Vor ein paar Tagen habe ich hier im Blog Harald Walachs Privatevaluation der Infektionsschutzmaßnahmen kritisiert. Harald Walach ist für mich ein psychologisches Phänomen, weil ihm, ähnlich wie Christof Kuhbahnder, sicher nicht das methodische Know How fehlt, um mit Daten vernünftiger umzugehen als er es tut.

Gestern hat er seine „Evaluation“ noch einmal verfeinert, was die Sache aber nicht besser macht. Wenn man ungeeignete Daten neu kombiniert, kommt auch nicht mehr Vernunft in die Sache. Aber das Thema will ich heute nicht aufwärmen, sondern nur kurz auf eine Unterscheidung eingehen, die er in diesem Zusammenhang zum Verständnis der Auseinandersetzungen um Corona vorschlägt: Es gebe „offenkundige“ und „tiefe“ Fakten. Braucht man diese Begriffe? Ich glaube nicht. Im Grunde ist das nur die terminologische Umverpackung von Beobachtungen und Interpretationen, der berühmte alte Wein in neuen Schläuchen.

Mehr noch, die Begrifflichkeit ist irreführend. Walach versucht, damit seine Interpretationen der Coronalage als „tiefe Fakten“ zu verkaufen. Von einem wissenschaftstheoretisch gebildeten Menschen wie ihm hätte man hier etwas mehr Vorsicht beim Umgang mit dem Wort „Fakten“ erhoffen können, zumal er seinen Ludwik Fleck bestens kennt. Auch darauf muss man also nicht weiter eingehen.

Etwas boshaft würde ich ihn aber angesichts dieser Wortschöpfungen fragen wollen, ob es seiner Meinung nach auch zu den „tiefen Fakten“ gehört, dass eine weltanschaulich fehlgeleitete Kritik an epidemiologischen, pharmazeutischen und coronapolitischen Sachverhalten von den echten Kritikpunkten ablenkt und so ungewollt dazu beiträgt, dass berechtigte Kritikpunkte, von denen es ja nicht wenige gibt, nicht oder erst verzögert aufgegriffen werden?

Kommentare (12)

  1. #1 Alisier
    8. Mai 2021

    Deep facts, deep state, so deeply sad…….

  2. #2 Boyke
    8. Mai 2021

    Stichwort Pseudowissenschaft trifft es bei Ihnen schon sehr gut, Hr Kuhn. Schade, dass so was hier zu lesen ist.

    • #3 Joseph Kuhn
      8. Mai 2021

      @ Boyke:

      Würden Sie freundlicherweise auch Ihr Argument mitteilen oder wollten Sie sich nur emotional erleichtern?

  3. #4 werner
    8. Mai 2021

    Bei “tiefe Fakten” drängt sich mir sofort ein “deepfake” auf. Aber als Akademiker sollte er ja des Englischen mächtig sein…

  4. #5 Alisier
    8. Mai 2021

    @ Joseph Kuhn
    Er wollte nur sein “So sad” loswerden, obwohl ich hoffte, es für all die kommenden Querschläger quasi stelllvertretend vorweggenommen zu haben.
    Ich hätte allerdings wissen können, dass es nicht hilft.
    Der Dreck muss einfach raus und überall verteilt werden. Geistloses Tourette halt, so wie es inzwischen allerorten beobachtet werden kann.

  5. #6 Stefan
    9. Mai 2021

    Hmm, wie ist denn da jetzt die Reihenfolge:
    Fakten < alternative Fakten < offenkundige Fakten < tiefe Fakten
    oder
    Fakten < offenkundige Fakten < alternative Fakten < tiefe Fakten
    oder gar
    Fakten < offenkundige Fakten = alternative Fakten < tiefe Fakten?
    Da bin ich doch jetzt offenkundig-alternativ tiefenfaktisch verwirrt…

  6. #7 echt?
    10. Mai 2021

    Jeder, der sich an dieser Scharlatanerie in F/O beteiligt hat, hat sich für immer aus der Wissenschaft verabschiedet.

  7. #8 Staphylococcus rex
    10. Mai 2021

    Ich habe es versucht, ich habe versucht die JK verlinkte Selbstdarstellung von Herrn Walach zu lesen und zu verstehen. Das Einzige, was ich erreicht habe, sind Kopfschmerzen ob des wissenschaftlichen Dilletantismus, der dort von Herrn Walach als „tiefe Fakten“ verkauft wird.
    Fakt 1 verweist auf eine eigene Modellierung mit niedrigem Vitamin D und vorheriger Grippeimpfung als Risikofaktoren für eine Covid-Sterblichkeit. Natürlich haben die Hochbetagten ein niedriges Vitamin D und zum Glück sind viele Hochbetagte gegen Influenza geimpft.
    Fakt 2 die „Nicht“-Effektivität von NPI’s wurde bereits durch JK besprochen (und verrissen)
    Fakt 3 beschäftigt sich mit Impfungen und einer ziemlich zweifelhaften Methode, die NNV zu berechnen
    Fakt 4 beschäftigt sich mit Diagnostik, Herr Walach verzichtet dabei auf eine getrennte Betrachtung von Antigentesten und PCR, in einer Literaturangabe verweist er auf eine Modellrechnung vom Mai 2020 und offenbart Defizite beim verstehenden Lesen von Fachliteratur.
    Fakt 5 beschäftigt sich mit Wirtsfaktoren (niedriges Vitamin D), siehe auch Fakt 1
    Fakt 6 ist oberflächliches Industriebashing
    Fakt 7 beschäftigt sich mit Mutationen, vermeidet dabei aber jedes Nachdenken darüber, welche Mutationen einen Selektionsvorteil haben (eine erfolgreiche Rezeptorbindung und ein Unterlaufen des Immunsystems sind beides gleich wichtig, deshalb zeigen die wichtigsten Virusvarianten derzeit eine Parallelevolution).

    Ich persönlich habe beim Lesen des Beitrags von Herrn Walach ein Deja-vu aus Vor-Corona Zeiten. Im DÄ hatte ich regelmäßig Diskussionen mit Homöopathie-Anhängern, die ihre Ritualtherapie unbedingt mit Metastudien beweisen wollten. Metastudien verstärken schwache Trends der Basisstudien. Wenn aber die Basistudien alle einen systematischen Fehler haben (Publikation-Bias bei sehr kleiner Stichprobe und zufälligem Trend durch Ausreißer), dann wird wie gewünscht der systematische Fehler verstärkt. Die Metastudie soll vordergründig für mehr Glaubwürdigkeit sorgen, der eigentliche Zweck ist es aber Spuren zu den unbequemen Rohdaten zu verwischen.

    Dasselbe Spiel treibt hier auch Herr Walach, er bearbeitet Rohdaten, was prinzipiell legitim ist. Dabei versucht er aber, wie bereits JK festgestellt hat, die Grenze zwischen Fakten und Interpretationen zu verwischen und verkauft seine logikbefreiten Interpretationen als „tiefe Fakten“.

    Angesichts all der Denkfehler in den Ausführungen von Bakhdi, Wodarg und Walach finde ich es erstaunlich, dass bisher ein Konsil von Nicäa für all die Coronaleugner nicht erforderlich war, aber vielleicht gibt es bei der Wissenschaftsleugnung auch eine Parallelevolution und damit eine Konvergenz der Fehlschlüsse.

  8. #9 PDP10
    11. Mai 2021

    Es gebe „offenkundige“ und „tiefe“ Fakten. Braucht man diese Begriffe? Ich glaube nicht. Im Grunde ist das nur die terminologische Umverpackung von Beobachtungen und Interpretationen, der berühmte alte Wein in neuen Schläuchen.

    Und passt gut zu den Versuchen von Walach und Anderen den Begriff “wissenschaftlich” in irgendeiner Weise “erweitert” zu definieren.

    Empirie und Deduktion? Doppelt verblindete, randomisierte Studien? Falsifizierbarkeit?

    Alles alte Hüte und so furchtbar überholt. Gefühlte Wissenschaft ist auch Wissenschaft! Oder so.

    In einem Gastbeitrag bei Ulrich Berger wurde das schon vor fast 10 Jahren auseinander genommen:

    https://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2012/09/26/zirkulare-medizin-an-der-viadrina/?all=1

    Ebenso von Florian:

    https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/05/08/pseudowissenschaft-an-der-europauniversitat-viadrina-frankfurt-harald-walch-und-der-kozyrevspiegel/

    “Was nicht passt, wird passend gemacht” sagt der Handwerker.

    Offenbar haben schon vor langer Zeit einige aus dem Schwurbler- und Unfug-Handwerk gemerkt, dass man ohne einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch dann doch nicht so weit kommt. Und wenn der “wissenschaftliche” Anspruch nicht passt, definiert man ihn eben einfach um.

    Da passt der Begriff “tiefe Fakten” ganz hervorragend rein.

    Was mich dabei ein wenig beunruhigt ist (aus eigener Erfahrung mit “Leuten”), dass viele Leute “da draußen” keine Ahnung davon haben, was der Begriff “wissenschaftlicher Anspruch” oder “Wissenschaftlichkeit” ganz allgemein (oder auch nur der Begriff “Fehlerbalken”) eigentlich genau bedeutet und das daher gar nicht so merkwürdig finden, wenn man diesen Begriff “erweitert”.

    “Tiefe Fakten” sind in der Tat die neuen “alternativen Fakten” (also hätte so mancher jedenfalls gerne …).

    *seufz* das ist alles so ermüdend. Als ob die ganze Diskussion nicht schon seit 300 Jahren geführt würde …

  9. #10 M. Hahn
    12. Mai 2021

    „In der Wissenschaft gehts nicht um Wahrheit. Wahrheit ist das, was der Mächtige als solche definiert. In der Wissenschaft gehts um die Realität. Das ist genau alles was bleibt wenn man aufhört an irgendwas zu glauben.“

    Das ist, mit allen Schreibfehlern, nicht von mir. Ein „Ronny“ hat es nebenan geschrieben:
    https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/02/23/homoopathie-vs-wissenschaft-eine-metapher/#comments

    Ich kam darauf, weil sich in jene Diskussion mit „Ronny“ noch eine globuliphiler „Schlappohr“ mit Gedanken zu „höheren und tiefen Wahrheiten“ einschaltete:

    „Ihr habt also ein Hierarchiesystem von Wahrheiten geschaffen. Es gibt tiefere Wahrheiten, die man mit einem metaphorischen Lineal beweisen kann. Und wenn das nicht geht, ist es eine “höhere Wahrheit”. Das ist dann der Fall, wenn die Linien jede beliebige Form annehmen können – auch gleichzeitig.“

    Sinnentkerntes Wortgeklingel. Wie Walachs „Offenkundige Fakten“ vs. „Tiefe Fakten“, oder einstmals seine „Schwache Quantentheorie“.
    Aber wie immer: Walach hat den schönsten Stil.

  10. […] gesagt, wenn die „Basis“ in Opferkonkurrenz zur AfD geht, hat das vielleicht sogar sein Gutes. Wenn es zu den „tiefen Fakten“ gehört, dass sie es nur erschwert, dass berechtigte Kritik an der Coronapolitik ernstgenommen wird, ist […]

  11. […] wiederum – Vorsicht, eine Spekulation mit „tiefen Fakten“ – könnte allerdings damit zusammenhängen, dass sich ihre Kritik nicht auf echte Missstände […]