Das Folger-Manuskript ist ein verschlüsseltes Buch aus dem 19. Jahrhundert. Die Verschlüsselung ist eine der kunstvollsten, die ich kenne. Mehrere Codeknacker konnten sie unabhängig voneinander lösen.

Geheimgesellschaften wie die Freimaurer haben im Laufe der Jahrhunderte so manchen verschlüsselten Text produziert. In Klausis Krypto Kolumne habe ich beispielsweise bereits den Codex Copiale (ein Buch der Oculisten) und das Kasseler Zauberhandbuch (wahrscheinlich von den Rosenkreuzern) vorgestellt. Ein weiteres Beispiel ist das Folger-Manuskript. Dieses wurde 1827 von einem New Yorker Freimaurer namens Rober Folger verfasst. Die Schrift ist ziemlich kunstvoll und aufwendig gestaltet. Nahezu jeder Buchstabe sieht anders aus. Das alles ist sehr ungewöhnlich, denn nahezu alle anderen bekannten verschlüsselten Bücher sind aus nahe liegenden Gründen in möglichst einfachen Schriftzeichen verfasst. Auf meiner Encrypted Book List hat das Folger-Manuskript die Nummer 00038.

Das Folger-Manuskript

Mitte des 20. Jahrhunderts wussten die Freimaurer in New York offensichtlich selbst nicht mehr, wie das Folger-Manuskript zu entschlüsseln ist. Deshalb holten sie sich Expertenrat ein. So gelangte das ungewöhnliche Kryptogramm zu einem gewissen Will Baden, der es innerhalb von 30 Minuten lösen konnte – das bekam aber offenbar niemand mit. 1983 präsentierte der Verschlüsselungsexperte Brent Morris eine Seite des Folger-Manuskripts in der Fachzeitschrift Cryptologie (Ausgabe 1/83). Diese sah wie folgt aus:

Folger-Cryptogram

Morris, der nichts von Badens Dechiffrierung wusste, forderte die Leser auf, ihr Glück als Codeknacker zu versuchen. Anscheinend hatten gleich mehrere von ihnen Erfolg. In einer späteren Ausgabe der Cryptologia wurde daher die Lösung präsentiert (Ausgabe 3/83). Wie man inzwischen weiß, beschäftigte sich auch bei der NSA ein (namentlich nicht bekannter) Kryptologe mit diesem Kryptogramm und konnte es knacken. Sein Bericht ist heute über das Internet abrufbar.

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Die Lösung

Es zeigte sich: Jeder “Buchstabe” des Folger-Manuskripts steht für ein ganzes Wort. Genauer gesagt, ist jeder “Buchstabe” aus kleinen Symbolen zusammengesetzt, die für die Buchstaben des Alphabets stehen. Die folgende Tabelle erklärt dies:

Folger-Substitution-Table

Aus diesen kleinen Symbolen setzt der Verschlüssler ganze Wörter zusammen. Das folgende Symbol heißt beispielsweise EFFORTS:

Folger-EFFORTS

Der Klartext

Das Folger-Manuskript, so stellte sich heraus, beschreibt Rituale einer damaligen Freimaurer-Gruppe in den USA. Der Klartext der obigen Seite liest sich wie folgt:

Folger-Cleartext

Kommentare (14)

  1. #1 Peter
    10. März 2014

    Erinnert mich irgendwie an ein Blumen-ABC aus meiner Kindheit. Zumindest ist der Weg der gleiche.
    🙂

  2. #2 Morlog
    11. März 2014

    Kann man das ein wenig näher erklären an einem Beispielwort wie das zu entschlüsseln geht.

  3. #3 Peter
    11. März 2014

    Klar, ist ganz einfach.
    Über dem Schriftzug ( Der Klartext ) hat es ein Zeichensymbol.
    Schaue Dir das Symbol an. Von oben nach unten gelesen ergibt es EFFORTS.
    Beispiel:
    Ganz oben siehst Du einen Querstrich. Jetzt schaue im Schüssel unter E….da siehst Du einen Querstrich.
    Nächste Zeile runter siehst Du einen Strich mit einem Pfeil dran……..schaue mal bei F. nach. jetzt hat es das Zeichen aber 2x…also 2xF.
    Nächste Zeile runter siehst Du einen halben Bogen.
    halber Bogen = ?
    Und so weiter…..Verstanden ?

    • #4 Klaus Schmeh
      11. März 2014

      Danke für die Erläuterungen. Ich hoffe, die Sache wird dadurch klar. Es handelt sich um eine ziemlich ungewöhnliche Form der Verschlüsselung, aber sie funktioniert.

  4. #5 Svechak
    11. März 2014
  5. #6 Peter Lichtenberger
    Weit entfernt vom Dschungelcamp
    11. März 2014

    Vom Aufbaukonzept her gibt’s Ähnlichkeiten zu Maya-Glyphen, die auch aus einzelnen Buchstaben/Silben zusammengesetzt sind.

  6. #7 Peter
    12. März 2014

    Kam mir doch gleich bekannt vor. Das ist eine Seite aus dem Zeremonienbuch der Freimaurer, mit dem sie neue Mitglieder vereiden. Für mich sehr interessant, dass sich bis hier eine Seite verirrt hat.

    • #8 Klaus Schmeh
      12. März 2014

      >Kam mir doch gleich bekannt vor.
      Gibt es irgendwo im Netz etwas Ähnliches?

  7. #9 Peter
    12. März 2014

    Kann nicht sagen ob da was im Netz ist. Ich habe es in einer Doku über Freimaurer gesehen, wo man einen kurzen Blick auf das Buch werfen konnte.

    Hier ein Zertifikat einer Loge die im alten Templercode geschrieben ist.
    https://freimaurer-wiki.de/index.php/Zu_den_drei_Zirkeln

  8. #11 Chemiker
    12. März 2014

    Hatte der Mann zufälligerweise koreanische Verbindungen? Das ganze erinnert sehr an koreanische Hangul: Da werden quadratische Zeichen aus Komponenten zusammengesetzt, die für die einzelnen Laute stehen.

    Zum Beispiel besteht 롭=ROB aus drei Elementen, die vertikal von oben nach unten gestapelt werden: ㄹ=R, ㅗ=O und ㅂ=B.

    Hier handelt es sich also eher um eine erfundene Schrift, nicht um eine Verschlüsselung.

    • #12 Klaus Schmeh
      12. März 2014

      >Hatte der Mann zufälligerweise koreanische Verbindungen?
      Da bin ich leider überfragt.

      >Hier handelt es sich also eher um eine
      >erfundene Schrift, nicht um eine Verschlüsselung.
      Der Übergang ist sicherlich fließend. Die Frage ist, ob Geheimhaltung eines der Ziele war. Bei den Freimaurern würde ich das vermuten.

  9. #13 Peter
    12. März 2014
  10. […] Klausis Kryptokolumne beschreibt eine seltene, aber schön anzuschauende Verschlüsselung: Das Folger-Manuskript. […]