Im Jahr 1918 schrieb ein Soldat namens Josef Geis aus dem Krieg eine Postkarte an seine Frau. Er verschlüsselte den Inhalt. Kann ihn jemand dechiffrieren?

Wenn ein Soldat aus dem Krieg an seine Angehörigen schrieb, las in aller Regel ein Zensor mit. Um Spionage vorzubeugen, durfte Feldpost keine allzu genauen Angaben über den Aufenthaltsort des Soldaten enthalten. Auch sonstige militärisch wichtige Informationen waren tabu. Verschlüsselte Briefe oder Postkarten ließ ein Zensor ebenfalls nicht durchgehen.

Auf Klausis Krypto Kolumne habe ich bereits einmal von zwei Postkarten berichtet, die eine Ausnahme bildeten. Der Leser Karsten Hansky hat mir nun dankenswerterweise eine weitere Feldpostkarte zur Verfügung gestellt, die verschlüsselt ist. Sie stammt aus dem Ersten Weltkrieg und ist auf den 19. Februar 1918 datiert. Der Poststempel zeigt das gleiche Datum. Das Kartenmotiv bezieht sich vermutlich auf den Sepraratfrieden von Brest-Litowsk, der 3. März 1918 (also wenige Tage später) geschlossen wurde. Vermutlich soll das Motiv die Hoffnung auf den Separatfrieden ausdrücken, über den zu diesem Zeitpunkt noch verhandelt wurde.

Postkarte-Separatfrieden-Bild

Die Textseite sieht wie folgt aus:

Postkarte-Separatfrieden-Text

Die Karte ist an eine “Wohlgeborene Frau Fanny Geis, H???dlung, Reimlingen, Bezirk Nördlingen” adressiert. Der Absender war vermutlich ihr Mann und hieß “???Geis, Josef, Landwehr Infanterie Ersatz, Battaillon I.B. 18 – 1. Kompanie, in Augsburg”. Der Rest steht auf dem Kopf und ist verschlüsselt. Der folgende Ausschnitt zeigt das Kryptogramm:

Postkarte-Separatfrieden-Textauszug

Karsten Hansky hat bereits eine erste Analyse durchgeführt. Demnach werden 21 verschiedene Zeichen verwendet. Wahrscheinlich handelt es sich um eine einfache Buchstabenersetzung. Vermutlich gilt D=E und N/R=C/H. Im verschlüsselten Text ist auch noch ein Stempel zu sehen. Eindeutig zu lesen ist “Briefpost”. Darunter kommt der Name der Einheit (wie im handgeschriebenen Absender).

Dass die Karte verschlüsselt durchging, könnte damit zu tun haben, dass es sich nicht um eine aktive Kampfeinheit handelte. Der Landsturm setzte sich vor allem aus älteren Jahrgängen zusammen.

Findet jemand mehr heraus? Ich bin gespannt.

Zum Weiterlesen: Neuchâtel-Kryptogramm: Eine rätselhafte Postkarte aus dem Jahr 1915

Kommentare (10)

  1. #1 Norbert
    7. Mai 2015

    Einige Zeichen stehen für Bigramme (ei, ie, ch). Dabei mit einer gewissen Logik: Die “8” steht für “ch” (wie im Wort “acht”). Während Doppelpunkt für e und Gleichheitszeichen für i stehen, bildet das Minuszeichen mit Punkt drüber “ei” und mit Punkt drunter “ie”. Das ist relativ leicht zu merken 😉

    Unsicher bin ich mir mit dem zweiten Wort der zweiten Zeile. Ich interpretiere hier mal das erste Zeichen als verschieden von denjenigen, die wie eine “3” aussehen. Mein Entschlüsselungsvorschlag:

    Meine Lieben
    Bin witer (=wieder?) gut
    hier angekommen.
    Habe meine Ohren-
    schitzer (=Ohrenschützer) verges(s)en.
    Macht nichts. Viele
    Grüs(s)e, der Vatter

    Auf der Motivseite steht noch:

    Brief folgt.

    Zu den noch unklaren Worten in Sütterlin werde ich mal meinen Vatter befragen … 🙂

  2. #2 Norbert
    7. Mai 2015

    … die drei Buchstaben links oben sind aber sicherlich

    Abs. (Absender)

  3. #3 Norbert
    8. Mai 2015

    Ich muss korrigieren: Deutsche Kurrentschrift, nicht Sütterlin …

  4. #4 Norbert
    8. Mai 2015

    Das erste Wort der zweiten Kurrentschriftzeile links oben ist auch eher

    Landst. (Landsturm)

    als eine Abkürzung für “Landwehr”.

  5. #5 Karsten Hansky
    Kretzschau
    8. Mai 2015

    Hallo Norbert,

    vielen Dank! Manchmal ist man betriebsblind. Nach der Idee mit den Bigrammen ist alles ganz einfach…

    Links oben steht natürlich “Abs.” für Absender und es ist auch ein Landsturm-Bataillon. Landwehr kam erst später.

    Bleibt noch die genaue Anschrift in Reimlingen, die ich beim besten Willen nicht lesen kann. Das Wort endet mit “dlung” aber Siedlung ist es nicht.

    Viele Grüße

    Karsten

  6. #6 Norbert
    8. Mai 2015

    Ich muss mich in Details korrigieren. Die Dinge werden klar, wenn man den schön strukturierten Schlüssel betrachtet. Alles, was wie mathematische Symbole aussieht, sind Vokale/Diphtonge, und alle “Ziffern” sind Konsonanten. Von denen gibt es oft eine einfache und eine verschnörkelte Variante. “8” ohne Schnörkel steht für h, mit Schörkel (der ja wie ein liegendes c aussieht) für “ch”. Vielleicht steht “1” ohne den “Aufstrich” für d und mit für t (woran sich der Verfasser dann nicht immer gehalten hätte). Wir können wohl annehmen, dass “=” sowohl für i als auch für ü steht (oder das ist eine Frage des Dialekts, was auf das Gleiche hinausläuft).

    Das erste Zeichen des vorletzten Worts dürfte, wie mir eben beim Fahrradfahren aufging, nach diesem System konsequenterweise ein Diphtong sein, also “eu”. Der doppelte Punkt (oder Komma plus Punkt) nach “nichts” könnte für ein Ausrufezeichen stehen. Das ergibt:

    Meine Lieben,
    bin wider gut
    hier angekommen.
    Habe meine Ohren-
    schützer verges(s)en.
    Macht nichts! Viele
    Grüs(s)e, euer Vadder

    Beim zweiten Zeichen des zweiten Wortes (ie) hat sich Vadder erst verschrieben (ei). Den korrekt unter das Minuszeichen gesetzten Punkt hat er dann dafür deutlich dicker gemacht 🙂

  7. #7 cimddwc
    8. Mai 2015

    Ich würde “H???dlung” als “Handlung” lesen (auch wenn dieser dunklere Schnörkel über dem a stört) – im Sinne eines Dorfladens oder sonstigen Geschäfts, das ggf. auch den Namen Geis trägt.

  8. #8 werner
    8. Mai 2015

    Es ist definitiv “Handlung”, darunter steht noch ein kleines “in”

  9. #9 Norbert
    8. Mai 2015

    Ich stimme dem zu. Das Grimm’sche Wörterbuch nennt “Handlung” auch als Begriff für “Geschäft”. Reimlingen, wenn ich es mir auf der Karte so anschaue, ist ein kleines Dorf, das vor 100 Jahren kaum größer gewesen sein dürfte und sicher nicht mehr als einen Laden für alles brauchte. (Immerhin aber gab es dort die “Missionsanstalt St. Josef”, das erklärt vielleicht, dass überhaupt eine “Handlung” ansässig war.) “Handlung in Reimlingen” war also bestimmt eine eindeutige Adressangabe.

    Noch eine sehr bemerkenswerte Eigenart des Codes, speziell der Konsonanten:

    1 = d/t (t hat einen senkrechten Strich und sieht ähnlich aus wie 1)
    2 = n (kleines n hat zwei senkrechte Striche)
    3 = m (kleines m hat drei senkrechte Striche)
    4 = r (“vier” hört mit r auf)

    Bis hierhin deckt sich das mit dem sogenannten “Major-System”! Kann das Zufall sein?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Major-System
    Die weiteren Ziffern sind anders zugeordnet, die meisten davon mnemotechnisch genauso elegant:

    0 = l (“null” hört mit l auf)
    5 = s (5 und s sehen ähnlich aus)
    6 = b (6 und b sehen ähnlich aus)
    7 = f (7 mit Querstrich und großes F haben eine gewisse Ähnlichkeit)
    8 = h (“acht” enthält ein h)
    9 = g (9 und g sehen ähnlich aus)

    3 mit Schnörkel = w (umgedrehtes m)
    8 mit Schnörkel = ch (der Schnörkel sieht wie ein liegendes c aus)
    9 mit Schnörkel = k (harte Variante von g)
    0 mit Schnörkel = z (okay, hier sehe ich keine Eselsbrücke)
    0 “offen” = v (auch hier muss ich passen, allenfalls erinnert das an ein schlampig geschriebenes v in lateinischer Schrift)

  10. #10 Klaus Schmeh
    8. Mai 2015

    @Norbert und alle anderen:
    Vielen Dank für die tolle Arbeit! Damit ist das Rätsel bis ins letzte Detail gelöst.
    Das mit dem abgewandelten Major-System finde ich besonders spannend. Dieses hätte ich an dieser Stelle nicht erwartet. Ich wusste gar nicht, das es so alt ist.
    Außerdem lag ich mit Meiner Vermutung, dass Josef Geis an seine Frau schrieb, falsch. Es war wohl eher seine Tochter.