Die Produktion der Enigma war nur dank zahlreicher Arbeitskräfte möglich. Der norwegische Enigma-Experte Frode Weierud forscht derzeit zu diesem interessanten Thema. Vielleicht können ihm Leser dieses Blogs dabei helfen.
Der Norweger Frode Weierud ist einer der bedeutendsten Enigma-Experten überhaupt. Seine Webseite Frode Weierud’s Crypto Cellar ist eine interessante Fundgrube zum Thema. Unter anderem hat Frode Weierud zusammen mit Geoff Sullivan zahlreiche originale Enigma-Nachrichten aus dem Zweiten Weltkrieg gelöst. In meinem Buch Nicht zu knacken berichte ich ausführlich darüber.
Im Mail-Wechsel, der diesem Artikel vorausging, hat mir Frode Weierud auf Anfrage erklärt, wie sein Name ausgesprochen wird. Die Aussprache ist etwa so, wie man sie im Deutschen erwarten würde. Übrigens spricht Frode sehr gut Deutsch, da er lange im Atomforschungszentrum CERN in der Schweiz gearbeitet hat.
Männer, Frauen, Fremdarbeiter
Momentan beschäftigt sich Frode Weierud mit den zahlreichen Arbeitskräften, die im Zweiten Weltkrieg und vorher die Enigma gebaut haben. Insgesamt wurden nach neueren Erkenntnissen knapp 30.000 Exemplare der Maschine produziert – dies ging nicht ohne massiven Personaleinsatz.
Die Enigma wurde von der Chiffriermaschinengesellschaft Heimsoeth und Rinke (H&R) in Berlin hergestellt. Ihr wichtigstes Fertigungswerk war Konski & Krüger (K&K). Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs spannte sich die Personalsituation in diesen Unternehmen deutlich an. Einerseits benötigte man immer mehr Arbeitskräfte, um die steigende Nachfrage nach Enigmas befriedigen zu können. Andererseits wurden viele Arbeiter in die Wehrmacht eingezogen oder meldeten sich freiwillig. Die Unternehmen versuchten, ihre Arbeiter vor dem Wehrdienst zu bewahren – was natürlich in beiderseitigem Interesse lag.
Da immer weniger männliche Arbeiter zur Verfügung stehen, wurden viele Frauen eingestellt. Auch kriegsversehrte Soldaten kamen zum Einsatz. Es gibt sogar Hinweise, dass K&K ab 1942 auch Fremdarbeiter einstellte. Dies wurde bis dahin aus Sicherheitsgründen vermieden. Die Fremdarbeiter wurden aus den von Deutschland besetzten europäischen Ländern rekrutiert und zum Dienst verpflichtet. Es gibt keine Hinweise darauf, dass auch Häftlinge aus Konzentrationslagern dienstverpflichtet wurden, zumindest nicht direkt zur Enigma-Fertigung. Allerdings setzten einige der Zulieferer KZ-Häftlinge ein. Der US-Enigma-Experte Tom Perera hat Hinweise darauf gefunden, dass einie Arbeitskräfte Bauteile der Maschinen sabotierten, damit diese schneller kaputt gingen.
Erkennt jemand Oma oder Opa?
Einige der Arbeitskräfte, die an der Herstellung der Enigma mitwirkten, sind Frode Weierud namentlich bekannt. Er hat auf seiner Webseite einen Artikel mit einer entsprechenden Liste veröffentlicht (der Artikel enthält viele weitere Informationen zum Thema). Die Liste führt nur Arbeiter auf, die im Hauptfertigungswerk Konski & Krüger in der Chausseestrasse 117 in Berlin-Charlottenburg angestellt waren. Nach den Namen zu schließen, waren es ausschließlich Deutsche.
Ich habe nun eine Frage an meine Leser: Kennt jemand eine Person, die auf der Liste steht? Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass von diesen Personen noch jemand lebt, doch vielleicht erkennt jemand seinen Großvater oder seine Großmutter. Falls ja, wäre Frode Weierud sehr interessiert – und ich natürlich auch.
Der erste Teil der Liste stammt vom 19 März 1930. Die aufgelisteten Arbeiter(innen) waren am Bau der Enigma II beteiligt (auch als “Enigma H” bekannt):
- Frau Hedwig Berndt, Neu-Lichtenberg, Eitelstrasse 55a (wiring of the cipher wheels)
- Felix Larson, Mechaniker, Schöneberg, Kolonnenstrasse 45 (subassemblies)
- Richard Pohl, Mechaniker, Charlottenburg, Havelstrasse 7 (wiring of the transport wheels)
- Max Reichenbach, Mechaniker, Berlin, Böttgerstrasse 24 (last adjustments, control and registration of the machines)
- Alfred Recke, Mechaniker, Berlin, Raumerstrasse 34 (subassemblies)
- Herbert Siewert, Mechaniker, Bln.-Neukölln, Walterstrasse 8/9 (electrical circuit control and total assembly of the machines)
- Paul Sternkopf, Mechaniker, Berlin, Reichenbergerstrasse 74a (subassemblies)
- Hans Schneider, Mechaniker, Kremmen, Ruppinerchaussee (subassemblies)
Der nächste Teil der Liste stammt vom 6. Oktober 1931 (Arbeiter in den Fertigungsstätten von Konski & Krüger, Berlin N.4, Chausseestrasse 117):
Abendroth | Erich | Eichwalde | Kaiser-Friedrich. 11 |
Aethner | Herbert | Mahlow | Fliederweg |
Berndt | Hedwig | Neu-Lichtenberg | Eitelstr. 55a |
Deul | Hans | Borsigwalde | Siedlung Stadtpark |
Gabron | Otto | Frohnau | Barbarossastr. 31 |
Göricke | Erna | Berlin | Stettinerstr. 30 |
Hartwig | Liesbeth | Berlin | Spenerstr. 18 |
Jaworski | Franziska | Berlin | Koppenstr. 8 |
Kaufmann | Eberhard | Berlin N. | Ackerstr. 54 |
Kriegel | Edmund | Berlin | Chodowieckistr. 17 |
Lotze | Erich | Berlin | Kopernikusstr. 33 |
Musolf | Elise | Berlin | Bergstrasse 18 |
Müller | Otto | Berlin-Pankow | Wollankstr. 4a |
Myohl | Robert | Berlin | Leuthenstr. 18 |
Niclas | Eugen | Berlin-Neukölln | Steinmetzstr. 79 |
Paesler | Rudolf | Berlin-Tempelhof | Schönburgstr. 5 |
Pigard | Gertrud | Berlin-Neukölln | Böhmischestr. 16 |
Pohl | Richard | Berlin-Grünewald | Hubertusallee 43 |
Recke | Alfred | Berlin N | Raumerstr. 34 |
Reichenbach | Max | Berlin N. | Böttgerstr. 24 |
Runge | Otto | Berlin N | Chausseestr. 90 |
Schulz | Paul | Berlin | Perlebergerstr. 50 |
Siewert | Herbert | Berlin-Neukölln | Walterstr. 8/9 |
Strutz | Rosa | Berlin N. | Gartenstr. 66 |
Tümpel | Frieda | Berlin | Britzerstr. 10 |
11 Mai 1932:
Abendroth | Erich | Eichwalde | Wienerstr. 7 |
Berndt | Hedwig | Neu-Lichtenberg | Eitelstr. 55a |
Budach | Anna | Friedrichsfelde | Alt-Friedrichsf. 25 |
Hanke | Kurt | Berlin | Gr. Frankfurterstr. 12 |
Musolf | Elise | Berlin | Bergstrasse 18 |
Pohl | Richard | Berlin-Grünewald | Hubertusallee 43 |
Rathke | Klara | Berlin | Müllerstrasse 168 |
Recke | Alfred | Berlin N | Raumerstr. 34 |
Reichenbach | Max | Berlin N. | Böttgerstr. 24 |
Siewert | Herbert | Berlin-Neukölln | Walterstr. 8/9 |
Steinhöfel | Maria | Berlin | Heckmann Ufer 2 |
24 Mai 1933:
Berndt | Hedwig | Neu-Lichtenberg | Eitelstr. 55a |
Larshon | Felix | Berlin | Goltzstrasse 26 |
Musolf | Elise | Berlin | Bergstrasse 18 |
Pohl | Richard | Berlin-Grünewald | Potsdamerstr. 70 |
Rost | Joh. | Hoppegarten | Siedel. Birkenstein Parzelle 137 |
Reichenbach | Max | Berlin N. | Böttgerstr. 24 |
Siewert | Herbert | Berlin-Neukölln | Walterstr. 8/9 |
Zwei Ingenieure aus dem technischen Büro in der Steglitzerstraße 2:
Schiele | Reinhold | Berlin-Neukölln | Wildenbruchstr. 91 |
Schröder | Willi | Bln.-Charlottenburg | Schlüterstrasse 25 |
Weiter geht es am 28 Juni 1934:
Bailleu | Selma | Spandau | Ondenarderstr. 26 |
Biczkowski | Max | Schönow | Lessingstrasse 32 |
Frass | Eugen | Berlin | Gottschedstrasse 41 |
Konrad | Wilhelm | Berlin | Driesenerstrasse 30 |
Kraus | Martin | Spandau | Wehnelt Steig 6 |
Rost | Johannes | Dahlwitz-Hoppegarten | Siedlung Birkenstein Mittelstrasse 137 |
Staar | Hermann | Wittenau | Oranienburgerstrasse 219 |
Timmler | Willi | Lichtenberg | Scharnweberstr. 61 |
Laut Frode Weierud gab es wahrscheinlich noch eine Reihe weiterer Angestellter, die mit der Fertigung der Enigma bei K&K betraut waren. Genannt werden zuweilen Namen wie der des Mechanikers Krah sowie einer weiblichen Mitarbeiterin namens Johanna Kliche. Laut einer Aktennotiz vom September 1940 verließen zwei Mechaniker das Unternehmen. Während ein Gerhard Wuttke einberufen wurde, meldete sich sein Kollege Erich H. freiwillig zur SS.
Kommentare (3)