Mehrere Nachrichtenportale berichten von verschlüsselten Funksprüchen, die ein nordkoreanischer Sender vor Kurzem verschickt hat. Was steckt dahinter?
Die Informationen stammen anscheinend von der südkoreanischen Regierung und wurden von der Nachrichtenagentur Associated Press verbreitet (Danke an David Wilson für den Hinweis).
Seltsame Funksprüche
Demnach hat ein nordkoreanischer Sender am 24. Juni (15 Minuten lang) und am 15. Juli (einige Minuten lang) jeweils von einer Frau vorgelesene Funksprüche verschickt, die folgenden Aufbau hatten:
Nummer 35 auf Seite 459, Nummer 55 on page 913, …
Erstaunlicherweise gibt es von nordkoreanischer Seite sogar eine Erklärung für diese Botschaften. Es handle sich um Hausaufgaben in Physik und Mathematik für nordkoreanische Studenten, die außerhalb des Landes leben. Nun ja …
Associated Press bietet noch zwei alternative (und deutlich wahrscheinlichere) Erklärungen an: Entweder handelt es sich um verschlüsselte Botschaften für nordkoreanische Spione in Südkorea, oder es handelt sich um überhaupt nichts und hat nur den Zweck, für Verwirrung zu sorgen.
Zahlensender
Nachdem ich einige der Meldungen über die nordkoreanischen Funksprüche durchgelesen habe, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass den jeweiligen Autoren das Hintergrundwissen zu diesem Thema fehlt. Zahlensender, also Funksender, die lange Zahlenkolonnen senden, sind nämlich nichts außergewöhnliches. Vor allem im Kalten Krieg waren sie eine beliebte Methode der Geheimdienste, um Agenten im Ausland verschlüsselte Botschaften zukommen zu lassen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Um die Sprüche zu empfangen, benötigt man nur ein handelsübliches Radio – also nichts, was einen verdächtig macht.
In einem der Artikel heißt es, diese Methode sei inzwischen “Old School”. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass nach wie vor zahlreiche Zahlensender aktiv sind. Unklar ist allerdings, wie viele der von diesen versendeten Nachrichten noch eine Bedeutung haben und wie viele lediglich als bedeutungslose Platzhalter dienen (die Gegenseite soll ja nicht erfahren, welche Menge an Botschaften versendet wird).
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Zahlensender auch in Zeiten des Internets noch attraktiv sind. Wenn ich ein Spion wäre, hätte ich jedenfalls kein Interesse daran, dass mein Agentenführer mir Botschaften über das Internet (verschlüsselt) zuschickt. Solche Botschaften hinterlassen schließlich Spuren auf meinem PC und bei meinem Internet-Provider, die mir zum Verhängnis werden könnten. Funksprüche, die ich über mein Radio empfange, sind dagegen selbst für den besten digitalen Forensiker wertlos.
Verschlüsselungsverfahren der Zahlensender
Eine interessante Frage ist natürlich, welche Verschlüsselungsverfahren für Zahlensender verwendet werden. In vielen Fällen wird es der One-Time-Pad sein. Allerdings muss der Agent in diesem Fall mit ausreichend Schlüsselmaterial versorgt werden, das ziemlich verdächtig wirkt, wenn es gesehen wird.
Der besagte nordkoreanische Sender arbeitet wohl eher mit einer Buchchiffre. Eine solche sieht vor, dass Angaben wie “Seite 513, 3. Wort” oder “Seite 342, 6. Buchstabe” übermittelt werden, aus denen sich die Botschaft zusammensetzt. Diese Angaben beziehen sich auf ein Buch, das der Agent zur Hand haben muss. Sinnvollerweise verwendet man für diesen Zweck ein unauffälliges Buch (z. B. einen Roman), das im Besitz des Agenten keinen Verdacht erregt.
Leider habe ich bisher nirgends einen Aufschrieb der nordkoreanischen Funksprüche gefunden. Ohne die entsprechenden Sprachkenntnisse dürfte es ohnehin wenig Sinn machen, nach dem dem verwendeten Buch zu suchen. Aber vielleicht kann ja ein Leser Koreanisch …
Wer mehr über Zahlensender wissen will, ist mit dem Wikipedia-Artikel zum Thema gut bedient. Als besonders rätselhafter Zahlensender gilt der von Russland aus sendende The Buzzer. Von diesem stammt dieser Funkspruch.
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Zum Weiterlesen: Agentenehepaar kommunizierte über Fußball-Kommentare auf YouTube
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