Der Zusammenhang zwischen regionalen Impfquoten und Inzidenzen bietet viele interessante Analysemöglichkeiten, wenngleich die Interpretation wie immer bei Korrelationen von regionalen Daten nicht einfach ist. Subramanian/Kumar haben beispielsweise aus einem nur schwachen und zudem intuitionswidrigen Zusammenhang zwischen Impfquoten und 7-Tagesinzidenzen auf internationaler Ebene die Empfehlung abgeleitet, sich nicht allein auf die Impfungen zu verlassen:
„The sole reliance on vaccination as a primary strategy to mitigate COVID-19 and its adverse consequences needs to be re-examined (…). Other pharmacological and non-pharmacological interventions may need to be put in place alongside increasing vaccination rates.“
In einem Gastbeitrag hat Bernt-Peter Robra die Impfquoten der deutschen Bundesländer mit der kumulativen Gesamtinzidenz korreliert, mit dem Befund, dass eine höhere Impfquote mit einer niedrigeren Inzidenz einhergeht, selbst wenn man die Infektionen vor Einführung der Impfung einfach mitnimmt. Sein Fazit war trotzdem das Gleiche wie das von Subramanian/Kumar, u.a. vor dem Hintergrund einer mittelstarken Korrelation von -0,45, die erst mal nur ca. 20 % der Varianz der Länderinzidenzen aufklärt. Da liegt es nahe, andere Einflussfaktoren mit in Betracht zu ziehen.
Als nächstes hat der Kommentator „UMa“ geschaut, wie die Impfquote der Bundesländer vom 10.9.2021 mit den R-Werten danach zusammenhängt und kam zu einer sehr hohen Korrelation von – 0,92 (unvollständige Impfung) bzw. – 0,89 (vollständige Impfung). Sein Vorgehen betrachtet also ähnlich wie Subramanian/Kumar den Zusammenhang von Impfquote und Infektionsdynamik. Aus der hohen Korrelation sollte man aber noch nicht unbedingt schlussfolgern, dass andere Faktoren keine relevante Rolle spielen. Dazu müsste man zeigen, dass sich hinter der Korrelation zwischen Impfquote und R-Wert nicht mehr versteckt. Es könnten andere Maßnahmen gleich stark auf die Inzidenzen in den Ländern wirken, oder vielleicht gehen die Impfquoten in den Ländern auch mit anderen Einflussfaktoren parallel. Manch andere Einflussfaktoren auf das Infektionsgeschehen lassen sich quantifizieren, z.B. die Mobilität, andere nicht, aber bei nur 16 Bundesländern kann man eh kein gutes multivariates Modell bauen, um den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Inzidenz zu untersuchen. Auf Kreisebene, bei ca. 400 Landkreisen in Deutschland, ginge das problemlos, aber da fehlen dafür oft die Daten für relevante Einflussfaktoren.
Gut, damit mögen sich Fachleute für komplexere epidemiologische Methoden beschäftigen. Man kann auch auf Länderebene noch manches einfach einmal durchkorrelieren, z.B. altersspezifische Raten verknüpfen, oder die Impfquoten mit anderen Outcomes wie der Hospitalisierungsinzidenz oder den Sterberaten korrelieren. Im Hinterkopf sollte man dabei behalten, dass all das nur bedingt Rückschlüsse auf die Impfeffektivität zulässt, die sollte man mit den dafür geeigneten Methoden untersuchen.
Ich habe mir heute zwischen Samstagseinkauf und Laubrecheln schnell mal den Zusammenhang zwischen Impfquote und 7-Tagesinzidenz im Zeitverlauf angeschaut, genauer, wie sich die Korrelation zwischen den Impfquoten der Länder am 17.9. 2021 mit den 7-Tagesinzidenzen danach im Zeitverlauf verändert:
Die Korrelationskoeffizienten sind zunächst positiv, d.h. Länder mit höherer Impfquote haben tendenziell auch eine höhere Inzidenz, am 7.10 wird die Korrelation negativ und sinkt bis – 0,79 am 5.11.2021. Ich habe auch einmal geschaut, wie der Verlauf ist, wenn man die Impfquote vom 8.10. nimmt und mit den Inzidenzen danach korreliert. Die Korrelationen sind dann schon von Anfang an negativ und nehmen weiter ab, am 5.11. sind sie praktisch auf dem gleichen Niveau wie in der Grafik dargestellt.
Da sich die Impfquoten in den letzten Wochen nur noch marginal verändert haben, liegt die Interpretation nahe, dass sich das Mitte September erreichte Impfniveau mit der Zeit immer mehr im Infektionsgeschehen der Länder auswirkt – zumal andere Maßnahmen im Sommer überall zurückgenommen wurden. Wie man gerade sieht, hilft dieser Zusammenhang aber nur bedingt, die Inzidenzen steigen überall, so dass auch ich zum gleichen Fazit wie Subramanian/Kumar und Robra komme: Allein das Impfen wird uns beim Stand der Dinge wohl nicht durch die Pandemie bringen. Was wiederum nicht heißt, dass man nicht alles daran setzen sollte, die Impfquoten zu erhöhen, insbesondere in den Heimen.
Interessant wäre, sich den Verlauf mit noch früheren Impfquoten anzusehen, aber dazu muss man sich die Impfquoten der Länder selber ausrechnen oder aus alten Medienberichten holen, das RKI hat die früheren Quoten – wenn ich es nicht übersehen habe – nicht öffentlich zugänglich archiviert.
Zum Schluss ein Cave: Ich hoffe, ich habe beim Hin- und Herkopieren der Daten nichts durcheinandergebracht, es ist alles ein bisschen mit heißer Nadel gestrickt, wie gesagt: zwischen Samstagseinkauf und Laubrecheln. Wer es nachrechnen will: Die Impfquoten sind aus dem Github des RKI, die Inzidenzen beim RKI ganz bequem in einer Zeitreihentabelle abrufbar.
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