Vor vier Wochen hatte Merkel gesagt, wenn es mit den Coronazahlen so weitergeht, könnte man zu Weihnachten bei 19.000 neuen Fällen täglich sein. Damals hatten die täglichen Meldungen die 1.000er Grenze überschritten. So manche haben Merkel Panikmache vorgeworfen, ihre Rechnung sei eine Luftnummer.
Sie hat sich vertan, keine Frage. Die 19.000 könnten schon Ende dieser Woche erreicht sein. 16.774 neu gemeldete Infektionen und 89 neu gemeldete Sterbefälle – das sind die heutigen Mitternachtszahlen des RKI. Zum Vergleich: Im Sommer, als alles gut schien, am 15. Juli, waren es 351 Infektionen und 3 Sterbefälle. Damals waren lt. DIVI-Register 248 Covid-19-Fälle auf der Intensivstation, gestern waren es 1.569.
Insofern ist die Dynamik der Infektionen unübersehbar und in keiner Weise durch mehr Testungen oder viele falsch Positive abzutun. Auf der Intensivstation liegen weder Testartefakte noch falsch Positive. Das ist nichts Neues, aber es hat jetzt dramatische Folgen. Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten haben gestern eine Art zweiten Lockdown beschlossen. Nicht so richtig für alle, aber für viele Betriebe trotzdem ein harter Schlag, oder das Aus.
Einerseits leuchtet ein, dass man der Entwicklung nicht einfach tatenlos zusehen kann, andererseits fragt man sich, ob die einzelnen Maßnahmen wirklich gut begründet sind. Warum müssen z.B. Hotels ab Montag zumachen? Da gab es gerade ein angeblich notwendiges Beherbergungsverbot für Reisende aus Risikogebieten. Das wurde, zum Teil durch die Gerichte, wieder gekippt, weil es wohl doch nicht so notwendig war. Und jetzt wieder andersherum? Solche Kapriolen versteht kein Mensch. Genauso wie das Hin und Her mit den Sperrstunden in der Gastronomie – 23.00 Uhr, 22.00 Uhr, 21.00 Uhr: Gab es für diese Zeitgrenzen wirklich mehr Evidenz als für ein Verbot von Schweinebraten zum Zwecke des Infektionsschutzes? Streit gab es zu Recht auch um die Regelungen in manchen Bundesländern zum Maskentragen während des Unterrichts in Grundschulen. Hilft das wirklich? Wo ist der Beweis, möchte man fragen. Solche Maßnahmen bewegen sich weniger auf festem wissenschaftlichen Boden als zwischen hilflosem Aktionismus und symbolischen Warnschüssen.
Jetzt also unter dem Druck der steigenden Fallzahlen insgesamt noch eine Schippe mehr. Ab Montag soll der Lockdown light gelten. Der Bundestag durfte nicht entscheiden und die Bevölkerung – wer nicht hören will, muss fühlen – hat mit den strafferen Zügeln zu leben, basta. Gab es keine Alternative? Es wird immer wieder gesagt, man habe in den letzten Monaten viel über den richtigen Umgang mit dem Virus gelernt. Es ist an der Zeit, das auch zu zeigen.
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