Martin und Anna Wirth schickten sich vor 90 Jahren verschlüsselte Postkarten zu. Der Krieg beendete ihre Liebe.
Um 1980 fand der NSA-Mitarbeiter Tom Brousseau auf einem Flohmarkt in Stuttgart zwei verschlüsselte Postkarten. Sie stammten aus den Jahren 1915 und 1916 – also aus dem Ersten Weltkrieg. Die ältere Karte stammte von einer gewissen Anna Wirth aus Stammbach (Oberfranken). Sie schrieb an ihren Ehemann Martin Wirth, der als Soldat seinen Dienst tat – in der 3. Kompanie des 7. Regiments im 1. Ersatz-Bataillon. Diese Einheit war im nahen Bayreuth stationiert (oder die Post wurde von dort an den tatsächlichen Aufenthaltsort weitergeleitet). Acht Monate später schrieb Martin an Anna zurück.
Verschlüsselte Postkarten sind nichts Ungewöhnliches. Hier gibt es einen Blogartitel dazu. Hier und hier sind weitere Beispiele aus Klausis Krypto Kolumne.
Dass wir von Anna, Martin und ihren Postkarten wissen, liegt an zwei Artikeln, die 1986 in der NSA- Mitarbeiterzeitschrift Cryptolog erschienen sind. Die ursprünglich geheimen Inhalte der Cryptolog wurden letztes Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (deklassifiziert). Neben ziemlich viel langweiligem NSA-Klatsch finden sich darin ein paar wenige kryptologische Perlen – beispielsweise die Postkarten von Anna und Martin. So sah die Karte von Anna an Martin aus (leider ist die Bildqualität in der Cryptolog sehr schlecht):
Zum Glück ist in der Cryptolog auch eine Transkription gegeben (rechts die Vorderseite der Postkarte):
Die Verschlüsselung erwies sich als ziemlich simpel. Es gilt A=1, E=2, I=3, O=4, U=5, L=6, M=7, N=8 und R=9. So erhält man folgenden Klartext:
Hier ist die Postkarte von Martin an Anna (mit Transkription und Lösung):
Wie so oft bei verschlüsselten Postkarten ergeben sich auch hier viele Fragen:
- Warum durfte ein Soldat im Krieg überhaupt verschlüsselte Postkarten schreiben und empfangen? Feldpost wird nahezu immer zensiert, und Verschlüsseln ist verboten.
- Warum brauchte Martin acht Monate für seine Antwort? Gab es dazwischen weitere Postkarten?
- War Martin Wirth wirklich in Bayreuth stationiert oder war dies nur die Heimatadresse des Bataillons?
- Was bedeuten die Ausdrücke „Uhr zum Uhrmacher bringen“ und „Blumenvasen fertig machen“? Waren dies Code-Ausdrücke? Ist die Sache mit den Blumenvasen überhaupt korrekt entschlüsselt (der Autor der Cryptolog-Artikel ist sich nicht sicher)?
Wer etwas mehr erfahren will, kann die beiden Artikel in der Cryptolog online lesen, Ausgabe 103, Seite 36 und Ausgabe 105, Seite 34. Der Autor der Artikel konnte die Nachfahren von Martin und Anna ausfindig machen und erhielt dadurch ein paar interessante Informationen.
Martin und Anna sahen sich nach diesen Postkarten vermutlich nicht wieder. Martin Wirth starb wahrscheinlich 1916 in der Schlacht von Verdun.
Kommentare (27)