1997 jagte die österreichische Polizei einen Briefbomben-Attentäter. Dieser meldete sich mit einer verschlüsselten Nachricht.
Mitte der neunziger Jahre trieb in Österreich eine Terrorgruppe namens Bajuwarische Befreiungsarmee ihr Unwesen. Sie verschickte Briefbomben unter anderem an den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk und an die Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer.
1997 ging ein 15-seitges Schreiben der Bajuwarischen Befreiungsarmee beim Wiener Nachrichtenmagazin Profil ein. Der Inhalt wurde nie veröffentlicht. Klar ist allerdings: Das Schreiben bestand aus langen Zahlenkolonnen, die erkennbar eine Nachricht darstellten, die mit dem RSA-Verfahren verschlüsselt war. Der öffentliche Schlüssel (also ein Primzahl-Produkt) war angegeben. Die Schlüssellänge betrug 1024 Bit.
NSA und BSI leisteten Amtshilfe
Die Ermittler machten sich daran, das Kryptogramm zu entschlüsseln. Dass die Polizei als Codeknacker aktiv werden muss, ist übrigens nicht ungewöhnlich, wie meine Artikel-Serie Codeknacker auf Verbrecherjagd zeigt.
Die österreichische Polizei bot mehrere Organisationen mit Kryptologie-Know-how um Unterstützung, darunter die NSA. Auch das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) leistete Amtshilfe. Dort beschäftigte sich unter anderem der inzwischen verstorbene Kryptologe Hans Dobbertin mit dem Kryptogramm.
Doch die Sache schien aussichtslos. Ein RSA-Schlüssel der Länge 1.024 Bit ist bis heute nicht zu knacken – geschweige denn mit den Mitteln des Jahres 1997.
Doch dann erkannte Hans Dobbertin, dass der Verschlüssler einen groben Fehler gemacht hatte. Dem BSI-Kryptologen wurde dies klar, als er die Quadratwurzel des Primzahl-Produkts zog und dabei feststellte, dass diese etwa folgende Form hatte:
9385098[…]539,9999999999934085…
Mit anderen Worten: Nach dem Komma standen auffällig viele Neunen.
Bajuwarische Befreiungsarmee zerschlagen
Dobbertin zog die richtigen Schlüsse aus dieser Beobachtung und konnte die Nachricht dadurch leicht dechiffrieren. Ein Mathematiker des österreichischen Verteidigungsministeriums schaffte etwa zeitgleich dasselbe. Nach vier Tagen war das Kryptogramm der Bajuwarischen Befreiungsarmee gelöst.
Der Klartext erwies sich als belanglos (über den Inhalt ist ansonsten nichts bekannt). Dennoch konnte die Polizei der Bajuwarischen Befreiungsarmee schon bald das Handwerk legen – bei einer Routine-Kontrolle. Es stellte sich heraus, dass nur eine Person hinter der angeblichen Terrorgruppe steckte: der Steirer Franz Fuchs. Dieser sprengte sich bei seiner Festnahme versehentlich die Hände ab.
Fuchs gab später an, dass er die Schwachstelle absichtlich in die RSA-Verschlüsselung eingebaut hatte. Hans Dobbertin hielt dies für glaubhaft. Bis zu seinem Tod hatte er für seine Studenten eine interessante Frage parat: “Wie kann ich eine RSA-Verschlüsselung knacken, wenn in der Wurzel des Primzahl-Produkts nach dem Komma eine Reihe von Neunen steht?”
Wer die Antwort weiß, kann sie gerne ins Kommentarfeld schreiben.
Zum Weiterlesen: Codeknacker auf Verbrecherjagd
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