Die Anzahl der Enigma-verschlüsselten Funksprüche, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg absetzten, dürfte bei über einer Million liegen. Nur ein Bruchteil davon (ich schätzte, es sind weniger als 10.000) sind erhalten geblieben. Dies ist schade, denn es gibt heute durchaus Menschen, die originale Enigma-Nachrichten (mit Computer-Unterstützung) knacken. Dazu gehört beispielsweise der Singener Lehrer Michael Hörenberg (siehe Bild), über den ich schon berichtet habe, und dessen Partner Dan Girard.
Der Enigma-Schatz im Internet
Hörenberg und Girard sind ständig auf der Suche nach bisher unbekannten Enigma-Funksprüchen. Immer wieder tauchen solche auf – beispielsweise in Archiven oder irgendwo auf dem Dachboden. Manchmal geht es jedoch auch einfacher: So fand Dan Girard eine Sammlung von über 20 originalen Enigma-Nachrichten auf einer schwedischen Web-Seite. Diese Funksprüche stammen aus den Jahren 1939 und 1940. Die meisten davon stammten von deutschen Kriegsschiffen und wurden offensichtlich von schwedischen Funkern abgehört. Höchstwahrscheinlich konnten die Schweden die Verschlüsselungen nicht knacken (nach heutigem Wissensstand waren nur die Polen, die Briten und später die US-Amerikaner in der Lage, die Enigma zu dechiffrieren).
Hier ist ein Link zum PDF-Dokument. Die Enigma-Kryptogramme finden sich auf den Seiten pages 22, 23, 24, 25, 37, 39, 40, 47, 49, 69, 70, 71 und 81 (maßgebend ist die vom PDF-Reader angegebene Seitennummer, nicht die handschriftlich aufgebrachte). Hier ist einer der Funksprüche (vom 1. Dezember 1939, leider liegt mir keine Genehmigung vor, den Quellenhinweis habe ich von Michael Hörenberg übernommen):
Der Geheimtext lautet:
MSPO KQBH QLCM ENJJ XMYG PKKX WGXT WWXD NYZF QGEK DKSY PKLB BDPM SFUU WHYZ LTVO WIOF HKOU ZMLQ FCFL VQGX OPWN EGWW QJLT FWAM ENHB DBRB SYLM SNWY ZOIE
Erfolg mit dem Hill-Climber
Hörenberg und Girard haben zwei unterschiedliche Methoden zum Knacken von Enigma-Nachrichten entwickelt. Die eine orientiert sich an der von den Briten verwendete Knack-Maschine, die als Turing-Bombe bezeichnet wird. Die zweite Methode nutzt eine moderne Algorithmentechnik, das Hill-Climbing. In diesem Fall war es der Hill-Climber, der funktionierte. Er lieferte folgenden Klartext:
VINR FINS RRRF LVON FDMM MOST MITD UNKO AWER DONA RBEI TUQT XRBR ECHE NYHE RANS CHLI ESIN NANM INEZ RATU MSCI IFFE INSE INSQ USIE BENV IERN LUNA CHTO
Dieser Klartext ist nicht leicht zu lesen, da er viele Abkürzungen und Code-Begriff (und vermutlich auch Fehler) enthält. Hörenberg geht davon aus, dass er wie folgt gelesen werden muss:
EINS EINS RRRFL VON FDMMM OST MIT DUNKELWERDEN ARBEIT UNTERBRECHEN Y HERANSCHLIESSEN AN MINENRAEUMSCHIFF EINS EINS QU SIEBEN VIER NEUN ACHT O
Oder: 11. Räumbootsflottille von Führer der Minensuchboote Ostsee: Mit Dunkelwerden Arbeit unterbrechen, heranschliessen an Minenräumschiff 11 Qu. 7498.
Interessant ist, dass anscheinend nur sechs Stecker-Paare benutzt wurden. Üblich waren zehn.
Hörenberg und Girard haben damit einen weiteren Funkspruch nach über 75 Jahren wieder ans Licht gebracht. So kann man Geschichte live erleben.
Follow @KlausSchmeh
Kommentare (3)