Der Doppelwürfel gilt als das beste Verschlüsselungsverfahren, das man alleine mit Papier und Stift ausführen kann. Im Kalten Krieg spielte diese Form des Verschlüsselns eine wichtige Rolle.
Gibt es ein sicheres Verschlüsselungsverfahren, für das man weder ein spezielles Gerät noch spezielle Formulare oder Tabellen benötigt? Diese Frage beschäftigte über Jahrhunderte hinweg die Geheimdienste, denn diese mussten ihren Spionen sichere Verschlüsselungsverfahren zur Verfügung stellen. Dabei durfte sich ein Spion nicht mit seltsamen Verschlüsselungsutensilien verdächtig machen. Die beste Methode, die für diesen Zweck bekannt ist, ist der “Doppelwürfel”.
Der Doppelwürfel ist schnell erklärt. Das Verfahren besteht aus der zweifachen Ausführung einer Verschlüsselungsmethode, die “Würfel” genannt wird (der etwas unglücklich gewählte Name soll daran erinnern, dass das Verschlüsseln dem Abrollen eines Würfels ähnelt). Für die Würfel-Verschlüsselung benötigt man ein Schlüsselwort (z. B. TELEPOLIS) und schreibt dieses wie folgt über den zu verschlüsselnden Text (z. B. ERWARTE MORGEN NEUE LIEFERUNG):
TELEPOLIS
---------
ERWARTEMO
RGENNEUEL
IEFERUNG
Anschließend werden die Spalten so umgeordnet, dass die Buchstaben des Schlüsselworts in alphabetischer Reihenfolge stehen:
EEILLOPST
---------
RAMWETROE
GNEEUENLR
EEGFNUR I
Der verschlüsselte Text heißt nun RGEAN EMEGW EFEUN TEURN ROLERI. Für die zweite Runde der Doppelwürfel-Verschlüsselung benötigt man ein zweites Schlüsselwort, mit dem der Vorgang wiederholt wird. Damit die Verschlüsselung auch wirklich sicher ist, sollte der Klartext in beiden Würfelkästen die letzte Zeile nicht ganz ausfüllen. Außerdem müssen die beiden Schlüsselwörter unterschiedlich lang sein, und die Schlüsselwortlängen dürfen keinen gemeinsamen Teiler haben (ein Schlüsselwort der Länge 20 und ein zweites der Länge 22 wären ungeeignet). Für eine hohe Sicherheit müssen beide Schlüsselwörter mehr als 20 Buchstaben haben. Für jede Nachricht sollte man ein neues Schlüsselwortpaar verwenden.
Der Doppelwürfel gilt als das beste Verfahren, das man alleine mit Papier und Stift ausführen kann. Trotz seiner Einfachheit ist der Doppelwürfel bei richtiger Anwendung sehr sicher. Vor allem im Kalten Krieg war der Doppelwürfel als Verschlüsselungsmethode für Spione sehr beliebt. Unter anderem nutzte der Spion Günter Guillaume den Doppelwürfel für die Kommunikation mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Bereits im Zweiten Weltkrieg verschlüsselte der italienische Partisan Antonio Marzi auf diese Weise.
Ein großer Fan des Doppelwürfels ist Otto Leiberich, der ehemalige Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Leiberich berichtete 1999 in einem Artikel im “Spektrum der Wissenschaft” darüber. Dabei wies er darauf hin, dass der Doppelwürfel schon seit längerer Zeit nicht mehr untersucht wurde. Um neue Forschungen zu stimulieren, regte er ein kryptografisches Rätsel an, bei dem ein Doppelwürfel-Geheimtext dechiffriert werden sollte. Diesem Wunsch kam ich vor einigen Jahren nach. Ich verschlüsselte einen englischen Text mit zwei längeren englischen Schlüsselwörtern unterschiedlicher Länge und veröffentlichte das Resultat in meinem Buch “Codeknacker gegen Codemacher”. Dieses Kryptogramm wird inzwischen auch mit der kostenlosen Krypto-Lernsoftware CrypTool ausgeliefert und ist als Challenge bei MysteryTwister C3 veröffentlicht. Es lautet wie folgt:
VESINTNVONMWSFEWNOEALWRNRNCFITEEICRHCODEEA
HEACAEOHMYTONTDFIFMDANGTDRVAONRRTORMTDHE
OUALTHNFHHWHLESLIIAOETOUTOSCDNRITYEELSOANGP
VSHLRMUGTNUITASETNENASNNANRTTRHGUODAAARAO
EGHEESAODWIDEHUNNTFMUSISCDLEDTRNARTMOOIREEY
EIMINFELORWETDANEUTHEEEENENTHEOOEAUEAEAHUHI
CNCGDTUROUTNAEYLOEINRDHEENMEIAHREEDOLNNIRAR
PNVEAHEOAATGEFITWMYSOTHTHAANIUPTADLRSRSDNOT
GEOSRLAAAURPEETARMFEHIREAQEEOILSEHERAHAOTNT
RDEDRSDOOEGAEFPUOBENADRNLEIAFRHSASHSNAMRLT
UNNTPHIOERNESRHAMHIGTAETOHSENGFTRUANIPARTAOR
SIHOOAEUTRMERETIDALSDIRUAIEFHRHADRESEDNDOION
ITDRSTIEIRHARARRSETOIHOKETHRSRUAODTSCTTAFSTHCA
HTSYAOLONDNDWORIWHLENTHHMHTLCVROSTXVDRESDR
Beide Schlüsselwörter haben mehr als 20 Buchstaben und stammen aus der englischen Sprache. Der Klartext ist ebenfalls auf Englisch verfasst.
Otto Leiberich geht davon aus, dass dieses Kryptogramm nicht lösbar ist. Ich stimme dieser Ansicht zu. Dennoch haben sich schon einige an diesem Rätsel versucht. Vielleicht hat ja wider Erwarten doch irgendwann jemand Erfolg. Immerhin handelt es sich um ein sehr faires Rätsel: Die Verschlüsselungsmethode ist bekannt und so einfach, dass man für ihre Ausführung keinen Computer benötigt. Ich wünsche viel Spaß beim Knobeln.
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