Als seine Fähigkeiten als Codeknacker nicht mehr ausreichten, nahm Hans van der Meer Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung zu Hilfe. So löste er nach 100 Jahren ein Kryptogramm.
Verschlüsselung spielte im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle. Alle am Krieg beteiligten Staaten nutzten drahtlosen Morsefunk, der leicht abzuhören war. Aber auch Telefongespräche und drahtgebundene Telegramme mussten verschlüsselt werden.
Ein ungelöstes Rätsel
Maschinen, die das Verschlüsseln übernahmen (wie etwa im Zweiten Weltkrieg die Enigma), gab es im Ersten Weltkrieg so gut wie nicht. Stattdessen musste man damals noch auf manuelle Verfahren und einfache Chiffrierwerkzeuge zurückgreifen. Der folgende Zettel zeigt beispielsweise eine Chiffrieranleitung, die ich in der Jack-Levine-Sammlung in Raleigh (USA) gefunden habe. Leider ist über den Hintergrund nichts bekannt.
Das folgende Bild zeigt zwei Verschlüsselungswerkzeuge aus dem Ersten Weltkrieg (sie gehören dem Sammler Günter Hütter). Von der Komplexität einer Enigma waren diese noch weit entfernt.
1978 stellte der US-Amerikaner Gary Knight in der Fachzeitschrift Cryptologia eine verschlüsselte Nachricht aus dem Ersten Weltkrieg vor:
ARVHL YMHET AZITF AHETZ CCEHH HCALR CNPYN MYHGU FNJLS BGHGA
OUYSL JEIIO GADPH CVTAE HEZRY YTNJP KVAHJ EQGNX ZZYUP NSIJE
SZIRB YPMMU EXRRY SLCIE TAFMD QYZMM FHVND XKJHN BWADO ZORDA
YICCH QTRCB NXJCG UMYJN RECZJ ULHNI UUTUV HSIGX SHIEF WYRUZ
CQJNZ SZUPA LGGPO VFACC DHVBS MPZJT SYHXW HTEVG OVALN WGADU
QPBDU XVRTD VTXQV AOXSW HTTUI GTPIR WIPCC LNIBJ EMJJY KQTGP
EKFZI WHQTU SKTPU GHJIM MDBJM PPNPW FIGDX ZJTGL WFRZC NRRPB
ULHEP RJKAR BJORR RRAHM GDBMO YGVGL MPRRI GCNPZ ZQEYP NCOLL
NKGUS MPUCK WXGRH QTQWR QNUKU ZFIBN XOXHU ILHYI DCKKJ NLZIB
FSQDZ HCKLH VUIDJ YKXSQ SLVYC BGXSH IEFWZ RMYTR EXTND LWZZN
SUFRY UVYCW GBVRT WYQVW HEXKO RTYYS HBYGK AOLSP HJBXE XYCZU
YHORZ BSMSG WTIZU JWFFI POZ
Leider ist über den Hintergund des Kryptogramms nichts bekannt, außer dass es sich um eine deutsche Nachricht handeln soll. 2014 stellte ich das Kryptogramm in meinem Buch Codeknacker gegen Codemacher vor. Die Lösung war mir nicht bekannt.
Vor ein paar Tagen hat mich Blog-Leser und Meister-Codeknacker George Lasry darauf hingewiesen, dass es im Internet einen Forschungsaufsatz aus dem Jahr 2010 gibt, in dem das Rätsel gelöst wird. Er stammt von dem Niederländer Hans van der Meer, der schon öfters zum Thema Kryptologie-Geschichte publiziert hat, dem ich aber leider noch nie begegnet bin.
Das “Für GOD”-Verfahren
Van der Meer, so kann man nachlesen, stellte zunächst einmal fest, dass die Buchstabenhäufigkeiten nicht für eine einfache Buchstaben-Ersetzung sprachen. Schon eher kam eine Vigenère-Chiffre infrage. Die Länge des Schlüsselworts einer Vigenère-Chiffre kann man mit dem Kasiski-Test bestimmen. Van der Meer kam dabei auf den Wert 18. Weiter kam er zunächst nicht. Anscheinend war das Kryptogramm doch nicht Vigenère-verschlüsselt – vermutlich aber mit einem ähnlichen Verfahren.
Im Buch The Codebreakers von David Kahn (siehe Bild) fand van der Meer schließlich das passende Verschlüsselungsverfahren. Es handelte sich um das so genannte “Für GOD”-Verfahren, das von 1916 bis 1918 im Einsatz war. Der Name bezieht sich darauf, dass die Nachrichten an einen Empfänger namens GOD adressiert waren. Dahinter verbarg sich eine deutsche Expedition in Nordafrika. Die Deutschen nannten das Verfahren “Wilhelm-Chiffre”.
“Für GOD” zählt zweifellos zu den besseren Verfahren des Ersten Weltkriegs. Es ähnelt der Vigenère-Chiffre, ist jedoch komplexer. Wer genau wissen will, wie es funktioniert, kann dies in Kapitel 4 von van der Meers Veröffentlichung nachlesen. Passenderweise fand dieser in Kahns Buch auch gleich den passenden Schlüssel: INSTRUMENTENMACHER. Man beachte, dass dieses Wort tatsächlich 18 Buchstaben hat. Damit ergab sich folgender Klartext:
ganz zuverlssiger vertrauensman meldet unterm dritten august:
italienischer dampfer sumatra soll demnchst rest des dritten ery-
thraeischen bataillons und das sechzehnte bataillon und urlauber
von libyien nach port said berfhren sowie von port said das erste
elfte und zwlfte bataillon nach lybien bringen. das 16. batl. ist
augenblicklich in benghasi. es soll durch das 12. ersetzt werden.
die erythraeischen bataillone in lybien sind sehr geschwcht. das
in lybien be ndliche 15. batl. zhlt nur noch 250 mann. zwischen
lybien und port said verkehrt alle zehn tage ein postdampfer.
der auch fr truppen transporte benutzt wird. pol. 30 07 4.
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