Auf Makroskop hat Hartmut Reiners einen lesenswerten Nachruf auf Norbert Blüm, der am 23. April gestorben war, veröffentlicht. Reiners charakterisiert ihn als „streitbaren politischen Vollprofi“, der „Sozialpolitik nicht als Gewährung von Wohltaten, sondern als zivilisatorische Aufgabe“ verstand und sagt, dass uns solche Leute fehlen werden.

Dass uns jemand, der gestorben ist, fehlen wird, ist oft nur ein sprachliches Ritual in Nachrufen. In dem Fall nicht. Jeden Tag kann man inzwischen Spekulationen darüber lesen, wie die Coronakrise die Gesellschaft verändern wird. Wird sie autoritärer? Die Zustimmungswerte für die „starken Männer“ sind derzeit ja enorm. Bringt sie uns dem Überwachungsstaat näher, wird unsere Zukunft also „chinesischer“ als bisher? Wird sie ökologischer, indem globale Verkehrsbewegungen und Lieferwege zurückgenommen werden, oder ökologisch noch rücksichtsloser als bisher, um die durch den Lockdown entstandenen Verluste wettzumachen? Wird sie nationaler, mit Rückenwind für die „America first“-Ideologen weltweit, oder besinnt man sich auf die Vorteile supranationaler Zusammenarbeit? Wird sie solidarischer, mit einer neuen Gewichtung von sozialen Belangen und besseren Arbeitsbedingungen z.B. in der Pflege, oder im Gegenteil, bringt sie einen neoliberalen Schub, weil die Politik meint, jede Form der „sozialen Belastung“ von den Unternehmen fernhalten zu müssen und die gestiegenen Staatsschulden schnell über Sozialabbau und mehr „Verantwortung“ für die Bürger reduzieren will?

Man wird sehen, welche Fürsprecher die Einsicht, dass Sozialpolitik eine „zivilisatorische Aufgabe“ ist und keine machtpolitische Sedierung demokratischer Ansprüche, in den kommenden Debatten haben wird und wie sehr Norbert Blüm dabei fehlen wird. Es wäre schön, er würde nicht fehlen.

Kommentare (4)

  1. #1 Michael
    1. Mai 2020

    Blüm und ” zivilisatorische Aufgabe”? Lachhaft.

    Hier ein früher Nachruf ohne Geschwätz, dafür mit Fakten (konkret 4/1985 ):

    https://konkret-magazin.de/aktuell/464-mit-dem-schoepfungsbericht-unterm-hosentraeger

  2. #2 Joseph Kuhn
    1. Mai 2020

    @ Michael:

    Man muss Blüm nicht zum Heiligen machen, aber man sollte in der Lage sein, anzuerkennen, dass ihm der Sozialstaat durchaus am Herzen lag und er eben nicht der Sozialstaatsabbau-Ideologe war, als der ihn der Konkret-Artikel hinstellt. Das kann man in unversöhnlicher Feindschaft als “Geschwätz” abtun, ich finde es kleinlich. Daran, was Hartmut Reiners in seinem Nachruf und was ich im Blogbeitrag schrieb, geht es eh vorbei.

  3. #3 Alisier
    1. Mai 2020

    Ich bin etwas zu jung, um Blüm aus dem Ausland jenseits von “Rudis Tagesshow” zu seinen aktiven Zeiten wirklich wahrgenommen zu haben.
    Was ich gelesen habe sind späte Interviews, und das Bild, was sich daraus ergab, gefiel mir nicht so sehr.
    Er scheint doch vor allem ein Gesinnungsethiker der alten Schule (im Sinne Max Webers) gewesen zu sein, der sich, wie Heiner Geißler auch, gegen Ungerechtigkeiten stemmte, wenn es in sein System passte. Jenseits seines (Glaubens)systems war er dann aber merkwürdig still.
    Er war standhaft, ja. Aber er stand eben auch treu zu Überzeugungen (und zu Kohl), die in Frage gestellt werden konnten, vielleicht sollten.
    Ich kann ihn deswegen nicht bewundern, aber er hat sicher viel Respekt verdient, für so manche Standhaftigkeit, wo andere längst umgefallen waren.
    Möge er in Frieden ruhen.

  4. #4 Udo Schreck
    2. Mai 2020

    Norbert Blüm war

    XXX

    Das war mein gemäßigtes Statement zu Herrn Blüm.

    [Edit: Rest des Kommentars gelöscht. Bitte beachten Sie die Netiquette. Beleidigungen, auch eines Toten, sind keine Argumente. JK]