Im Zweiten Weltkrieg verschickte ein britischer Kriegsgefangener versteckte Nachrichten in seine Heimat. Erst letztes Jahr wurde sein Code geknackt.
Der Brite John Pryor (1919-2011) nahm als Marineoffizier am Zweiten Weltkrieg teil. 1940 geriet er in Dünkirchen in deutsche Gefangenschaft und musste die nächsten fünf Jahre in einem Gefangenenlager nahe Bremen verbringen. Immerhin erlaubten ihm die Aufseher wegen guter Führung, Briefe an seine Eltern zu schreiben. Diese lebten in Saltash in der Grafschaft Cornwall. Insgesamt 20 Schreiben versandte Pryor im Lauf der Jahre. Meist fingen sie mit „My Dear Mummy & Daddy“ an und handelten von belanglosen Dingen wie dem Gemüsegarten, der zum Gefangenenlager gehörte.
Natürlich wurde Pryors Post von den Deutschen zensiert. Dennoch gelang es ihm, in viele seiner Briefe versteckte Mitteilungen einzuschmuggeln. Pryor verwendete dazu einen steganografischen Code, den der britische Geheimdienst MI9 ausgearbeitet hatte. Auf diese Weise konnte Pryor seine Kameraden in der Heimat über militärisch wichtige Fakten (z. B. dem Sinken eines U-Boots) informieren und Ausbruchspläne abstimmen. Der britische Geheimdienst untersuchte die eingehenden Briefe und entschlüsselte sie. Anschließend wurden die Schreiben an die Eltern Pryors ausgeliefert. Diese erfuhren nichts vom Geheimcode.
Es versteht sich von selbst, dass Pryor mit dem Tod hätte rechnen müssen, wenn die Zensoren seine steganografischen Nachrichten entdeckt hätten.
Sieht harmlos aus, enthält aber eine versteckte Botschaft: ein Brief des Kriegsgefangenen John Pryor. Quelle: Plymouth University
Nach dem Krieg kehrte Pyor in seine Heimat zurück. 1980 schrieb er seine Memoiren und wollte darin auch auf seine kodierten Briefe eingehen. Er erinnerte sich jedoch nicht mehr an die Details des Codes und konnte deshalb seine eigenen Nachrichten nicht mehr entschlüsseln. Nach Pryors Tod im Jahr 2011 wollte dessen Sohn Stephen der Sache auf den Grund gehen. An der Universität Plymouth, wo er arbeitete, suchte er nach Experten mit dem nötigen Know-how. Zunächst sprach er mit einem Doktoranden, der sich mit Ausbrüchen aus Kriegsgefangenenlagern beschäftigte. Die beiden zogen weitere Fachleute zu Rate. Am Ende schaffte der Mathematik-Professor David McMullan den Durchbruch. Neben seinem Codeknacker-Gespür kam ihm zu Hilfe, dass er Informationen über einige ähnliche Codes des MI9 besaß.
John Pryors Sohn wusste vom Code, konnte ihn aber nicht knacken. Daher holte er sich professionelle Hilfe. Quelle: Plymouth University
Und wie hat der Code funktioniert? Darum geht es in Teil 2 dieses Artikels. Ich kann aber schon jetzt verraten: Der Code ist ziemlich kompliziert. Er wird in der mir zugänglichen Literatur nicht vollständig beschrieben. Interessant ist die Sache aber allemal.
Hier ist eine Pressemitteilung der Universität Plymouth zu dieser Geschichte.
Das Experten-Team, das den Code löste. Quelle: Plymouth University
Zum Weiterlesen: Geheimbotschaften in den Briefen eines Kriegsgefangenen (2)
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