwicklung in England, die Chronifizierung von Hartz-IV-Karrieren in Deutschland oder die bewachten Festungen der Reichen in den USA sprechen dafür, dass man diese Möglichkeit besser nicht “peinlich berührt weghüsteln” sollte.

  8. #8 Dr. W
    29. Dezember 2012

    Überall sollen also freie Märkte herrschen, meinen Sie?

    Da fehlte noch ein ‘möglichst’, das war sogar von Ihnen.

    Aber Sie haben natürlich Recht, die Kritik an Ihrem Aufsatz (oder war es eine Rezension?) war derart fundamental, dass für Einzelpunkte wenig Platz blieb.

    Irgendwie fehlten einige Sachen, wie bspw. das nähere Eingehen auf die Staatlichkeit, die aus liberaler Sicht in ihren Aufgaben recht klar definiert ist (dann kann man sich auch solche Fragen sparen: ‘Soll man Polizeiautos mit Firmenwerbung fahren lassen, wenn dadurch die öffentlichen Haushalte entlastet werden, oder geht dadurch etwas von der Autorität und Neutralität der Polizei verloren? Soll der Zugang zu Politikern mit einem Preis versehen und „verkauft“ werden, es handelt sich schließlich um ein knappes Gut?’), oder das Gegenbild zu den möglichst freien Märkten, nämlich die geplanten Märkte, oder das Menschenbild, das der Liberalismus transportiert.

    Nicht einmal das staatliche Bearbeiten der Bedürftigkeit, echter Bedürftigkeit, ist aus liberaler Sicht ausgeschlossen; man darf sogar als Liberaler an das Bürgergeld denken.

    Weil es aber in D nur eine nischenartige und hauptsächlich im Web organisierte liberale Debatte gibt, kann man natürlich das desolate Auftreten real existierender doitscher Parteiliberaler [1] mit dem Liberalismus verwechseln, loge!, so wie man auch Sandel für einen Liberalen halten kann.

    MFG
    Dr. W

    [1] Rösler ist hier bei weitem nicht der Schlechteste.

  9. #9 Ludger
    29. Dezember 2012

    @ Joseph Kuhn
    Der FDP wird gerne Marktfundamentalismus unterstellt zum Teil mit dem Begriff Manchesterkapitalismus, obwohl das was ganz anderes ist. Das politische Ziel der FDP und wohl auch von Herrn Rösler sieht allerdings ganz anders aus: “Karlsruher Freiheitsthesen” ( https://www.fdp.de/files/565/Freiheitsthesen_vorlaeufige_Fassung.pdf ) Seite 39, Punkt (28):

    (28)
    (28) Freiheit und Wachstum brauchen Ordnungsrahmen
    Für Liberale ist die Soziale Marktwirtschaft auch ökologischen
    Zielen verpflichtet. Mit den Bürgern, mit Unternehmern,
    Arbeitnehmern und Verbrauchern wollen wir Deutschland
    verändern – gemeinsam mit ihnen, nicht gegen sie. Wir wollen die
    Innovationskraft der Marktwirtschaft in den Dienst des Fort-
    schritts stellen. Dabei muss die Schonung der natürlichen
    Lebensgrundlagen noch stärker zum wirtschaftlichen Eigeninter-
    esse werden. Aus diesem Grund wollen wir die
    marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen so setzen, dass
    Knappheiten über den Preis zum Ausdruck kommen und die
    Menschen auf diese Weise zu mehr Ressourceneffizienz motiviert
    werden. Der Markt setzt Knappheitssignale effizient um – doch
    dazu müssen diese Signale auch gegeben werden. Wenn Güter
    keinen Preis haben, können Märkte nicht effizient funktionieren
    und ökologische Kosten werden infolgedessen zwischen
    Weltregionen und Generationen umverteilt.
    Liberale Ordnungspolitik muss daher der Nachfrage kommender
    Generationen, langfristigen ökologischen Risiken und unmittel-
    baren externen Effekten einen Preis geben. Es muss das Verursa-
    cherprinzip gelten, und wo es möglich ist, sind Eigentumsrechte
    zu definieren. Die Abwendung von Gefahren erfolgt durch das
    Ordnungsrecht. Belastungsgrenzen müssen vorrangig durch
    Mengen steuernde Marktinstrumente wirksam umgesetzt werden,
    wie zum Beispiel den Emissionshandel. Auf diesem Weg wird aus
    der Verbrauchsökonomie die Effizienzökonomie.

    Sozialdemokraten hatten noch nie Probleme damit, z.B. die Steuerbefreiung von Veräusserungsgewinnen bei Kapitalgesellschaften einzuführen (unter Minister Eichel) und kurz danach der FDP eine besondere Nähe zu Finanzhaien zu unterstellen und des Neoliberalismus zu bezichtigen. Auch wenn manche Medien das so übernommen haben, wird es nicht wahrer.

  10. #10 Dr. W
    29. Dezember 2012

    Liberale Ordnungspolitik muss daher der Nachfrage kommender Generationen, langfristigen ökologischen Risiken und unmittelbaren externen Effekten einen Preis geben.

    Sowas ist ja erkennbar nicht liberal, sondern über das Ordoliberale hinaus: steuernd.

    Das ist also auch noch ein Gag, die FDP ist nicht sonderlich liberal, aber alleine deshalb, weil sie nicht ausdrücklich im zurzeit gewünschten Sinne umverteilerisch ist, wird sie angegriffen.

    MFG
    Dr. W

  11. #11 Joseph Kuhn
    30. Dezember 2012

    @ Dr. W.: Ich halte Sandel nicht für einen “Liberalen”, zumal ich gar nicht wüsste, was das bedeutet. Er denkt aber weder reaktionär, noch libertär, noch sozialistisch, insofern irgendwie “eher liberal”. Wie man seine kommunitaristische Seite einordnen soll, als wertekonservativ, oder “eher liberal”, mögen Sie selbst beurteilen. War sonst noch was?

    @ Ludger: Ich werde hier die Sozialdemokratie nicht verteidigen. Sie ist stellenweise orientierungslos. Das hat sie mit den Partei-Liberalen gemeinsam. Was die “Karlsruher Freiheitsthesen” angeht: Lesen Sie sie noch mal zusammen mit Sandels Thesen.

  12. #12 Spoing
    30. Dezember 2012

    @Dr. W:
    Naja ich finde, dass das nicht über den Rahmen des Ordoliberlismusses hinaus geht.
    Die Regulierungen die der Staat trifft dürfen ja auch durchaus ein Ziel haben. So wäre ein Co2 Zertifikatehandel ja durchaus im ordoliberalen Gedankengang nachvollziehbar. Der Staat darf durchaus ein Ziel anstreben. Er hat dieses nur durch Gestaltung des Rahmens zu erreichen und nicht durch Verbote oder aktives “mitspielen”.

    Das Übereinstimmen des Gemeinwohls mit der Summe des Individualwohls ist im Ordoliberalismus ja im Gegensatz zum “marktradikalen Liberalismus” eben etwas was sich nicht zwangsläufig einstellt. Der Staat muss dafür sorgen das die Rahmenbedingungen Herrschen in denen diese beiden Interessen Harmonieren.
    Der Ordoliberalismus verlangt deswegen ja auch nach einem “starken Staat”. Nur eben einen der stark ist im sinne von: “Das letzte Wort steht bei ihm”. Und nicht wie bei den Sozialisten: “Er hat alles zu regeln”.

  13. #13 Spoing
    30. Dezember 2012

    Ach so zu Rösler:
    Ich glaube auch, dass er ein halbwegs fähiger liberaler wäre. Nur ist er nicht in einer Zeit der Partei an der Spitze wo er das beweisen könnte.
    Seine Aufgabe ist es nur noch die Partei in idealen Übergabezustand für Lindner zu bringen.
    Sprich innerparteilich zu einen und Mediale Prügel möglichst auf seine Person und nicht auf die Partei zielen zu lassen. Selbst bei bestehen der 5% Hürde in Niedersachsen wird er diesen Kurs fahren.

  14. #14 Dr. W
    30. Dezember 2012

    @Spoing
    Der erste Teil des Zitierten, also das mit den kommenden Generationen, geht Richtung Ökologismus: diese Angst es zukünftigen Generationen zu versauen und jetzt schon den Zahlemann geben, am besten weg von Europa in die Developing Countries…
    Das mit den ‘unmittelbaren externen Effekten’ lässt sozusagen alles offen, wo der Staat einen ‘Preis geben’ kann.

    Den marktradikalen Liberalismus gibt es nicht, was es gibt sind der Libertarismus (die machen auch gerne in Verschwörungstheorien) und den Anarchokapitalismus (offiziell noch liberal).

    MFG
    Dr. W

  15. #15 Dr. W
    30. Dezember 2012

    @Kuhn
    Witzigerweise sind alle zugelassenen Parteien in D zu einem Minimum liberal, was daran liegt, dass die Systeme von Europäischen Aufklärern mitgedacht worden sind und ansonsten Parteiverbote lauern.
    Natürlich ist die SPD im Kern liberal und die PDS betonte nicht das System abschaffen zu wollen, sondern es im Rahmen des grundgesetzlich Möglichen planerischer auszulegen; auch die NPD bemüht sich nicht direkt staatsfeindlich zu erscheinen.

    Insofern ist hier der Maßstab der Ordoliberalismus, der dem Neoliberalismus ähnelt, aber nicht den Fehler mit der Präfix ‘Neo’ gemacht hat. ‘Neo’ klingt ja so als ob es beim ersten Mal nicht geklappt hat.

  16. #16 Spoing
    30. Dezember 2012

    @Dr. W:
    Das mit den Co2 Zertifikaten war eher ein Beispiel, was dahin ging, dass die von der Wirtschaft nicht direkt getragenen Kosten oft für diese nicht relevant sind. Diese sehen sich kurzfristig den Druck der Konkurrenz ausgesetzt und werden so um zu überleben auch den Schritt gehen sich Ihrer langfristigen Lebensgrundlage zu berauben. Ähnlich wie der Bauer der vor der Wahl steht vll. zu verhungern oder das Saatgut des nächsten Jahres zu verspeisen.
    Der Zertifikathandel passte nur deshalb so gut, weil er über eine künstliche Verknappung den Markt beeinflusst und nicht etwa aktiv Grenzwertwertverbote für bestimmte Produkte ausspricht. Die Intention, mit welcher die Rahmenbedingungen gestaltet werden sind dabei völlig irrelevant. Auch ein regelrechter Ökoterror wäre unter einer perversen Auslegung des Ordoliberalismusses durchaus möglich. Zum Beispiel mit der einfachen Regelung so viel Geld zu hinterlegen um alles jederzeit(!) wieder in den Ursprungszustand setzen zu können. Mehr als ein paar Pflanzen säen die man im Notfall schnell raus rupfen könnte ist dann nicht drin. Dies würde zwar den Sinn völlig in das Absurde ziehen, aber nicht gegen das Prinzip verstoßen da es in den Wirtschaftsprozess ja nicht eingreift.

  17. #17 Dr. W
    30. Dezember 2012

    Auch ein regelrechter Ökoterror wäre unter einer perversen Auslegung des Ordoliberalismusses durchaus möglich.

    Nicht, dass der Webbaer wüsste!

    Ansonsten, klar, das Sprechen für zukünftige Generationen, das Sich-Anmaßen von politischem Mandat für nicht Existierende ist eher etwas für die Sozen, für den Apparatschik, den die Volksgesundheit, nein, die Welt-Volksgesundheit treibt!

    MFG
    Dr. W (der hier auch nur deshalb herumwuselt, weil Herr Dr. Kuhn, wie unsereins, ein verständiges Subjekt zu sein scheint, das wie eben auch unsereins das Gemeinwohl versucht zu bestimmen, dabei auch in der Tüte frisch bleibt [1])

    [1] Niedrigkeit scheint ja sukzessive bei den deutschsprachigen ScienceBlogs auszuscheiden, kein Kummer darum!

  18. #18 michael
    31. Dezember 2012

    @WB
    >Niedrigkeit .. ScienceBlogs auszuscheiden

    Womit Du schön die Niedrigkeit der Bärenart demonstrierst.

  19. #19 Dr. W
    31. Dezember 2012

    Michael, es ischt aber schon auffällig, dass zunehmend Haupt- wie Leserbeiträge ohne Beleidigungen auskommen, gerade dann wenn sich die Sichtweisen unterscheiden. Oder?

    War jedenfalls mal schlimm hier.

    MFG + guten Rutsch!
    Dr. W

  20. #20 Statistiker
    2. Januar 2013

    Wie gut, dass ich den B-Bären nicht mal mehr igroniere…..

  21. #21 Joseph Kuhn
    2. Januar 2013

    CDU lehnt Röslers Papier ab:
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/koalitions-krach-cdu-lehnt-roeslers-positionspapier-ab-a-875213.html

    Interessant ist die Formulierung Gröhes: “Wir wollen eine marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze.” Das klingt etwas nach Quadratur des Kreises.

  22. #22 Ludger
    2. Januar 2013

    marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze
    Laut Wikipedia:

    Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) und deshalb Bestandteil der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG und dadurch verfassungsrechtlich garantiert:
    Art. 9, Abs. 3 Grundgesetz
    (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

    Deswegen muss es “marktwirtschaftlich organisiert” werden, was immer es zu bedeuten hat.

  23. #23 Joseph Kuhn
    2. Januar 2013

    @ Ludger: Naja, es geht bei diesem Konfliktpunkt zwischen FDP und Union ja nicht um Tarifverträge, sondern um Mindestlöhne und darum, dass dieser Eingriff in die Märkte für die wirtschaftsliberalen Kräfte dieser Parteien weltanschaulich verdaulich bleibt.

  24. #24 Ludger
    2. Januar 2013

    Ist ein Mindestlohn hoch, greift der Staat in die Tarifautonomie ein, ist er im Endeffekt niedriger als das ALG II, dann ist er überflüssig.

  25. #25 Joseph Kuhn
    2. Januar 2013

    Überflüssig wäre ein Mindestlohn unterhalb der Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 (2) BGB. Warum sollte er überflüssig sein, wenn er niedriger als ALG II liegt?

  26. #26 Ludger
    3. Januar 2013

    Warum sollte er überflüssig sein, wenn er niedriger als ALG II liegt?

    Dabei kommt es darauf an, ob er als Ersatz für ALG II oder als Ergänzung zu ALG II gedacht ist. Das eigentliche Problem wird die Zunahme der Schwarzarbeit sein oder die Zunahme prekärer Selbständigkeit z.B. als reisende Frisörin.

  27. #27 Joseph Kuhn
    3. Januar 2013

    “Das eigentliche Problem wird die Zunahme der Schwarzarbeit sein oder die Zunahme prekärer Selbständigkeit z.B. als reisende Frisörin.”

    … oder die Zunahme der Aufstockerzahlen. Es kommt wohl auf die konkrete Ausgestaltung an. Darüber mögen sich die Ökonomen streiten.

    Wie dem auch sei: Interessant fand ich, wie Gröhe die Notwendigkeit einer Marktregulation und die Abgrenzung zur FDP mit einem Bekenntnis zur Marktwirtschaft verbal ausbalanciert. Er scheint ja viel Wert darauf zu legen, möglichst “marktkonform” zu formulieren und marktexterne Erwägungen, etwa in der Art Sandels, nicht zu deutlich werden zu lassen.

  28. #28 Ralph
    3. Januar 2013

    ‘…wie kann da Verbraucherschutz stören? ‘
    Weil ein überzogener Verbraucherschutz die Waren für den Verbraucher unnötig verteuert. Die Politik steht immer vor der Herausforderung ein Relgelwerke mit ‘Augenmass ‘ zu schaffen. Das gilt auch für den Datenschutz. Natürlich sind dazu im Einzelfall Anpassungs- und Lernprozesse erforderlich. Vermutlich wird Rösler mit Sandel bei den konkreten Beispielen grossteils übereinstimmen.
    Dass aber eine solch simple Feststellung mit theologischem Eifer in Verbindung gebracht werden kann, lässt mich erstmal staunend zurück.
    Zum Thema Ordoliberalismus in Deutschland kann ich wärmstens das Buch von Michael Hüther empfehlen.

    https://www.amazon.de/disziplinierte-Freiheit-Balance-Markt-Staat/dp/3867741301

  29. #29 Joseph Kuhn
    3. Januar 2013

    @ Ralph: Schön, wenn ich Sie zum Staunen gebracht habe, lieber wäre mir allerdings, ich hätte Sie zum Nachdenken gebracht. Keiner will einen “überzogenen” Verbraucherschutz, das folgt fast schon logisch aus dem Wort “überzogen”. Wenn Rösler das trotzdem in einem programmatischen Papier vorbringt, darf man davon ausgehen, dass er damit nicht zeigen möchte, dass er weiß, was Tautologien sind, sondern ein politisches Glaubensbekenntnis zur Gewichtung von Gewinninteressen und Verbraucherschutzinteressen zum Ausdruck bringen will. Wenn man am Verbraucherschutz spart, mag das unmittelbar die Waren verbilligen, aber dann fallen Kompensationskosten andernorts an (z.B. als Informationsbeschaffungskosten bei den Kunden, als Kosten für Reklamationen, Rechtsschutz, Ersatzbeschaffung etc.). Rösler denkt hier nicht marktwirtschaftlich, sondern klientelpolitisch, mit Blick auf die Wahlen.

    Was Hüther angeht: Wie heißt es in seinem Buch so schön: “Im Notstand muss sich die wirkliche Handlungsfähigkeit des modernen Staates erweisen”, und dass der Staat dann als Versicherer gefragt sei. Viel dreister kann man das finanzmarktkrisenbelehrte Staatsverständnis des Unternehmertums mit beschränkter Haftung wohl kaum formulieren. Ich will einen Staat, der dafür sorgt, dass Straßen und Schulen gebaut werden, Lehrer da sind, Schadstoffgrenzwerte definiert werden (“überzogene Verbraucherschutzinteressen”?), dass das dafür nötige Geld gerecht aufgebracht wird usw. – und dass der Notstand möglichst gar nicht eintritt.

  30. #30 Basilius
    3. Januar 2013

    Das gefällt mir so gut, das muss ich gleich nochmals hinschreiben:

    Joseph Kuhn:
    Ich will einen Staat, der dafür sorgt, dass Straßen und Schulen gebaut werden, Lehrer da sind, Schadstoffgrenzwerte definiert werden, dass das dafür nötige Geld gerecht aufgebracht wird usw. – und dass der Notstand möglichst gar nicht eintritt.

    Genau so sehe ich das auch.

  31. #31 Ludger
    3. Januar 2013

    Ich will einen Staat, der dafür sorgt, dass Straßen und Schulen gebaut werden, Lehrer da sind, Schadstoffgrenzwerte definiert werden (“überzogene Verbraucherschutzinteressen”?), dass das dafür nötige Geld gerecht aufgebracht wird usw. – und dass der Notstand möglichst gar nicht eintritt.

    Das will jede Partei. Nur : was bedeutet konkret “gerecht”? Der Staat als Versicherer war wohl bei den Banken gefragt, die too big to fail waren. Doch haben die eine besondere Nähe zur FDP? Braucht man nicht vielmehr eine besondere Nähe zur CSU, um Topmanager der Bayern-LB oder der Hypo Real Estate zu werden und Nähe zur SPD, um in den Vorstand der West-LB zu kommen?

  32. #32 Joseph Kuhn
    3. Januar 2013

    @ Ludger: Viele fragen sich, wofür man eine besondere Nähe zur FDP überhaupt noch braucht. Too big to fail ist sie ja nicht, eher droht die eine oder andere Promillegrenze 😉

    Um zum Thema zurückzukommen: Meinen Sie, dass in Ihrem Metier mehr Markt der Gesundheit der Menschen dienlich und zugleich ethisch unbedenklich wäre?

  33. #33 Ludger
    3. Januar 2013

    Ich bemerke bei Ihnen eine gewisse selektive Aufmerksamkei zu Lasten der FDP. Zu Ihrer Frage: “mehr Markt der Gesundheit?”:
    Ich habe persönlich nichts gegen eine Verbeamtung der gesamten Ärzteschaft. Man will aber lieber die Flexibilität und Innovationskraft der Freiberufler, die dazu ihre Gesundheits- und Berufsrisiken noch selber tragen. Allerdings lässt die Attraktivität des Arztberufes in Deutschland merklich nach. Als eine Ursache sehe ich die zunehmende Gängelung. “Mehr Markt” ist nicht das Thema.

  34. #34 Joseph Kuhn
    3. Januar 2013

    @ Ludger: “selektive Aufmerksamkeit zu Lasten der FDP”: Naja, immerhin nehme ich sie noch wahr. Ich bemühe mich aber, auch die anderen Buchstabenkombinationen nicht zu übersehen, siehe z.B.:
    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2012/07/27/armes-bayern/

  35. #35 Ludger
    4. Januar 2013

    Für alle Leute, die die FDP für überflüssig halten:

    Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich [ CSU ] hat angekündigt, Heron-Drohnen für die Bundespolizei zu nutzen. ( https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/aus-dem-maschinenraum/aus-dem-maschinenraum-drohnen-ueber-dem-bodensee-12013388.html )

  36. #36 michael
    4. Januar 2013

    > die die FDP für überflüssig halten:

    Och, nicht nur die FDP wird gegen einen Überwachungsstaat sein. Oder täusch ich mich da?

  37. #37 Ludger
    5. Januar 2013

    @ michael
    Klar. Und Sahra Wagenknecht ist für die Stärkung des Marktes. Das kann man im Interview mit ihr im SPIEGEL 2, 2013 nachlesen.

  38. #38 Ludger
    5. Januar 2013

    Sorry, es ist im SPIEGEL 1, 2013 und auch hier: https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/1482.wir-brauchen-maerkte.html

    Wagenknecht: Wer will eine “Zwangswirtschaft”? Natürlich braucht eine moderne Gesellschaft Märkte, aber bitte nur da, wo sie funktionieren.

  39. #39 michael
    6. Januar 2013

    @Ludger

    a) Frau Wagenknecht ist keine Partei.

    b) Aussser den Linken , der CDU/CSU und der FDP gibt es noch weitere Parteien.

    c) Willst Du damit andeuten, dass FDP mit ‘kein Überwachungsstaat’ genausoviel am Hut hat, wie die Linken mit der freien,sozialen Marktwirtschaft?

  40. #41 Ludger
    6. Januar 2013

    Natürlich will keine Partei einen Überwachungsstaat, wenn man danach fragt. Die wollen alle Wohlstand und Freiheit, wie Frau Wagenknecht. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man das auch dort bekommt. Herr Schily war z.B. als grüner SPD-Innenminister kein Vorkämpfer für bürgerliche Freiheiten.

  41. #42 Ludger
    6. Januar 2013

    @ michael
    Die Autorin des verlinkten Leserbriefes guckt zu viel Stefan Raab.

  42. #43 MJ
    7. Januar 2013

    Ich bin wohl etwas spaet bei der Party. Sandel streitet sich mit Greg Mankiw, Wirtschafts-Prof in Harvard und ueber das zZ meistverkaufte Econ101-Lehrbuch wohl recht bekannt, schon seit geraumer Zeit um den ersten Platz fuer die meistbesuchte Vorlesung (also gegen die Econ101-VO von Mankiw) und steht in kaum zu uebersehender philosophischer Opposition zu ihm. Daher interessiert Mankiw das Thema natuerlich entsprechend. Er ist auf seinem Blog zwar selbst nicht auf ihn eingegangen, hat aber auf einen Essai Sandels und ein paar Kritiken von Oekonomen verlinkt:

    https://gregmankiw.blogspot.fr/2012/11/michael-sandel-and-his-critics.html

  43. #44 Joseph Kuhn
    8. Januar 2013

    @ MJ: Danke für den Link. Da geht es ja ordentlich zur Sache. In der bei Mankiw verlinkten Besprechung von McCloskey findet man z.B. den Satz “The poor have benefited the most from capitalism.” Für eine Frau, die in Schweden Wirtschaftsgeschichte lehrt, ein wahrhaft wagemutiger Satz. Es geht doch nichts über ein einfaches Weltbild.
    Interessante Überlegungen zur sozialen Akzeptanz der monetären Bewertung z.B. von Organen oder von Anstehzeit gibt es in der dort ebenfalls verlinkten Besprechung von Raghuram Rajan. Inwiefern das ethische oder doch eher psychologische Überlegungen sind, wäre zu diskutieren.

  44. #45 Dr. Webbaer
    8. Januar 2013

    “The poor have benefited the most from capitalism.” Für eine Frau, die in Schweden Wirtschaftsgeschichte lehrt, ein wahrhaft wagemutiger Satz. Es geht doch nichts über ein einfaches Weltbild.

    Als ob es wichtig wäre, dass der Aussagende eine Frau ist oder in Schweden lebt…

    Welche politischen Positionen haben Sie eigentlich vor 1989 vertreten, Herr Kuhn? (Möchte man da zumindest fragen, wenn sogar einfache richtige Aussagen in personifizierter Form in Abrede gestellt werden.)

    MFG
    Dr. Webbaer

  45. #46 MJ
    8. Januar 2013

    @ Joseph Kuhn

    Ich denke, McCloskey wollte einfach darauf hinweisen, dass selbst die aergsten sozialen Ungleichheiten in modernen Industrienationen nicht an die Ungleichheiten “vor”industrieller Kulturen herankommen (sei es historisch oder gegenwaertig). Sandel hat da eine gewisse Tendenz, das Kind mit dem Bad auszuschuetten. Es ist nicht so, dass Oekonomen nicht wuessten, dass es einen Tradeoff zwischen Gleichheit und Wachstum gibt und die reine Konzentration auf letzteres allein nicht die Loesung fuer alles sein kann.

    Jetzt einmal abgesehen von Röslers Rhethorik und was sie impliziert sind sich Oekonomen dessen schon etwas mehr bewusst als da bei Sandel durchklingt (das ist ja auch eine Kritik McCloskeys). Bemerkenswert in diesem Zusammenhang finde ich Richard Posners und Gary Beckers Beitraege zu Umverteilung mittels progressiver Besteuerung. Beide sind mit Sicherheit nicht “links” oder sonderlich wirtschaftskritisch zu verorten – der eine hat einen Wirtschafts-“Nobelpreis” und war offizieller Romney-Unterstuetzer darin, der andere hat das amerikanische “law and economics”-Paradigma quasi erschaffen. Posner ist mit seinem Argument expliziter: es gibt nicht das geringste moralische Argument dagegen, das gesamte Vermoegen uber Steuer umzuverteilen. Allerdings gibt es ein oekonomisches (das, in andere Hinsicht dann wiederum ein moralisches waere, aber es sit kalr, was er mein):

    https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:https://www.becker-posner-blog.com/2012/10/luck-wealth-and-implications-for-policy-posner.html

    (Ich kann den Blog schon seit geraumer Zeit nicht aufrufen, daher das Cache)

  46. #47 MJ
    8. Januar 2013

    Und was Schweden anbelangt: es wird oft als Beispiel eines nachhaltigen Wohlfahrtsstaats angefuehrt. Aber die Sache ist kompliziert: Acemoglu/Robinson haben vor ein paar Monaten ein Paper publiziert, das zwar recht theoretisch ist, aber im Prinzip zeigt, dass Wohlfahrtsstaaten à la Schweden in ihrem Wohlstand nur dank der Existenz von cut-throat-kapitalistischen Systemen wie den USA exisiteren koennen (oder anders ausgedrueckt: nicht alle Staaten koennen Wohlfahrtsstaaten sein). Dafuer haben sie von der US-liberalen Blogosphaere einige Kritik einstecken muessen. Acemoglu/robinson haben auf ihrem Blog “Why Nations Fail” (ein Buch, fuer das sie wiederum von der Rechten angegriffen wurden) eine Antwort auf diese Kritik geschrieben, in der auch die dem Paper zugrundeliegende Idee ausgefuehrt wird:

    https://whynationsfail.com/blog/2012/10/4/economic-research-vs-the-blogosphere.html

  47. #48 Dr. Webbaer
    8. Januar 2013

    Posner ist mit seinem Argument expliziter: es gibt nicht das geringste moralische Argument dagegen, das gesamte Vermoegen uber Steuer umzuverteilen.

    Zumal sowas ja schon in der doitschen Geschichte versucht worden ist. Mehr als einmal.

    Über “Steuerung”, weniger über Steuern, korrekt!

    Und gegen sowas wendet sich eben der Liberale. – BTW: Rösler soll eine Grundsatzrede zum freiheitlichen Miteinander gehalten haben beim Drei-Königs-Treffen, der genaue Redetext [1] konnte hier leider nicht gefunden werden. Weiß jemand mehr?

    MFG
    Dr. W

    [1] grundsätzlich keine schlechte Entgegnung auf Niebelsche Niedrigkeit, oder?

  48. #49 Joseph Kuhn
    8. Januar 2013

    @ MJ:

    “Ich denke, McCloskey wollte einfach darauf hinweisen, dass selbst die aergsten sozialen Ungleichheiten in modernen Industrienationen nicht an die Ungleichheiten “vor”industrieller Kulturen herankommen (sei es historisch oder gegenwaertig).”

    Dass frühere Zeiten für die meisten Menschen kein Zuckerschlecken waren, sehe ich natürlich genauso. Mir ging es nur darum, dass die Wohlstandsgewinne in den Industrieländern nicht einfach als Verdienst “des Kapitalismus” gesehen werden können, als hätte es keine Arbeiterbewegung und keine bürgerliche Sozialreform zur Eindämmung kapitalistischer Ausbeutung gegeben. Unseren vergleichsweise breit gestreuten Wohlstand muss man wohl eher als Ergebnis einer gesellschaftlichen Zivilisierung des Kapitalismus denn als Ergebnis seiner ökonomischen Eigendynamik sehen.

    Acemoglu/Robinson: Ein interessanter Versuch, international unterschiedliche Entwicklungen zu verstehen. Ich denke, man wird abwarten müssen, ob dazu mehr Empirie produziert wird oder ob sich die Sache als spekulative Entwicklungstheorie entpuppt.

    @ Dr. Webbär:

    “Als ob es wichtig wäre, dass der Aussagende eine Frau ist oder in Schweden lebt…
    Welche politischen Positionen haben Sie eigentlich vor 1989 vertreten, Herr Kuhn?”

    1. Dass der fragliche Satz “für einen Mann” wagemutig ist, hätte ich in diesem Fall ja kaum schreiben können.
    2. Schweden: Hätte der guten Frau Anschauungsmaterial dazu bieten können, dass Wohlstand für breite Schichten durch gesellschaftliche Arrangements und nicht einfach durch “den Kapitalismus” entsteht.
    3. Vor 1989: Falls Sie darauf hinauswollen, ob ich damals vielleicht die DDR verteidigt habe: Nein.

  49. #50 MJ
    8. Januar 2013

    @ Joseph Kuhn

    Klar, das war auch nicht unbedingt als Widerworte gemeint, sondern – und um zum Abschluss noch einen Oekonomen zu zitieren – als Hinweis auf Larry Summers Maxime:

    “It isn’t easy to figure out how the world works.”

    … oder so aehnlich:

    https://blog.supplysideliberal.com/post/28369202889/it-isnt-easy-to-figure-out-how-the-world-works

    Natuerlich nicht fuer die, die in Kategorien des Kalten Kriegs stecken geblieben sind. Fuer die ist alles offensichtlich. Die muessen einfach aussterben.

  50. #51 Dr. Webbaer
    9. Januar 2013

    Hätte der guten Frau Anschauungsmaterial dazu bieten können, dass Wohlstand für breite Schichten durch gesellschaftliche Arrangements und nicht einfach durch “den Kapitalismus” entsteht.

    Anschauungsmaterial ist ja derart viel vorhanden, dass man nur die Augen öffnen muss. – Ein wneig irreführend ist hier natürlich der Begriff ‘Kapitalismus’, den viele aus gutem Grund ablehnen. Denn die modernen Gesellschaftssysteme stehen immer im Dreieck Marktwirtschaft, persönliche und unternehmerische Freiheit – ansonsten könnte man ja auf die Idee kommen China, Russland oder Pakistan als ‘kapitalistisch’ zu bezeichnen. Und das wäre irreführend.

    Der Schreiber dieser Zeilen hat Sie aber ohnehin eher auf “Satzsuche” gesehen. Oder vertritt die ‘gute Frau’ radikal-“liberale” Sichten, falls ja, hätte dort angesetzt werden können.

    MFG
    Dr. Webbaer

  51. #52 MJ
    9. Januar 2013
  52. #53 Dr. Webbaer
    9. Januar 2013

    Klar, auch Meritokratien und feudalistische Systeme, Sklavenwirtschaften sozusagen, können “kapitalistisch” sein, MJ.

    Darum taugt der Begriff nichts und wird auch oft von denjenigen verwendet, die eine andere als eine freie Gesellschaftsordnung zu rechtfertigen suchen – oder von kapitalistisch-radikalen Spinnern, Anarchokapitalistischen oder Nihilokapitalisten sozusagen.

    … was aber vom eigentlichen Thema ein wenig wegführt, wie auch die Ihnen eigenen kurzangebundenen Verweise auf Autoritäten oder “Autoritäten”. – Rösler und die FDP allgemein sind gar nicht so-o ungünstig unterwegs, auch wenn sich der liberale Kern der Veranstaltung eher in Stiftungen und anderen Institutionen findet; bei Individuen ohne Amt. Denn der doitsche Parteiliberale scheint zu wissen: ‘Liberal’ kannscht Du in D net gut verkaufe, tagespolitisch.’

    MFG
    Dr. W

  53. #54 MJ
    9. Januar 2013

    Nein, das heisst es nicht. Es heisst einfach nur, dass Sie uninformiert herumquatschen und sich die Bedeutung von Begriffen, die Oekonomen offenbar recht gut einzugrenzen und anzuwenden wissen, nach Geratewohl zurechtbiegen (oder nicht).

  54. #55 Dr. Webbaer
    9. Januar 2013

    die Bedeutung von Begriffen, die Oekonomen offenbar recht gut einzugrenzen

    Sie sind halt stark an Autoritäten gebunden, setzen diese für Webverhältnisse nur scheinbar nützlich ein & es mangelt Ihnen erkennbar am Wissen um die Semantik und das Konzeptionelle betreffend.

    Darum fällt die kommentarische Diskussion mit Ihnen auch immer so Mickey Mouse-artig aus.

    Von Anfang an…

    MFG
    Dr. W

  55. #56 MJ
    9. Januar 2013

    Mir ist noch diese recht lange Diskussion zu “Libertarianism and the Workplace” auf crookedtimber diesen Sommer eingefallen (es gibt dann noch einige Nachfolgeposts im Zuge einer Diskussion mit Tyler Cowen und Alex Tabarrok, beide Libertaere):

    https://crookedtimber.org/2012/07/01/let-it-bleed-libertarianism-and-the-workplace/

    @ Webbaer

    OMG, Sie sind ja voellig besessen von ihrem Kommentarteildasein. Get a life.

  56. #57 Joseph Kuhn
    9. Januar 2013

    @ MJ: Interessante Debatte, danke für den Link. Für die Art zu denken, wie es die bleeding heart libertarians praktizieren, scheint es nicht nur in der FDP derzeit wenig Raum zu geben. Sehr gut fand ich z.B. den Hinweis darauf, dass das Bewusstsein, dass sich Menschen im privaten Miteinander in ihrer Freiheit beeinträchtigen können (und deswegen der Staat notwendig ist), geradezu eine Gründungsidee des Liberalismus ist, dass dieses Bewusstsein aber am Arbeitsplatz heute fast schon als illegitim gilt. Passt insgesamt gut zum Sandel-Beitrag.

  57. #58 Dr. Webbaer
    10. Januar 2013

    Sehr gut fand ich z.B. den Hinweis darauf, dass das Bewusstsein, dass sich Menschen im privaten Miteinander in ihrer Freiheit beeinträchtigen können (und deswegen der Staat notwendig ist), geradezu eine Gründungsidee des Liberalismus ist, dass dieses Bewusstsein aber am Arbeitsplatz heute fast schon als illegitim gilt.

    Solche Hinweise scheinen tatsächlich hierzulande erforderlich. – Und die Unterscheidung trifft der Liberale, und hoffentlich nicht nur der, dadurch, dass der Arbeitsplatz einen typischerweise bilateralen Arbeitsvertrag oder ein entsprechendes Dienstverhältnis zwischen Privaten voraussetzt, das Arbeitsverhältnis also nur indirekt mit den staatlich garantierten Freiheiten zu tun hat, also grundsätzlich anderen Ansprüchen folgt als den allgemeinen.

    HTH
    Dr. W

  58. #59 MJ
    10. Januar 2013

    @ Joseph Kuhn

    Das Erstaunliche ist, dass sich Hayek dieser Tradeoffs voll bewusst war (etwa, dass man mit privaten Vertraegen seine Freiheit verkaufen kann). McClosleys Kritik weist darauf hin, dass Friedman fuer ein gesichertes Grundeinkommen war, wie Hayek auch. Beide anerkannten Marktversagen als Faelle an, in denen eine staatliche Regulierung (etwa ueber Steuern) zulaessig ist. Und es wird kaum libertaerer als die beiden inellektuellen Vaeter der Mont Pelerin Society. Samuelson hat ja Friedman entsprechend charakterisiert:”He was a libertarian to the point of nuttiness.”

    D.h. die beiden haben Positionen vertreten, fuer die sie unter heutigen Libertaeren und ihren Euro-Ablegern wie sie sich auf der Achse des peu importe oder Novo n’importe quoi praesentieren, als Linksradikale gelten wuerden. Gesichertes Grundeinkommen! Marktversagen! Die Typen sehen schon Stalin vor der Tuere stehen, weil die EU ein Gluehbirnenverbot einfuehrt (und ich uebertreibe nur geringfuegig), weil sie da ihre Wahlfreiheit eingeschraenkt sehen (jetzt einmal unabhaengig davon, ob das Verbot sehr intelligent war).

    Als die Fed die Krise durch monetaere Expansion etwas abfedern wollte, sind US-Libertaere voellig ausgerastet: Hyperinflation! Zimbabwe!!!! Das war natuerlich ebenfalls eine Politik, die Friedman, der Monetarist schlechthin, befuerwortet hat. Daraufhin hat Brad Delong einen Scherz eingefueht, der zeigt, wo sich die heutige libertaere Szene im Vergleich zu Friedman befindet:

    https://delong.typepad.com/sdj/2010/11/throwing-milton-the-red-over-the-side.html

    Ich habe meine Zweifel, dass sie den Scherz verstehen…

  59. #60 MJ
    10. Januar 2013

    …und mit “sie” im letzten Satz sind Libertaere gemeint…

  60. #61 Dr. Webbaer
    10. Januar 2013

    Die Typen sehen schon Stalin vor der Tuere stehen, weil die EU ein Gluehbirnenverbot einfuehrt (und ich uebertreibe nur geringfuegig)

    Die EU wartet mit vielen kleinen Stalins auf. Allerdings scheint der Doitsche [1] gewohnt zu sein viele Sachen nicht zu dürfen, die ihm aus allgemeiner liberaler Sicht zustehen.

    [1] gilt für die kleinen Doitschen natürlich auch

  61. #62 Joseph Kuhn
    12. Januar 2013

    @ MJ: Ich bin kein Ökonom, aber wenn ich es recht sehe, war weder das Mindesteinkommen bei Hayek noch die negative Einkommenssteuer bei Friedman als Marktbegrenzung gedacht. Eher scheinen sie es als den Preis dafür gesehen zu haben, dass die Armen den Rest der Gesellschaft (und die Märkte) in Ruhe lassen, bei Friedman dabei etwas marktkonformer gedacht als bei Hayek, weil die negative Einkommenssteuer staatliche Eingriffe zugleich durch einen einkommensbasierten Automatismus ersetzen sollte. Aber wie gesagt, ich bin kein Ökonom und von Friedman habe ich praktisch nichts gelesen.

    @ Dr. Webbär: Was ist man denn hierzulande gewohnt, nicht zu dürfen, obwohl es einem aus “allgemeiner liberaler Sicht” (gemeint ist vermutlich Ihre?) zustünde? Keine Steuern zu zahlen? Beschäftigte zu sittenwidrigen Löhnen arbeiten zu lassen? Giftmüll irgendwo im Wald zu vergraben? Gammelfleisch umzuetikettieren?

  62. #63 Dr. Webbaer
    12. Januar 2013

    Was ist man denn hierzulande gewohnt, nicht zu dürfen, obwohl es einem aus “allgemeiner liberaler Sicht” (gemeint ist vermutlich Ihre?) zustünde? Keine Steuern zu zahlen? Beschäftigte zu sittenwidrigen Löhnen arbeiten zu lassen? Giftmüll irgendwo im Wald zu vergraben? Gammelfleisch umzuetikettieren?

    Das ist ja die Crux: Es weiß in D kaum jemand, was die ‘allgemeinen liberalen Sichten’ üblicherweise darstellen.

    Insofern kommt es dann eben oft zu “Mickey Mouse”. – Wie bereits geschrieben, zu sowas wie dem Artikel oder Ihrem letzten Kommentar fällt es schwer konkret zu antworten, weil einfach nicht die selben Kenntnisstände da sind.

    Das fängt ja schon beim Intro an:

    „Keine Hemmnisse bei der Entfaltung neuer Märkte durch überzogene Anforderungen (etwa an Daten- und Verbraucherschutz).“ Man stutzt etwas bei dieser Formulierung, weil es bei neuen Märkten schließlich zunächst um den Nutzen für den Verbraucher gehen sollte, wie kann da Verbraucherschutz stören?

    Wobei Sie Märkte anscheinend primär als Hersteller-Verbraucher-orientiert verstehen, wobei der Verbraucher zu schützen sei. – Was ist das nur für eine Sicht auf den Markt, also auf die summierte geschäftliche Tätigkeit?

    MFG
    Dr. W

  63. #64 Joseph Kuhn
    13. Januar 2013

    @ Dr. Webbär: Sie weichen aus. Zunächst hatte ich Sie gefragt, ob liberale Ansichten durch eine Art Zentralkomitee festgelegt werden (“allgemeine liberale Sicht”), dann vor dem Hintergrund der von MJ eingeführten bleeding heart libertarians ein paar konkrete “Verbote” (aus der einen Sicht) oder freiheitssichernde Maßnahmen (aus der anderen Sicht) genannt und gefragt, wie Sie sie einstufen.

    In den genannten Beispielen kommen z.B. Fragen zur Externalisierung von Kosten und zur Verfügbarkeit von Informationen auf dem Markt zum Tragen, allgemeiner zu Nutzenvorstellungen, gleichen Wettbewerbsbedingungen und zur Möglichkeit des Marktversagens.

    Was Märkte angeht, fürchte ich, gibt es zudem ebenfalls keine “allgemeine Sicht”, so dass die Sache einfach als Differenz von “Kenntnisständen” zu formulieren wäre.

  64. #65 Dr. Webbaer
    13. Januar 2013

    Lieber Herr Kuhn, das ist ein weites Feld, in der doitschsprachigen Öffentlichkeit wird ja meist der Klischeeliberale kritisiert, der Kaltherzige.

    Gemeint ist mit “der Liberale” im o.g. Sprachraum typischerweise der Ordoliberale, der sozial bemüht ist (“soziale Marktwirtschaft”), nichts gegen den Staat hat, diesen als im internationalen Wettbewerb stehend auch dringend benötigt.

    Natürlich gibt es auch linke Vögel (Linkslibertäre (MJ, Mother Jones), aber auch Kräfte der Linkspartei und bei den normalen Genossen), die sich linksliberal nennen

    Die Jugendorganisation der FDP lief in den Siebzigern auch aus dem Ruder und wurde sogar vom Verfassungsschutz (!) beobachtet als sie schlicht ausgewechselt worden ist durch die “Julis” (statt “Judos”).

    Problematische Kräfte gibt es auch bei den Rechten, also bei den Rechtslibertären, die 9/11 bspw. dem amerikanischen Staat zuordnen, damit der mehr überwachen kann.
    Auch die NPD soll liberale Elemente tragen.

    Was ja auch kein Wunder ist, denn alle Parteien müssen zu einem Minimum liberal sein, um nicht verboten zu werden. Zumindest in D.

    Der Liberale, also der Ordoliberale, vertritt aber andere Sichten als diejenigen vermuten, die Klischeeliberale kritisieren.

    MFG
    Dr. W

  65. #66 Dr. Webbaer
    13. Januar 2013

    Nachtrag zu den ‘genannten Beispielen’:
    Hier liegen Sie immer richtig, wenn Sie dem Liberalen das Menschenbild unterstellen, das besagt, dass das Individuum möglichst eigenverantwortlich zu handeln hat.
    Der Liberale findet es zudem unerträglich, wenn 50% und mehr in den Sozialhaushalt gehen und der Staatshaushalt mehr als 10% dem Schuldendienst widmet. Denn so ist irgendwann kein Staat mehr sinnvoll zu führen, wie sich ja auch in der Eurokrise auf köstliche Art und Weise und (nicht nur) zum Schaden Ds abzeichnet.

  66. #67 MJ
    14. Januar 2013

    @ Joseph Kuhn

    Das war ganz sicher nicht als Marktbegrenzung gedacht, im Gegenteil: es war offensichtlich als Gimmick gedacht, Maerkte dort zur Anwendung zu bringen, wo sie gewisse Probleme offensichtlich nicht beheben koennen. (Ich glaube auch nicht, dass das Teil ihrer akademischen Beitraege war, sondern eher ihrer politischen Philosophie.) Aber das ist der springende Punkt: es zeigt dass ihnen soziale Probleme bewusst waren, und dass offenbar auch beiden bewusst war, das “freie Maerkte” dieses Problem spezifisch nicht beheben werden. Und so sehr sie freie Maerkte wollten, so hatten sie doch Wohlfahrtsmaximierung damit im Auge und ordneten Maerkten keinen quasi-religioesen Charakter zu. Ihr Ansatz zur Loesung des Armutsproblems war paternalistisch, aber nicht blind. Das zeigt sich auch in Hayeks Akzeptanz gegenuber staatlichen Regulierungen, solange von diesen nur ein eindeutiges Preis (oder Informations)signal ausgeht. Und Friedmans Bekenntnis zu einer Besteuerung von Unternehmen, die etwa die Umwelt verschmutzen. Beide wussten (natuerlich! das wissen wir seit den 20ern), dass private Kosten oder Gewinne einer privaten oekonomischen Taetigkeit nicht zwingend die gesellschaftlichen Kosten reflektieren muessen (siehe Finanzkrise). Dass also ein Marktversagen vorliegen kann, und hier eine voellig gerechtfertigte Rolle des Staates vorliegt als derjenige Koerper, der die Interessen der Allgemeinheit gegenueber Privaten vertritt (und diese folglich besteuert, wenn er anderen oder der Allgemeinheit einen Schaden verursacht).

    Keinesfalls muss man mit ihrer spezifischen Argumentation uebereinstimmen (und sowieso hatten beide ihre Zeit, oekonomische Theorie und Philosophie sind weitergewandert – heute dominieren Okeonomen wie Krugman den oeffentlichen Diskurs), aber sie waren nicht die Irren, die sich aktuell in ihren Fusstapfen waehnen und keinerlei intellektuelle oder oekonomische Grundlage haben (vielleicht Murray Rothbard? Darth Vader? Die Borg-Queen?). Denen aber aus unerfindlichen Gruenden der Ruf nachhaegt, besonders oekonomisch versiert zu sein, hauptsaechlich aufgrund einer Berufung auf eine oekonomische Tradition, die auf einem historischen Phantasiegebilde fusst.

    Und das war ja auch McCloskeys Kritik (und wohl indirekt die Mankiws): Sandel haette sich davon ueberzeugen koennen, dass Oekonomen all die Probleme auf dem grundlegenden Level, das er anspricht, voll bewusst sind – einfach, indem er etwa Mankiws Einfuehrungslehrbuch liest (oder Krugmans, oder Stiglitzs; und ich bezweifle nicht, dass andere darauf hinweisen). Was er angegriffen hat, war nicht oekonomisches Denken, sondern eine spektakulaer marktradikale Form davon, die selbst den bekanntesten Proponenten freier Maerkte (nachweislich) zu primitiv war. Kurz: was er angreift, sind Libertaere der radikaleren Art, nicht Oekonomen oder Wirtschafttheorie in irgendeinem sinnvollen modernen (oder historischen) Sinne.

    P.S.: Voellig nichttechnisch kann man sich ueber Friedmans Denken uebrigens nicht nur durch Lesen, sondern aucyh durch Ansehen seiner “Free to Choose”-Serie machen, die (sogar legal) oeffentlich zugaenglich ist:

    https://miltonfriedman.blogspot.fr/

    P.P.S.: Die Finanzkrise betreffend ist es natuerlich Kaffeesudleserei, wenn man sich fragt, was Typen wie Hayek und Friedman wohl gesagt haetten. Aber wir wissen, was Krugman sagt, dem Liberale (im US-Sinne) ja z.Z. zu Fuessen liegen – und ich fuerchte, ohne ihn allzu sehr im Detail zu lesen. Seine theoretische Grundlage fuer die Behandlung der Krise ist die “liquidity trap”, u.a. mit der Konsequenz dass eine monetaere Expansion nicht zu Inflation fuehrt (er hat recht behalten) und ein fiskaler “Stimulus” zu Wachstum fuehrt (schwieriger zu zeigen, aber die Mehrzahl der Studien zum US-Stimulus gibt ihm hier auch recht). Aber letzteres aus dem einzigen Grund, weil unter den jetzigen Umstaenden der Staat mit privaten Unternehmen einfach nicht in Konkurrenz steht – prinzipiell ist er natuerlich weniger effizient als solche – und somit “einspringen” kann. Ansonsten ist Krugman ja auch ein “free market guy” und “believer in capitalism”. Natuerlich ist er auch fuer eine Regulierung von Finanzmaerkten – aber das Argument ist wiederum ein oekonomisches: sie verursachen gesellschaftliche Schaeden, fuer die die privaten Akteure nicht aufkommen muessen, also muessen sie reguliert werden. Das alles ist prinzipiell bekannt, nur wurde es in Falle der Krise nicht identifiziert, was schlimm genug ist. Alles moegliche ist durch die Krise in Frage gestellt. Aber es ist jetzt nicht so, dass die “invisible hand” irgendwie ausgedient hat und die gesamte oekonomische Theorie von Seite 1 an umgeschrieben werden und jeder, dem irgendwelche oekonomischen Implikationen nicht passen, einfach nur “Aber die Krise!” sagen muss.

  67. #68 Ralph
    19. Januar 2013

    Rösler bescheinigen Sie, dass er “.. ein politisches Glaubensbekenntnis zur Gewichtung von Gewinninteressen und Verbraucherschutzinteressen zum Ausdruck bringen will. ”
    Das ist etwas klischeebelastet, wie mir scheint.
    “Wenn man am Verbraucherschutz spart, mag das unmittelbar die Waren verbilligen, aber dann fallen Kompensationskosten andernorts an (z.B. als Informationsbeschaffungskosten bei den Kunden, als Kosten für Reklamationen, Rechtsschutz, Ersatzbeschaffung etc.)”
    Knapp aber auf den Punkt. Könnte so vermutlich auch von Rösler kommen.
    Dass man Verbraucherschutz auch übertreiben kann, sieht man am besten in den USA. Dort werden die Verbraucher ” bereits wie Kleinkinder behandelt” (Tagesspiegel). Bei der Vereinheitlichung von EU Recht gibt es ähnliche Tendenzen. Mit strengen Gesetzen und Reglementierungen ist man als Politiker immer auf der “guten” Seite. Aber ist man dann auch immer auf der Seite der Verbraucher? Der Internetversandhandel ist eine phantastische Sache, stellt aber auch einige Herausforderungen an Regelungen und Verbraucherschutz behörden. Wie lange darf ein Kunde eine Ware besitzen und benutzen und sie anschliessend wieder zurückgeben? Werden die Spielräume zu gross, geht das zu Lasten derjenigen, die ein wenig verantwortungsvoll denken, sich vor dem Kauf informieren, wissen was sie wollen und eher selten etwas zurückschicken. Eine solche Haltung ist aber schon jetzt obsolet. Ich bestelle mir einfach 10 Smartphones, probiere sie alle ausgiebig aus, schicke 9 wieder zurück oder auch alle 10. Das Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen, ich kenne Leute die damit angeben. Und es ist auch rationales Verhalten. Sollte es so sein? Meinetwegen, aber es ist zumindest ein Punkt über den man diskutieren und nachdenken sollte.
    Weiter muss man als politischer Entscheider berücksichtigen, dass strenge Reglementierungen sinnlos sind, wenn sie nicht mit vertretbarem Aufwand kontrolliert und überwacht werden können. Strenge bürokratische Auflagen haben dei Tendenz zuerst zuerst kleine Anbieter/Händler/Handwerker vom Markt zu drängen. Übrig bleiben die Großen mit eigener Bürokratie Rechtsabteilung. Ist das wirklich immer im Sinne des Verbrauchers?
    Für so etwas öffentlich die Stimme zu erheben ist schwer, wie man sieht.
    Wie sieht es denn bei den Ärzten aus? Das können Sie besser beurteilen. Aus den USA kennt man Statistiken, aus denen hervor geht, dass bestimmte Operationen und Behandlungsweisen abhängig von der jeweiligen Rechtssprechung in den Bundesstaaten durchgeführt werden. Das ist nur scheinbar ein anderes Thema.
    Dass Sie Michael Hüther aus dem Zusammenhang heraus zitieren und mit ihrer eigenen Interpretation hinterlegen – dies Art der Argumentation erstaunt mich nun schon etwas weniger – trotzdem schade.
    Es zeigt aber, dass Sie das erwähnte Buch entweder nicht – oder wenn, dann selektiv gelesen oder verstanden haben. Nur soviel: Disziplinierte Marktwirschaft in Hüthers Sinne bedeutet eine hohe Haftungs und Risikobeteiligung aller Finanzmarktakteure, und da besteht nach wie vor gewaltiger Handlungsbedarf. Das erklärt er eigentlich ganz gut. Was die Handlungsfähigkeit des Staats betrifft so ist die um so grösser je weniger er Schulden bedienen muss. Trivial, aber scheinbar muss man es doch erwähnen.

  68. #69 Dr. Webbaer
    19. Januar 2013

    @Ralph
    Zustimmungsfähig, Ihre Ausführungen zum Verbraucherschutz; hier liegen aber unterschiedliche Menschenbilder zu Grunde. Wird der Konsument als grundsätzlich & umfänglich schutzwürdig angesehen, bspw. als “Kleinkind” (Tagesspiegel), sind die Regelungen durchaus folgerichtig. – So erklärt sich auch der Anbiss, der den Artikeltext einleitet.

    MFG
    Dr. W

  69. #70 Joseph Kuhn
    19. Januar 2013

    @ Ralph:

    Ich glaube, man sieht die Dinge nicht klarer, wenn man Verbraucherschutz, bürokratische Auflagen, Haftungsklagen im amerikanischen Gesundheitswesen und Staatsschulden einfach in einen Topf wirft und zu einem Brei verrührt. Man müsste z.B. darüber diskutieren, ob die verrückten Schadensersatzklagen in den USA, die es dort ja nicht nur im Gesundheitswesen gibt, nicht gerade mit fehlenden Regeln zusammenhängen, oder man müsste auch darüber diskutieren, was “Bürokratie” überhaupt ist und ob nicht gerade Unternehmen auf ein erhebliches Maß an “Bürokratie” angewiesen sind, von DIN-Normen angefangen bis hin zur Regulierung des Zahlungsverkehrs. Entbürokratisierung erhöht manchmal nur die Transaktionskosten auf dem Markt. Aber ich vermute, das wissen Sie selbst genauso gut – im Geschäftsleben helfen wirtschaftsliberale Klischees bei konkreten Problemen schließlich auch nicht weiter.

  70. #71 Dr. Webbaer
    19. Januar 2013

    @Kuhn
    Die verrückten Schadensersatzurteile in den Staaten werden dadurch begründet, dass der Schädiger eine Art Strafe zu zahlen hat, die willkürlich dem Geschädigten zugesprochen wird. Das ist verrückt.

    Dennoch ist die ‘unglückliche Röslersche Gegenüberstellung von Märkten und Verbraucherinteressen’ nicht unglücklich, sondern selbstverständlich.
    Für einige ist ja der beste Verbraucherschutz die Planwirtschaft – vielleicht wird es so deutlicher, dass ein Mittelweg gefunden werden muss.

    Gegen die Rahmengebung das Wirtschaftliche betreffend, hat der (Ordo-)Liberale übrigens nichts, er strebt sie an.

    BTW, das Geschäftsleben oder derartig Teilnehmende sind nicht liberal, sondern handeln opportun. Man kann von Marktteilnehmern nicht erwarten liberale Sichten zu vertreten. – Martktteilnehmer können den Bürokratismus also auch fordern, wenn er ihnen nützt. Marktteilnehmer (auch und gerade sehr große) sind nicht mit Liberalen zu verwechseln.

    MFG
    Dr. W

  71. […] – oder Michael Sandels „Was man für Geld nicht kaufen kann“, über das wir hier erst kürzlich diskutiert […]