1904 schickte ein Unbekannter eine verschlüsselte Postkarte von New Orleans nach Kiel. Der Code müsste eigentlich zu knacken sein.

Tobias Schrödel ist nicht nur Deutschlands bester Comedy-Hacker, sondern auch ein hervorragender Codeknacker und Besitzer einer eindrucksvollen Sammlung verschlüsselter Postkarten. Viele dieser verschlüsselten Liebesgrüße (meist stecken solche dahinter) hat Tobias längst selbst gelöst. Doch es gibt natürlich auch Ausnahmen.

Kürzlich hat Tobias beispielsweise ein Exemplar erstanden, das 1904 in New Orleans verschickt wurde und dessen Klartext ihm bisher nicht bekannt ist. Dankenswerterweise hat er mir Scans der Karte zur Verfügung gestellt. Hier sind sie:

Postcard-NewOrleans-Kiel-text

Postcard-NewOrleans-Kiel-pic

Der Empfänger war ein Kurt Hempel, Schüler im Schiffsbautechnikum in Kiel. Die folgende Stelle könnte für den Absender stehen:

Ich lese hier “Herrn Demon Bar, New Orleans, Decatur 617”. tatsächlich gibt es in New Orleans eine Decatur Street, die sogar recht bekannt ist. Auffällig ist, dass sowohl Sender als auch Empfänger männlich sind. Das ist eher die Ausnahme, da verschlüsselte Postkarten meist zwischen Verliebten verschickt wurden.

Die Verschlüsselung ist wahrscheinlich eine Buchstabenersetzung, die durchaus zu knacken sein müsste. Leider sind die Wortzwischenräume nicht immer deutlich zu erkennen. Bei der Suche nach Wörtern, die man eventuell erraten kann (auch als “Crib” bezeichnet), ist mir folgendes ins Auge gesprungen (rechte Spalte, zweite Zeile):

Dieses Wort hat das Muster ABCCBD und könnte damit für das bedeutendste Crib überhaupt stehen: LETTER. Das Wort “Letter” ist für Codeknacker besonders hilfreich, weil es in verschlüsselten Texten häufig vorkommt und mit ABCCBD außerdem ein leicht erkennbares Muster aufweist.

In diesem Fall bin ich mit LETTER aber nicht weitergekommen. Der vermutliche Grund: Die Postkarte dürfte auf Deutsch geschrieben sein. Dafür sprechen der Empfänger, die Schreibweise des Datums und das Wort “Herrn” im Absender.

Eine äußerst hilfreiche Web-Seite für das Suchen von Wortmustern ist übrigens Codepenguin. Leider liefert diese Seite keine deutschen Ergebnisse (falls jemand eine entsprechende Seite oder ein Programm kennt, würde mich das sehr interessieren). Ich kann daher nur raten, was ABCCBD bedeutet – beispielsweise KESSEL, KELLER oder TELLER. Oder gehören die folgenden drei Buchstaben zum Wort dazu, und das Wortmuster ist eigentlich ABCCBDEFG?

Findet jemand mehr heraus?

Zum Weiterlesen: https://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/2015/04/23/wer-kann-diese-verschluesselte-postkarte-aus-tschechien-dechiffrieren/

Kommentare (11)

  1. #1 schorsch
    30. September 2015

    Hab jetzt leider wenig Zeit,daher als ungeprüfte Anregung:

    Ich denke, die folgenden drei Buchstaben gehören zum abccbd dazu, dann lese ich rechts oben “erster klasse passagier”.

  2. #2 Robert
    30. September 2015

    Ich hab als Anfang auch oben rechts: “bin als erster klasse
    passagier herueber
    gefahren weil ich”

  3. #3 Armin
    30. September 2015

    Komplett sieht’s so aus:

    BIN ALS ERSTER CLASSE
    PASSAGIER HERUEBER
    GEFAHREN WEIL ICH
    IN DE DRITTEN UMSA=
    NDE MIT DER EINWAN=
    DERUNGSBEHOERDE GEHABT
    HAETTE. HABE ANSTEL
    LUNG ALS BARKEEPER
    ERHALTEN GEDENKE
    HIER ZU UEBERWINTERN
    UND ZUM SOMMER WEITER
    NACH WESTEN GEHEN
    LIEBER KURT KARTEN
    KONNTE ICH DIR VOR
    HABANA NICHT SCHICKEN
    DA VENEZUELA SOLCHE ARTIEKEL NOCH NICHT KENNT IST NOCH RECHT
    WILD. LIEBER KURT GELD ZUR UBERFAHRT FUER DICH KANN ICH LEICHT SPAREN
    UND ES WUERDE MEIN HOECHSTES GLUECK SEIN
    DICH IN NICHT ALZUWEITER FERNE BEI
    MIR ZU SEHN
    PR. ADRESSE SONST GEHTS GUHT
    AVANT

    “Avant” scheint der Name des Schiffes zu sein.

    • #4 Klaus Schmeh
      30. September 2015

      Vielen Dank!!!
      Da schreibt wohl ein USA-Auswanderer an einen Freund, der irgendwann nachkommen will.

  4. #5 Tobias Schrödel
    1. Oktober 2015

    Danke an Armin!
    @Klaus: Ich denke – speziell wenn ich die letzten Zeilen lese – dass es sich hierbei sehr wohl um eine verschlüsselte Nachricht von zwei sich liebenden (Männern) handelt.

  5. #6 schorsch
    1. Oktober 2015

    @Klaus: Wenn meist Liebesgrüsse hinter verschlüsselten Postkarten stecken – wieviele solcher Postkarten kennen Sie, die vermutlich von Frauen verfasst worden sind?

    Zur geheimen Kommunikation unter verboten Liebenden sind verschlüsselte Postkarten denkbar ungeeignet, da sie zwingend Verdacht erwecken müssen. Sie als romantisch zu empfinden, mag jedem Tom Sawyer liegen, der in seiner Pubertät zu viele Abenteuerromane des 18. und 19. Jahrhunderts gelesen hat.

    Aber es fällt mir schwer, mir eine Becky Thatcher vorzustellen, die ähnlich empfindet.

    Kann es sein, dass verschlüsselte Postkarten unter Liebenden praktisch ausschliesslich von Männern verfasst wurden? Und dass die derart angeflirteten Damen sich mit der Entschlüsselung regelmässig keine grosse Mühe gemacht haben?

    @ Tobias: Das waren keine zwei sich liebenden Männer. Das waren zwei Backfische, die gerade das Realgymnasium hinter sich hatten und von denen der eine glücklich im Ausland einen Job als Busboy bekommen hat. Damals war es nicht automatisch schwul, wenn Männer sich gegenseitig von ‘höchstem Glück’ angeschwärmt haben. Derartige Formulierungen waren unter gleichgeschlechtlichen Freunden (nicht Partnern!) im Gegenteil damals ziemlich üblich.

    • #7 Klaus Schmeh
      1. Oktober 2015

      >Kann es sein, dass verschlüsselte Postkarten unter Liebenden
      >praktisch ausschliesslich von Männern verfasst wurden?
      Das ist wohl so. Ich kann mich gerade an keine Ausnahme erinnern.

      >Und dass die derart angeflirteten Damen sich mit der
      >Entschlüsselung regelmässig keine grosse Mühe gemacht haben?
      Das weiß ich nicht. Ich hätte schon gedacht, dass eine Frau die verschlüsselte Nachricht des Angebeteten entschlüsselt.

  6. #8 Armin
    1. Oktober 2015

    Kleine Korrektur: “Avant” ist wohl doch nicht der Schiffsname, denn der steht ja im Klartext mit dabei: U.S.S. Illinois.

  7. #9 Klaus Schmeh
    1. Oktober 2015

    Schorsch, Robert, Armin: Vielen Dank fürs Entschlüsseln. Ging ja mal wieder sehr schnell!

  8. #10 Tobias Schrödel
    2. Oktober 2015

    @Schorsch: ich kenne und habe mehrere von Frauen geschrieben Karten. Die schönste habe ich sogar vor Jahren schon bei MisteryTwister aufbereitet.
    https://www.mysterytwisterc3.org/de/challenges/level-1-kryptographie-challenges/geheime-nachrichten-von-schloss-mansfeld

    Zum Thema Geheimschriften (auf Postkarten) sind für Liebende denkbar ungeeignet kann ich nur sagen, dass es um die Jahrhundertwende gleich mehrere Bücher gab, die genau das aber protegierten (Emil Katz 1900, Lothar Philipp 1910, Erwin Le Mang 1923)

    Ansonsten fände ich es gar nicht schlimm, wenn es zwei liebende Männer waren und sie zu dieser Zeit zwangsläufig nicht offen sein konnten. Aber es stimmt, schon, das muss nicht zwingend so gewesen, gerade wenn die Wortwahl damals üblich war.

  9. #11 Karsten Hansky
    2. Oktober 2015

    @Schorsch: Ich habe auch eine von einer Frau geschriebene Karte. Die sind aber eher die Ausnahme.