Im französischen Nationalarchiv in Paris liegt ein verschlüsselter Brief, über den mir nichts bekannt ist. Kann ihn jemand knacken?

Gibt es Klausis Krypto Kolumne auch auf Englisch? Diese Frage wird mir oft gestellt, und ich muss sie regelmäßig mit nein beantworten. Leider benötige ich für englische Texte länger als für deutsche und erreiche außerdem nicht das sprachliche Niveau, das notwendig wäre.

Dennoch habe ich zahlreiche Leser aus englischsprachigen Ländern. Diese nutzen, falls sie kein Deutsch verstehen, Google Translate. Einer dieser Google-Translate-Leser ist Knox, ein US-Amerikaner aus Texas. Er hat mir kürzlich eine ganze Liste von verschlüsselten Briefen zukommen lassen, die alle online verfügbar sind. Ich gehe davon aus, dass ich über diese Sammlung noch so manchen Blog-Artikel schreiben kann.

Heute fange ich mit dem ersten Brief von der Knox-Liste an. Er steht auf den Seiten 6 und 7 in einer online zugänglichen PDF-Datei, die von der französischen Nationalbibliothek (Bibiothèque national de France) bereitgestellt wird. Hier ist die erste von zwei Seiten:

Knox-1-1

Und hier kommt die zweite Seite:

Knox-1-2

Leider enthält weder die Webseite noch der Brief selbst irgendwelche Informationen, die über das Kryptogramm hinausgehen. Ich weiß daher nicht, wer diesen Brief wann an wen geschrieben hat. Die Sprache könnte Französisch sein.

Vermutlich hat der Verfasser eine einfache Buchstaben-Ersetzung verwendet. Dadurch dürfte dieser Brief um ein Vielfaches leichter zu knacken sein als der Brief von Nicolas de Catinat, über den ich vor ein paar Tagen berichtet habe.

Kann jemand diesen Brief dechiffrieren?

Zum Weiterlesen: Die ungelöste Geheimschrift von Kaiser Ferdinand III.

Kommentare (21)

  1. #1 Thomas
    17. Mai 2016

    Als Sprache würde ich eher Renaisance-Italienisch als Französisch erwarten. Es dürfte sich um ein italienisches Dokument aus dem 16. Jh. handeln, das lediglich im Besitz der königlichen Bibliothek in Paris war. S. https://books.google.de/books?id=YySgmlIY8zMC&pg=PR26

  2. #2 Mamie Juliette
    17. Mai 2016

    Es handelt sich wohl um das hier erwähnte Dokument 8513:
    https://books.google.de/books?id=YySgmlIY8zMC&pg=PR26&lpg=PR26&dq=hieronimo+ranzo&source=bl&ots=4zm1GpNYKR&sig=qfAgMqdtQ9nhkSrt0PUYqWRhp9M&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwioyPCP6eHMAhXCaxQKHYREAVAQ6AEIKTAB#v=onepage&q=hieronimo%20ranzo&f=false

    vom 15. Dezember 1526. Leider ist mein italienisch nicht gut genug, um die Beschreibung mit Sicherheit zu verstehen.

  3. #3 Lercherl
    17. Mai 2016

    Hinter dem verschlüsselten Brief folgt der französische Klartext, datiert Rom, 15. Dezember 1526. Die Renaissance-Handschrift ist aber extrem mühsam zu entziffern – da geht es vielleicht schneller, den sauber geschriebenen Code zu knacken.

    Dahinter folgt noch ein verschlüsselter Brief ohne Klartext.

  4. #4 Thomas
    17. Mai 2016

    Berichtigung: Renaissance-Italienisch. Das Dokument könnte aber auch in Latein abgefasst sein (Ranzo hat mit seinem latinisierten Vornamen – statt Geronimo oder Girolamo – unterschrieben). Die Beschreibung unter Nr. 8513 besagt, dass es in demselben Band unter Ac4 eine französische Übersetzung (Rom, 15.12.1526) gibt. Es könnte sich aber auch um das Dokument 8544/Ac73 (https://books.google.de/books?id=YySgmlIY8zMC&pg=PR32) handeln (“ohne Anschrift, ganz in Chiffre, nur mit der Unterschrift Hieronimo Ranzo”). Im Exemplar der BNF gibt es eine merkwürdige Fortsetzung:
    https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9059908w/f6.item.zoom

    Noch zu Ranzo: Er war Zeuge bei der Unterzeichnung des zwischen Spanien und Frankreich geschlossenen Vertrages von Saragossa am 22.4.1529 (https://books.google.de/books?id=mDPF4ILESaUC&pg=PA197). Er lebte in Vercelli im Piemont und starb 1567 im Alter von 73 Jahren (https://books.google.de/books?id=qoBPAAAAcAAJ&pg=PA182)

  5. #5 Thomas
    18. Mai 2016

    Es handelt sich um das Archivat mit der Nummer 8513 (Vorsatzblatt). Am Schluss (ab Seite 4) steht die hier erwähnte ( https://books.google.de/books?id=YySgmlIY8zMC&pg=PR26) französische Übersetzung. Dazwischen (S. 2) ist ein Dokument mit Zeichen und Zahlen.

    Ob es eine einfache Buchstabenersetzung ist, ist fraglich: In der Zeit sind auch Homophone verwendet worden, wie eine Chiffre in einem Brief von Philipp von Nassau aus dem Jahr 1519 mit z.T. ähnlichen Zeichen (https://books.google.de/books?id=kup6kqfc5CgC&pg=PA57) zeigt.

  6. #6 Mamie Juliette
    19. Mai 2016

    Weiter unten steht zu dem Text 8513 auf Französisch:
    “Geheimer Zusatz zum Vertrag bezüglich der Hochzeit der Madame d’Urbin, Nichte von Clemens VII, mit einem Sohn Frankreichs, 1531.”

    Madame d’Urbin ist niemand anderer als Katharina von Medici, Prinzessin von Urbino, die dann 1533 mit Heinrich von Orléans verheiratet wurde (Monseigneur d’Orléans, späterer Heinrich II).

  7. #7 Thomas
    10. Juni 2016

    Eine einfache monoalphabetische Substitution ist mit einem Koinzidenzindex von nur 0,0639 unwahrscheinlich. In die Zeit würde eine homophone Substitution passen. Ich finde hier aber nur 25 verschiedene Chiffresymbole (den Doppelpunkt als Satzzeichen gedeutet). Wenn der Klartext allerdings weniger Buchstaben hat (wie in dem ähnlichen zeitgenössischen Beispiel unter #5 nur 19 einschließlich zweier Doppelbuchstaben), könnten noch einige häufige Klartextbuchstaben mit jeweils zwei Homophonen verschlüsselt worden sein.

    Ins Auge fällt, dass die aus dem 6. bis 10. Symbol in der ersten Zeile bestehende Folge im Text sehr oft wiederholt ist, wobei es das 6. Symbol der ersten Zeile ausschließlich in diesem Muster gibt.

  8. #8 Thomas
    10. Juni 2016

    In der 17. und in der 22. Zeile (jeweils in der rechten Hälfte) sind auffallende Wiederholungsmuster (1231413151231254 und 123126123, mit “1” das wie ein umgekehrtes “c” aussehende Symbol bezeichnet – bei 123 handelt es sich auch um das dritthäufigste Trigramm im Text), zu denen mir weder auf Französisch noch auf Italienisch Passendes einfällt (auch wenn es sich um mehrere Wörter handeln würde).

  9. #9 Torbjörn Andersson
    Kalmar, Sweden
    29. März 2017

    Third attempt at posting the key to this cipher:
    Plaintext is in English, it’s a simple substitution cipher with a few extra symbols standing for whole words (e.g. ‘a:’ probably meaning ‘Majesty’, or similar).
    The first page starts: “Pleis your Majesty[?], hes bein ernist to obtain licence to kis youe Majesty[?] hand bot culd not obtein permission to do it …”.
    So, ‘a’ is w with a horisontal bar on top, ‘b’ is +, ‘c’ is two parallel slanting strokes, with a third stroke crossing at a 45 degree angle, ‘d’ is O, ‘e’ is a, ‘f’ is i, ‘g’ is n, ‘h’ is = with a vertical stroke going through the middle, ‘i’ is d, ‘k’ is 4, ‘l’ is 5, ‘m’ is 2, ‘n’ is V, ‘o’ is A without the horisontal bar (like Greek ‘lambda’), ‘p’ is 9 (or perhaps a small g…), ‘r’ is e, ‘s’ is X, ‘t’ is a comma or backwards C, ‘u/v’ is H with the horisontal bar extending at both sides, and ‘y’ is 8.

  10. #10 Thomas
    29. März 2017

    @Torbjörn Andersson

    Great job, congratulations!

    It’s a real surprise Ranzo, an Italian, wrote this letter in English. Still wonder why. As you said a: apparently stands for Majesty or another title of nobility. Was the recipient an English nobleman?

    It seems to me that ‘i’ has two homophones, i.e. d and 9. Therefore ‘p’ must be q (not 9).

    What does “in haist” mean ( last line of p. 2: “… writing in haist this tuentie of aprile”)?

  11. #11 Thomas
    30. März 2017

    It stroke me that a and b have the same signs in Ranzo´s cipher and in Tomaso Spinelli´s cipher (https://istina.msu.ru/media/publications/article/a81/378/11992054/Domnina_Spinelli_cipher_EnglishRussian_-_kopiya.pdf). Spinelli was the ambassador of Henry VIII. at the court of emperor Charles V. since 1520. Maybe the recipient of Ranzo´s letter was the King of England Henry VIII. (“YOUR REALME”). For “YOUR ENNEMIE” and “IN FRANCE” are mentioned in the letter, the background could have been the war on France during which Henry VIII. joined Charles V. and the pope (“Italian Wars”).

  12. #12 Thomas
    30. März 2017

    Not only Spinelli but also Ranzo was at the court of Emperor Charles V. (https://dantiscus.ibi.uw.edu.pl/?f=personDetails&person=1839). Thus most likely they knew each other and were acquainted with King Henry VIII.

  13. #13 Thomas
    30. März 2017

    The missing link:
    Mercurino Arborio di Gattinara, born near Vercelli in Piedmont, was the Grand Chancellor of Emperor Charles V. His mother Felicita Ranzo and Girolamo Ranzo were members of the noble Ranzo family of Vercelli. Girolamo Ranzo was a courtier of Charles V. and Spinelli was accredited to Charles’ court as ambassador of the King of England.

  14. #14 Torbjörn Andersson
    Kalmar, Sweden
    30. März 2017

    I was thinking the recipient might be queen Elizabth I, since the writer talks about ‘obtaining licence to kiss your hand’ (but I don’t know much about 16th century practice).
    ‘Haist’ must be ‘haste’ in todays spelling. There are quite a few odd ways of spelling in this letter, and one can’t always be sure, if it is a mistake or a homophone in use at some places.

  15. #15 Thomas
    30. März 2017

    Elizabeth became Queen in 1558, the letter was written around 1526 (see above).

  16. #16 Torbjörn Andersson
    Kalmar, Sweden
    3. April 2017

    Yes, but I suspect the letter has been misplaced, and has nothing to do with Ranzo (who uses an entirely different, more complex cipher and probably writes in Italian). The plaintext gives the impression of an Englishman in exile, wanting to be forgiven and allowed to return home, so Elizabeth I could fit. Also, the date doesn’t give the year, only “written in haste, the twentieth of April”.
    But, I’m just guessing…

  17. #17 Thomas
    3. April 2017

    The problem is which pages the description 1 refers to (http//gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9059908w/f4.item.zoom, i-button)

  18. #18 Norbert
    21. Oktober 2017

    Congratulations to Torbjörn Andersson!
    Schön zu sehen, dass diese Chiffre geknacht ist (hatte vergessen zu abonnieren, daher etwas spät, die Gratulation). Ich teile Torbjörns Einschätzung, dass der Text fälschlich Ranzo zugeordnet wurde. Die Geheimtexte auf den nachfolgenden Seiten und ab folio 9 sind von Ranzo unterschrieben und ganz offensichtlich wesentlich komplexer. Sie sind der Anlass meines Posts.

    Ich stöbere nämlich gerade ein wenig in der “Gallica” (dem digitalen Archiv der Bibliothèque Nationale de France) und hatte soeben ein Déjà-vu:

    Das Département des manuscrits besitzt unter einer anderen Signatur, nämlich “Français 3022”, folio 50 eine “adizione nel zifra”:

    https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90601558/f97.item

    Es sieht ganz danach aus, dass diese “Ergänzung zur Chiffre” zu Ranzos Code gehört. Wenn ich es recht überblicke, ist der vorliegende Geheimtext aber geschrieben worden, bevor der Code erweitert wurde. Trotzdem kann man wohl mit großer Sicherheit schließen, dass es sich um einen Nomenklator handelt und der Klartext italienisch ist. Zumindest in der Erweiterung ist der Buchstabe vor der hochgestellten Zahl grundsätzlich auch der Anfangsbuchstabe der Klartextentsprechung. Das könnte bei der Entzifferung helfen (ich würde mich aber nicht unbedingt darauf verlassen, dass es auch in der “Grundausstattung” des Nomenklators immer so ist).

  19. #19 Thomas
    21. Oktober 2017

    Diese Chiffre von Maria von Ungarn (Beisiel 2 unten) sieht sehr ähnlich aus: https://www.historicum.net/themen/medien-und-kommunikation/quellen/roll/. Ein ähnlicher Schlüssel?

  20. #20 Norbert
    21. Oktober 2017

    @Thomas: Kannst du herausfinden, ob der Nomenklator von Ranzos Brief (fol. 2) bekannt ist? Wenn nein, setze ich ihn mal auf meine Todo-Liste.

    Jedenfalls ist das, was nach diesem Brief eingebunden wurde (fol. 4ff.), nicht die französische Übersetzung des Klartextes, dafür wäre es viel zu lang: hier irrt offenbar “Documenti di storia italiana (…)”; gemäß der bibliothekarischen Informationen dürfte es sich vielmehr um “Double de lettres escriptes en chiffre par NICOLAS RAINCE,… De Romme, XVme decembre V.C.XXVI” handeln. Nicolas Raince und Geronimo Ranzo sind sicherlich – trotz der Ähnlichkeit ihrer Nachnamen – zwei verschiedene Personen. Damit ist die Datumsangabe 15.12.1526 weder auf Ranzos Brief noch auf den Geheimtext, den Torbjörn gelöst hat, anwendbar.

    Ranzos System interessiert mich ungemein: Die “aditione nel zifra” zeigt, dass bereits im frühen 16. Jahrhundert einzelne Silben bzw. Wortteile mit eigenen Codes verschlüsselt wurden, nicht nur Buchstaben und ganze Wörter.

  21. #21 Thomas
    22. Oktober 2017

    @Norbert
    Zu dem Nomenklator von Ranzos Brief fol. 2 konnte ich nichts finden.