Abbildung 2: Die Schrift des Voynich-Manuskripts taucht an keiner anderen bekannten Stelle auf. Bisher konnte sich niemand einen Reim auf die seltsamen Zeichen machen. Quelle: Beinecke Library
Wenn das Voynich-Manuskript tatsächlich aus dem frühen 15. Jahrhundert stammt, dann scheiden so ziemlich alle Verdächtigen aus, die in der Voynich-Szene als mögliche Verfasser des Manuskripts gehandelt wurden. Ob das mittelalterliche Genie Roger Bacon, der allseits bekannte Leonardo da Vinci, der englische Gelehrte John Dee, der Alchemist Edward Kelley oder einige andere – sie alle lebten zur falschen Zeit. Es bietet sich also an, neue Hypothesen zu entwickeln. Der italienische Voynich-Manuskript-Experte Claudio Foti stellte bei der „Voynich 100“ eine solche vor. Seiner Meinung nach kommt der Humanist Gianfrancesco Poggio Bracciolini (1380-1459) als Autor infrage, der zur richtigen Zeit lebte und zweifellos das intellektuelle Format für ein Werk wie das Voynich-Manuskript hatte. Man darf gespannt sein, ob zukünftige Forschungen diese Hypothese untermauern.
Etwas mehr als über den Autor weiß man über die Besitzer des Voynich-Manuskripts. Einige Indizien sprechen dafür, dass der deutsche Kaiser Rudolf II. (1552-1612) das Buch besaß. Er residierte in Prag. Der polnische Alchemie-Experte Rafał Prinke referierte bei der „Voynich 100“ über dieses Thema und zeigte, dass es im 17. Jahrhundert noch andere Besitzer gab. So gut wie nichts weiß man dagegen über die Geschichte des Voynich-Manuskripts zwischen der vermuteten Entstehungszeit und Kaiser Rudolf II – dies sind immerhin etwa 150 Jahre. Der Brite Nick Pelling versuchte diese Lücke wenigstens teilweise zu schließen. In seinem „Voynich 100“-Vortrag berichtete er vor allem über seine Forschungen zur ursprünglichen Reihenfolge der Manuskript-Seiten. Es ist offensichtlich, dass die Blätter des Buchs vor der Bindung durcheinander gerieten, und dank Pellings Arbeit wissen wir heute wenigstens in Ansätzen, wie die Reihenfolge ursprünglich ausgesehen haben könnte.
Nicht so außergewöhnlich, wie vielfach angenommen
René Zandbergen zeigte in seinem Vortrag eine Vielzahl von Bildern aus alten Kräuterbüchern, wobei sich zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Voynich-Manuskript zeigten. Dies ist in zweierlei Hinsicht ein wichtiges Ergebnis. Zum einen neigten frühere Voynich-Forscher meist zur Ansicht, das Voynich-Manuskript sei etwas Einzigartiges. Bezüglich der darin abgebildeten Pflanzen ist es das jedoch nicht, wie Zandbergen zeigen konnte, denn die weit über 100 großformatigen botanischen Darstellungen darin könnten auch in einem beliebigen Kräuterbuch der damaligen Zeit gestanden haben. Zum anderen gehört es zu den mysteriösen Eigenschaften des Voynich-Manuskripts, dass sich so gut wie keine darin abgebildete Pflanze identifizieren lässt. Zandbergens Vortrag zeigte jedoch, dass diese Eigenschaft nicht ganz so mysteriös ist wie bisher häufig angenommen, denn auch andere historische Kräuterbücher zeigen nichtidentifizierbare Pflanzen.
Klaus Schmeh berichtete über die statistischen Eigenschaften des Voynich-Manuskript-Texts. Die Statistik ist ein wichtiges Hilfsmittel jedes Codeknackers. Wenn man beispielsweise weiß, dass im Deutschen das E der häufigste Buchstabe ist, gefolgt von N, I und S, dann kann man häufig schon mit einfachem Buchstabenzählen zum Erfolg kommen. Es gibt jedoch – von der Entropieberechnung bis zur Spektralanalyse – noch weit mehr statistische Methoden, mit denen sich oft auch komplexere Verschlüsselungen knacken lassen. Viele dieser Methoden wurden in den letzten Jahrzehnten auch auf das Voynich-Manuskript angewendet – bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Schmehs Vortrag zeigte jedoch, dass die statistischen Eigenschaften des Voynich-Texts eine Menge über diesen verraten. So ähnelt der Voynich-Inhalt statistisch gesehen in vielerlei Hinsicht einem gewöhnlichen Text in einer natürlichen Sprache. Da ein gutes Verschlüsselungsverfahren solche Eigenschaften zerstört, ist klar, dass dem Voynich-Text keine (wirksame) Verschlüsselungsmethode zu Grunde liegt.
Abbildung 3: Die Verteilung der Buchstabenhäufigkeiten im Voynich-Manuskript sieht aus wie bei einem gewöhnlichen Text in einer natürlichen Sprache. Bisher hat diese Erkenntnis jedoch nicht viel gebracht. Quelle: Schmeh
Es gibt jedoch auch statistische Ergebnisse, die den Voynich-Text klar von natürlicher Sprache unterscheiden und eher in Richtung einer sinnlosen Buchstabenfolge gehen. Von einigen davon berichtete bei der „Voynich 100“ der Brasilianer Jorge Stolfi – ein Urgestein der Voynich-Forschung. Sein Fazit: „Die Struktur und die statistischen Eigenschaften der Wörter im Voynich-Manuskript wirken ziemlich seltsam und schränken die Theorien, die man zur Entstehung aufstellen kann, deutlich ein.” Klaus Schmeh vermutet, dass die Wahrheit irgendwo zwischen natürlicher Sprache und sinnlosen Buchstabenfolgen liegt – es könnte sich etwa um einen aus sinnvollen Wörtern zusammengewürfelten Unsinnstext oder einen echten Text mit sinnlosen Einfügungen handeln.
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