Der Codex Rohonci ist ein verschlüsseltes(?) Buch, das bisher niemand lesen kann. Die darin enthaltenen Bilder könnten Aufschluss geben. Führt die Kreuzesinschrift INRI zur Lösung?
Klausis Krypto Kolumne ist zu ScienceBlogs.de umgezogen, und schon stellen sich mehrere Fragen:
Was gibt es zum Einstieg? Es gibt eine Serie der 25 spektakulärsten ungelösten Verschlüsselungsrätsel der Geschichte.
Warum gerade 25? Die Top-10 der Verschlüsselungsrätsel (Kryptogramme) habe ich bereits in meinem Buch Nicht zu knacken vorgestellt. Dabei musste ich schweren Herzens einige interessante Fälle weglassen. Außerdem sind inzwischen einige neue spektakuläre Kryptogramme bekannt geworden. Bei meinen Recherchen habe ich zudem noch weitere entdeckt. Insgesamt komme ich auf etwa 25 Kryptogramme, die es wert sind, aufgenommen zu werden.
Wann geht es los? Jetzt.
Auf Platz 25 meiner Top-25-Liste rangiert der Codex Rohonci. Eigentlich müsste dieses faszinierende Buch weiter vorne platziert sein, aber ich will diese Serie mit etwas Spektakulärem beginnen.
Der Codex Rohonci ist ein verschlüsseltes Buch aus der frühen Neuzeit – handgeschrieben und ein Einzelstück. Bisher konnte niemand die Verschlüsselung knacken – wenn es denn überhaupt eine Lösung gibt. Man weiß auch nicht, wer den Codex geschrieben hat, wann genau er entstanden ist, wo er entstanden ist und welchen Zweck dieses Buch erfüllen sollte. Kurz: Man weiß fast gar nichts darüber.
Eines ist immerhin klar: Der Codex Rohonci wäre ein weltberühmtes Kryptogramm und Gegenstand zahlreicher Publikationen – wenn es das berühmte Voynich-Manuskript nicht gäbe. Das Voynich-Manuskript gibt es aber, und daher ist für ein zweites rätselhaftes, verschlüsseltes Buch kaum Platz in den Medien und in der Forschung.
Über die Geschichte des Codex Rohonci ist wenig bekannt. Aus einem Wasserzeichen kann man schließen, dass das Papier aus dem 16. Jahrhundert stammt und in Venedig hergestellt wurde. Irgendwann vor 1838 landete das Buch in der Sammlung eines Adligen, der es schließlich der Ungarischen Akademie der Wissenschaften vermachte. Dort befindet es sich heute noch.
Dank der Unterstützung des ungarischen Historikers Benedek Láng konnte ich den Codex Rohonci vor zwei Jahren persönlich betrachten. Es ist schon seltsam: Während längst ganze Heerscharen Schlange stehen, um (in den USA) das Voynich-Manuskript zu betrachten, staubt der Codex Rohonci (in Budapest) unbeachtet vor sich hin.
Was ich schließlich sah, war ein altes, kleines, zerfleddertes Buch, das wenig Glanz ausstrahlte – ein kryptologisches Rätsel kann also ganz schön unscheinbar sein. Das folgende Foto zeigt nicht das Original des Codex Rohonci, sondern eine Nachbildung, die ich selbst hergestellt habe.
Mit 448 Seiten ist der Codex Rohonci dicker als das Voynich-Manuskript. Die Schrift ist unbekannt. Der Verfasser schrieb von rechts nach links. Der Leser Hubertus Nowak hat darauf hingewiesen, dass die Schrift dem Umbrischen ähnelt.
Der Codex Rohonci ist mit insgesamt 87 Bildern illustriert. Die meisten Bilder zeigen Szenen aus der Bibel (Altes und Neues Testament). Die künstlerische Qualität ist ziemlich bescheiden. Benedek Láng hat überprüft, ob sich eines der Evangelien oder sonstige religiöse Texte mit dem Codex Rohonci in Deckung bringen lassen – ohne Erfolg.
Leider haben sich bisher nur wenige Kryptologen mit dem Codex Rohonci beschäftigt. Deshalb weiß man recht wenig über die Eigenschaften des Texts. Der Autor nutzte ein ziemlich umfangreiches Alphabet mit über 150 Buchstaben. Bisher ist es noch nicht gelungen, aus den Buchstabenhäufigkeiten auf die Bedeutung zu schließen.
Einen interessanten Ansatz gibt es: Im Codex Rohonci ist mehrfach Jesus am Kreuz inklusive einer Kreuzesinschrift mit vier Buchstaben abgebildet. Die Kreuzesinschrift lautet in der christlichen Kunst üblicherweise INRI. Die Inschrift im Codex Rohonci hat ebenfalls vier Buchstaben, allerdings sind der erste und der letzte nicht identisch. Hubertus Nowak hat mich darauf hingewiesen, dass auch andere Buchstabenkombinationen am Kreuz verwendet werden. In den Ostkirchen steht auf dem Schild beispielsweise “Der König der Welt” (ich kannte diesen Spruch bisher nur aus dem Spielfilm “Titanic”). Nicht mit INRI übereinstimmende Schriftzüge mit vier Buchstaben sind außerdem OMPS bzw. OPS (omnipotens) und IHSV (In hoc signo vinces, was „Unter diesem Zeichen wirst du siegen“ bedeutet). Ich glaube nicht, dass diesen Spuren schon einmal jemand nachgegangen ist.
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