Der US-amerikanische Informatik-Professor Nick Gessler sammelt verschlüsselte Postkarten. Eine davon hat bisher allen Dechiffrier-Versuchen getrotzt. Sie wurde 1915 an eine Schweizer Bank geschickt.
Postkarten waren äußerst beliebt, bevor das Telefon aufkam. Die Post kam dreimal täglich, das Porto war billig und die Auswahl an Motiven unerschöpflich. Unter den Millionen von Postkarten aus der Vor-Telefon-Zeit, die erhalten geblieben sind, findet man immer wieder auch welche, deren Inhalt verschlüsselt ist. Meist stammen diese von Verliebten, die nicht wollten, dass der Postbote oder ihre Angehörigen mitlasen. Um so spannender ist es heute, verschlüsselte Postkarten zu dechiffrieren. Ich bin auf dieses Thema in Klausis Krypto Kolumne schon mehrfach eingegangen. Meine Leser haben sogar schon zwei bis dahin ungelöste Postkarten dechiffriert.
Wer weitere verschlüsselte Postkarten sucht, findet einige auf der Web-Seite des US-Professors Nick Gessler. Hier ist eine Auswahl:
Laut Nick Gessler (ich habe ihn auf dem NSA-Syposium getroffen) sind die verschlüsselten Postkarten in seiner Sammlung größtenteils gelöst. Gessler gibt seinen Studenten das Knacken von Postkarten oft als Hausaufgabe auf.
Es gibt jedoch eine Ausnahme. Eine der Postkarten auf Gesslers Seite hat bisher allen Dechiffrierversuchen getrotzt. Hier ist sie:
Das Interessante an dieser Verschlüsselung ist, dass sie wie eine Aneinanderreihung mathematischer Formeln wirkt. Ich kenne kein vergleichbares Kryptogramm. Grundsätzlich ist es natürlich möglich, dass es sich tatsächlich um mathematische Notizen handelt, allerdings werde ich nicht schlau daraus. Ich tippe daher eher auf eine Verschlüsselung. Hier ist die Vorderseite der Postkarte:
Der Poststempel wurde wohl im Juni 1915 angefertigt. Der Empfänger ist ein Oskar Egli in Neuchâtel in der Schweiz. Offensichtlich arbeitete dieser für die heute noch existierende Bank Crédit Mutuel. Das ist sehr ungewöhnlich, denn alle anderen verschlüsselten Postkarten, die ich kenne, gingen an Privatpersonen. Banken konnten es sich normalerweise leisten, Briefe zu verschicken. Ob der Inhalt der Postkarte dienstlichen Charakter hat?
Leider kenne ich dieses Kryptogramm erst seit ein paar Wochen. Ansonsten hätte ich es in meine Liste der 25 bedeutendsten ungelösten Verschlüsselungsrätsel aufgenommen.
Hat jemand eine Idee, was hinter dem Neuchâtel-Kryptogramm stecken könnte?
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