Der Parapsychologe Robert Thouless wollte mithilfe der Kryptografie beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Ich habe vor ein paar Jahren ein ähnliches Experiment gestartet.
Das Experiment, das der Brite Robert Thouless (1894-1984) im Jahr 1948 startete, hatte folgenden Ablauf: Thouless verschlüsselte eine Nachricht in einer Form, die seiner Meinung nach nicht zu knacken war, und kündigte an, nach seinem Tod – sofern möglich – den Schlüssel aus dem Jenseits zu übermitteln. Sollte jemand diesen Schlüssel empfangen und wäre er damit in der Lage, den Text zu entschlüsseln, so wäre bewiesen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass Tote mit Lebenden kommunizieren können. Eine der größten Sensationen der Wissenschaftsgeschichte wäre perfekt.
Der Schlüssel aus dem Jenseits lässt auf sich warten
Thouless veröffentlichte zunächst zwei Nachrichten dieser Art (die zweite aus Redundanzgründen). Als eine der Nachrichten geknackt wurde, reichte er eine dritte nach. Als Thouless 1984 starb, nahm er somit zwei verschlüsselte Nachrichten ins Grab. Da der US-Codeknacker Jim Gillogly in den Neunzigern eine davon lösen konnte, ist noch eine davon übrig geblieben. Sie lautet:
INXPH CJKGM JIRPR FBCVY WYWES NOECN SCVHE GYRJQ TEBJM TGXAT TWPNH CNYBC FNXPF LFXRV QWQL
Leider hat sich bisher niemand gemeldet, der den Schlüssel empfangen hat. Tote verraten also keine Geheimwörter – bisher jedenfalls nicht, denn nach wie vor könnte es natürlich passieren, dass Thouless die gesuchte Geheiminformation aus dem Jenseits übermittelt.
Die ungelöste Thouless-Nachricht ist in meiner Liste der 25 bedeutendten ungelösten Verschlüsselungen vertreten. Einen ausführlichen Artikel über die Thouless-Experimente habe ich vor drei Jahren in der Telepolis veröffentlicht.
Mein eigenes Experiment
Was Robert Thouless kann, so dachte ich mir, das kann ich auch. Als ich mein Buch Nicht zu knacken schrieb, startete ich daher mein eigenes Experiment nach dem Thouless-Vorbild.
Dabei stellte ich fest: Mit Aufkommen des Computers und durch den Fortschritt der Verschlüsselungstechnik haben sich die Möglichkeiten für ein solches Experiment sogar noch verbessert. Die Verschlüsselungsverfahren von heute sind mit dem Computer leicht durchzuführen, und man muss sich keine ernsthaften Sorgen machen, dass jemand in der Lage ist, sie zu knacken.
Es gibt allerdings ein Problem, das auch das beste Verschlüsselungsverfahren nicht lösen kann: Allzu exotische Schlüsselwörter (beispielsweise MDJZFHENALHDG) kann sich ein Mensch nicht merken – schon gar nicht über den Tod hinaus. Die Menge der nichtexotischen Schlüsselwörter ist dagegen begrenzt. Nimmt man beispielsweise sämtliche Wörter aller gängigen Sprachen inklusive Nebenformen und falschen Schreibweisen, dürfte die Zahl der gedächtnistauglichen Buchstabenfolgen maximal bei zehn Millionen liegen. Diese kann ein Computer-Programm durchprobieren und jeweils testen, ob eine Entschlüsselung ein sinnvolles Ergebnis liefert.
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Oft lässt sich dieses Problem lösen, indem man ein (besonders kompliziertes) Schlüsselwort auf einer Chipkarte speichert. In diesem Fall kam dies jedoch nicht infrage – schließlich kann ich keine Chipkarte mit ins Jenseits mitnehmen. Als beste Alternative gilt, sich einen Satz zu überlegen (z. B. “Jeden Morgen geht die Sonne über Klein-Posemuckel auf.”) und anschließend die Anfangsbuchstaben und Satzzeichen als Schlüsselwort zu verwenden. Im Beispiel wäre dies “JMgdSüK-Pa.” – schwer zu erraten und dennoch halbwegs gut zu merken.
Für mein Experiment generierte ich ein Schlüsselwort auf diese Weise. Mit diesem (im ASCII-Code) verschlüsselte ich – wie Robert Thouless – eine Nachricht. Das Verschlüsselungsverfahren, das ich verwendet habe, ist der allseits bekannte Advanced Encryption Standard (AES) im Electronic-Code-Book-Modus (ECB). Als Schlüssellänge habe ich 128 Bit gewählt. Zum Verschlüsseln habe ich die kostenlose Software CrypTool in der Version 2.0 verwendet. Der resultierende Geheimtext sieht wie folgt aus:
35 12 C7 9E 9B 4D 41 53 60 BC 75 6E B9 25 B2 53
Die Nachricht besteht aus 16 Buchstaben. Sie beginnt im Klartext mit AA und endet mit ZZ. Dazwischen findet sich ein aus 12 Großbuchstaben bestehender Ausdruck in englischer Sprache.
Das Schlüsselwort, das ich nach der beschriebenen Methode gewählt habe, dürfte zwar schwer zu erraten sein. Dennoch wollte ich mich gegen einen Brute-Force-Angriff schützen. Dazu nutzte ich eine Methode, um ein Verschlüsselungsverfahren gezielt zu verlangsamen: das Anhängen einer (beispielsweise sechsstelligen) Zahl an das Schlüsselwort. Aus ABCDEFGH wird so beispielsweise ABCDEFGH571865. Die sechsstellige Zahl muss sich der Anwender nicht merken. Wenn nun geprüft werden soll, ob ABCDEFGH das richtige Passwort ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als von ABCDEFGH000000 bis ABCDEFGH999999 alle Möglichkeiten durchzuprobieren, bis die richtige gefunden ist. Im Extremfall sind dies eine Million Möglichkeiten, im Schnitt 500.000. Die Folge: Wer das richtige Schlüsselwort weiß, muss auf die Verifizierung statt ein paar Mikrosekunden ein paar Sekunden warten. Jemand, der das Schlüsselwort nicht kennt und stattdessen ein ganzes Wörterbuch durchprobieren muss, benötigt dagegen statt ein paar Stunden 500.000 Stunden.
Im Experiment habe ich jedoch keine sechsstellige Zahl, sondern eine Fünf-Byte-Zahl verwendet. Dies kommt wie folgt zustande. Mein von einem Satz abgeleitetes Schlüsselwort besteht aus maximal elf druckbaren Zeichen. Wenn es weniger als elf sind, wird der Rest mit Null-Bytes (gemeint ist nicht das ASCII-Zeichen “0”, sondern ein aus acht Null-Bits bestehendes Byte) aufgefüllt. Da der AES mit 16-Byte-Schlüsselwörtern arbeitet, bleiben am Ende noch fünf Byte übrig. Diese fünf Byte habe ich mit einer Bitfolge gefüllt, was einer Zahl zwischen 0 und 1.099.511.627.775 gleichkommt.
Vor meinem Tod werde ich das Schlüsselwort nicht verraten. Danach werde ich zwei Möglichkeiten haben, es zu übermitteln: entweder als Buchstabenfolge oder in Form eines kompletten Satzes. Sollten Sie das Schlüsselwort irgendwann nach meinem Tod empfangen, dann empfehle ich, mit einem Kryptologen Kontakt aufzunehmen. Vielleicht sind Sie auf eine wissenschaftliche Weltsensation gestoßen.
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