Kriterien: Befreiung aus dem ethischen Dilemma?
Der Deutsche Ethikrat hat sich in einer Stellungnahme am 27. März 2020 gegen solche Überlegungen ausgesprochen und die Gleichwertigkeit jeden Lebens betont. Er hat sich auch zur Frage geäußert, wie die Verantwortung für unvermeidbare Triage-Situationen geteilt werden soll: „Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation zu retten ist.“ Die Entscheidung darüber solle aber auch nicht „einzelnen Ärztinnen und Ärzten aufgebürdet werden“, sondern die Fachgesellschaften sollten „Handlungsmaximen für den klinischen Ernstfall nach wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien“ formulieren. Vor allem aber sollten Triage-Situationen nach Möglichkeit präventiv vermieden werden – was wiederum andere ethische Dilemmata mit sich bringt, z.B. hinsichtlich der gesellschaftlichen Folgen von Infektionsschutzmaßnahmen.
Die Frage bleibt, was sind die „wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien“, nach denen man über das Leben anderer Menschen entscheiden soll, wenn man darüber entscheiden muss. Sollen sie von medizinischen Fachgesellschaften vorgegeben werden? Und würden uns solche Kriterien wirklich aus dem ethischen Dilemma befreien, könnten wir die Entscheidung damit an einen Triage-Algorithmus delegieren? David Edmonds stellt am Ende seines Buches fest, dass die Philosophen nach wie vor uneins seien. Seine persönliche Antwort: „Ich würde den dicken Mann nicht töten. Würden Sie es tun?“
Wem würden Sie den Beatmungsplatz geben? Und würden Sie einem alten kranken Mann das Gerät auch wieder wegnehmen, wenn eine junge Mutter es braucht?
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Zum Weiterlesen:
Blogbeitrag: Die Coronakrise, die Ethik und der Wert eines Menschenlebens
Deutscher Ethikrat (2020) Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise. Ad-hoc-Empfehlung. 27. März 2020.
Edmonds D (2015) Würden Sie den dicken Mann töten? Reclam, Frankfurt.
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