Im Zweiten Weltkrieg klebte ein Unbekannter mehrere Dutzend verschlüsselte Zettel in ein Buch. Der Zweck dieser Aktion ist unbekannt und die Verschlüsselung ungelöst.
Der Blog-Leser Dr. Karsten Hansky hat mir dankenswerterweise ein äußerst spektakuläres Verschlüsselungsrätsel zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um ein Exemplar des Buchs Rainer Maria Rilke von Gert Buchheit. Dieses Buch stammt aus dem Jahr 1928. Die Ausgabe, um die es hier geht, ist 1942 im Berliner Buchmeister Verlag erschienen, und zwar als “Einmalige Sonderausgabe der Zentrale der Frontbuchhandlungen Paris”.
Das Besondere daran: Der Besitzer des Buchs (oder wer auch immer) hat mehrere Dutzend Zettel in das Buch geklebt, auf denen jeweils ein verschlüsselter Text angebracht ist. Praktisch jede freie Stelle des Buchs wurde dafür genutzt. Kein Buchtext wurde überklebt. So sieht beispielsweise die erste bedruckte Seite aus:
Noch vor dieser bedruckten Seite, auf der Rückseite des Titelblatts, findet sich neben dem obligatorischen verschlüsselten Zettel der einzige handschriftliche Eintrag:
Die handschriftliche Passage könnte lauten: “Wtm. Klaus 06531. April 1944”. Die Abkürzung “Wtm.” steht vermutlich für Wachtmeister. Vor “Klaus” könnte ein “I” stehen. Vermutlich gehörte das Buch einem Wachtmeister Klaus – oder es sollte dieser Eindruck erweckt werden. Am “K” von “Klaus” kann man erkennen, dass der Zettel eingeklebt wurde, bevor jemand den Namen darauf schrieb.
Weitere Seiten aus dem Buch (ich werde es “Rilke-Kryptogramm” nennen) sind auf einer Seite zu sehen, die ich für diesen Zweck eingerichtet habe. Karsten Hansky will mir nach und nach alle Seitenscans zur Verfügung stellen. Auch in meine Liste verschlüsselter Bücher habe ich das Rilke-Kryptogramm aufgenommen – mit der Nummer 00063.
Wer kann Hinweise zur Lösung des Rätsels geben?
Eine interessante Frage lautet nun: Welchen Zweck hatte dieses Buch? Handelt es sich um eine verschlüsselte Nachricht an einen Spion? Die Tatsache, dass die Nachricht in einem Buch versteckt wurde, spricht dafür. Dass ein Besitzervermerk mit Name, Dienstgrad und vermutlich Feldpostnummer eingetragen ist, spricht allerdings dagegen. Außerdem hätte ein Geheimdienst das Versteck vermutlich etwas professioneller gestaltet (dünneres Papier, kleinere Buchstaben, keine Zettel auf den ersten Seiten).
Oder ist die Zeichenfolge ein Schlüssel für einen One Time Pad? Ich glaube nicht, denn im Zweiten Weltkrieg war der One Time Pad noch nicht weit verbreitet. Erst im Kalten Krieg setzte sich diese Variante des Verschlüsselns durch. Außerdem ist ein Text mit Umlauten und Zahlen sehr schlecht geeignet, um ihn von Hand zu einem Klartext zu addieren.
Wir können also davon ausgehen, dass es sich um einen verschlüsselten Text handelt. Kann ihn jemand entschlüsseln? Ich befürchte, dass dies schwierig ist, denn die Verschlüsselung sieht professionell aus. Immerhin gibt es eine große Menge an Analysematerial.
Ich bin sehr gespannt, ob ein Leser mehr zu diesem ungewöhlichen Rätsel sagen kann. Karsten Hansky und ich würden uns freuen.
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Zum Weiterlesen: Top-25 der ungelösten Verschlüsselungen – Platz 16: Verschlüsselte Botschaften eines Nazi-Spions
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