Stammt das Voynich-Manuskript aus Mexiko und ist es in der Indianersprache Nahuatl verfasst? Zwei Wissenschaftler behaupten dies und stoßen damit auf Kritik.
Mein Blogartikel von vorgestern war einer der meistgelesenen in der Geschichte von Klausis Krypto Kolumne.
Was ist passiert?
Die beiden Wissenschaftler Arthur O. Tucker (Botaniker) und Rexford H. Talbert (Informatiker) haben eine interessante Theorie aufgestellt: Die im Voynich Manuskript (eine Übersicht gibt es in diesem Buch) abgebildeten Pflanzen und Tiere stammen ihrer Meinung nach aus Mexiko. Außerdem lassen sich einige Bildunterschriften als Wörter aus der Indianer-Sprache Nahuatl identifizieren. Auch der Fließtext soll in einem Dialekt dieser Sprache verfasst sein. Das alles kann man in einem neu erschienenen Forschungsaufsatz nachlesen, der in der Zeitschrift HerbalGram erschienen ist.
Wer sind Tucker und Talbert?
Tucker und Talbert, die beiden Autoren der Forschungsarbeit, sind bisher in der Voynich-Forschung nicht aufgefallen. Auch die Zeitschrift HerbalGram hat in der Forschungsgeschichte zum Voynich-Manuskript bisher keine Rolle gespielt. Die Veröffentlichung kam überraschend, meines Wissens wusste niemand in der Voynich-Szene im Vorfeld darüber Bescheid. Soweit ich weiß, wurde die Arbeit von Tucker und Talbert nicht von Voynich-Manuskript-Eperten begutachtet. Meiner Meinung nach ist das ein grober Fehler. Ein Gutachtersystem, wie es HerbalGram und fast alle anderen anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften haben, lebt schließlich davon, dass die führenden Fachleute als Gutachter auftreten.
Was sagen die Voynich-Experten zur Mexiko-Theorie?
Bereits mehrere Voynich-Manuskript-Experten haben sich zur Mexiko-Theorie von Tucker und Talbert geäußert. Erfreulicherweise haben sich gleich drei davon im Diskussionsforum meines Blogs ausgelassen. Das Ergebnis lässt sich einfach zusammenfassen: Praktisch alle, die Ahnung haben, halten die Mexiko-Theorie für Unsinn.
Der Niederländer René Zandbergen, der eine hervorragende Voynich-Web-Seite betreibt, hat sich in meinem Diskussionsforum und im Diskussionsforum von Pelling zu Wort gemeldet. Sein Fazit: “Ich habe überlegt, ob es sich nicht um ein Scherzartikel handelt.” Seiner Meinung nach arbeiten Tucker und Talbert zu sehr mit Argumenten wie “es gibt katholische Einflüsse, und Mexiko ist katholisch”, mit denen man so ziemlich alles “beweisen” kann. Zandbergen weist darauf hin, dass andere Botaniker die Pflanzen des Voynich-Manuskripts mit ähnlichen Argumenten in Asien angesiedelt haben.
Der Brite Nick Pelling, selbst ein engagierter Kryptologie-Blogger, handelte die Mexiko-Theorie bereits vor acht Tagen ab. Er ist der Meinung, dass die Argumente von Tucker und Talbert zu oberflächlich sind und viele gesicherte Fakten ignorieren.
Der US-Amerikaner Richard SantaColoma, ebenfalls Voynich-Blogger und Web-Seiten-Betreiber, hat sich in meinem Diskussionsforum sehr kritisch geäußert. Seine Kritik hat er treffend mit folgenden Worten zusammengefasst: “The effect I see here is like the parable of the men with the elephant: One touches the leg, and thinks it is a tree. One feels the ear, and thinks it is a fan. Another, the tail, and calls it a rope.”
Und was halte ich davon?
Auch ich muss leider erhebliche Zweifel an der Mexiko-Theorie anmelden. Ich habe mich ausführlich mit der kryptologischen Seite (vor allem mit den Textstatistiken) des Voynich-Manuskripts beschäftigt. Dass der Text in Nahuatl verfasst sein soll, würde mich sehr überraschen. Ich plane einen Blogeintrag, in dem ich genauer auf dieses Thema eingehe.
Und wie lautet das Fazit?
Wenn Tucker und Talbert mit ihrer Mexiko-Theorie ernst genommen werden wollen, müssen sie nachlegen. Wenn sie einige Textpassagen schlüssig übersetzen können, haben sie gewonnen. Ansonsten wird sich die Mexiko-Theorie in die lange Liste der Voynich-Scheindechiffrierungen einreihen.
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