Die Inschrift von Shugborough Hall zählt zu den bekanntesten ungelösten Kryptogrammen der Welt. Der US-Amerikaner Dave Ramsden hat eine halbwegs plausible Lösung vorgeschlagen. Ist sie korrekt?
Es dürfte wohl niemanden überraschen, dass die Fachzeitschrift Cryptologia zu meinen Lieblingslektüren gehört. Dieses Magazin, das seit diesem Jahr zweimonatlich erscheint, ist hauptsächlich der Geschichte der Kryptologie gewidmet. Ab und zu gibt es auch Artikel zur aktuellen Kryptologie. Leider ist die Cryptologia recht teuer und nur in wenigen Bibliotheken vorhanden.
Die aktuelle Ausgabe 4/2016 der Cryptologia ist wieder einmal äußerst lesenswert. Vor allem der letzte Artikel ist interessant. Es handelt sich um eine Besprechung des Buchs Unveiling the Mystic Ciphers von Dave Ramsden. Autor der Rezension ist Cryptologia-Redaktionsleiter Craig Bauer. In diesem Buch aus dem Jahr 2014 geht es um die (verschlüsselte?) Shugborough-Hall-Inschrift, für die der Verfasser des Buchs eine mögliche Lösung präsentiert. Ist ihm tatsächlich der Durchbruch bei einem so bekannten Kryptogramm gelungen?
Die Shugborough-Hall-Inschrift
Die Shugborough-Hall-Inschrift ist nach dem englischen Landgut Shugborough Hall benannt. Das schlossähnliche Anwesen nahe Wolverhampton ist eine Touristenattraktion. Unweit des Hauptgebäudes steht ein um 1750 errichtetes Denkmal, das als “Shepherd’s Monument” bekannt ist. Auf diesem ist ein Relief angebracht:
Schöpfer des Reliefs ist der flämische Bildhauer Peter Scheemaekers (1691–1781), der im Auftrag der Besitzerfamilie Anson arbeitete. Das Motiv ist dem Gemälde “Die Hirten von Arkadien” des französischen Malers Nicolas Poussin nachempfunden. Unterhalb des Reliefs befindet sich die besagte Inschrift, die aus zehn Buchstaben besteht:
Die Inschrift lautet also:
O·U·O·S·V·A·V·V D· M·
Die ungeklärte Frage ist nun, was diese Buchstaben bedeuten. Weitere Fragen lauten: Warum ist die Nachricht auf zwei Zeilen verteilt? Weshalb folgt auf jeden Buchstaben ein Punkt, außer auf das V am Ende der oberen Zeile? Der Punkt nach dem abschließenden M wirkt dagegen überflüssig.
Getreu dem Motto “wer einen Hammer hat, betrachtet jedes Problem als Nagel” frage ich mich zunächst, ob hier eine Verschlüsselung vorliegt. In meinem Blog-Artikel vom Dezember 2015 gibt es ein paar Gedanken dazu.
Ramsdens Lösungsvorschlag
Wie sieht nun die Lösung aus, die Ramsden vorschägt? Der Leser Kent hat sie als Kommentar zu meinem letztjährigen Artikel wie folgt zusammengefasst:
The most intriguing proposed solution I can recall is the one that uses an acrostic plus one word from the old prayer phrase for the Virgin Mary “Blessed art THOU O Queen of Heaven” as key: BTHOUOQH. With this as key on a Beaufort (backwards) Vigenere Tableau, OUOSVAVV decrypts to MAGDALEN.
Mit anderen Worten:
Geheimtext: OUOSVAVV Davon abzuziehen: BTHOUOQH Resultat: MAGDALEN
Dabei gilt A=1, B=2, C=3 und so weiter. Der Schlüssel BTHOUOQH ergibt sich aus “Blessed art THOU O Queen of Heaven”.
Dave Ramsden selbst hat mit einem Kommentar zu meinem letztjährigen Blog-Artikel bestätigt, dass Kents Beschreibung korrekt ist.
Ist diese Lösung plausibel? Das verwendete Verfahren und der Klartext sind es zweifellos. Der Schlüssel BTHOUOQH klingt dagegen etwas willkürlich. Eine Google-Suche nach dieser Buchstabenfolge bringt genau einen Treffer: meinen Blog-Artikel zu diesem Thema vom Dezember.
Positiv zu erwähnen ist, dass Dave Ramsden seine Lösung lediglich als Vorschlag betrachtet und keinesfalls behauptet, dass sie stimmen muss. Dies ist ungewöhnlich, denn allzu viele Krypto-Rätsel-Löser (man denke etwa an die inzwischen über 40 Voynich-Manuskript-“Entschlüssler”) haben an ihrer “Entdeckung” keinerlei Zweifel.
Und das sagt Craig Bauer in seiner Buch-Besprechung zu Ramsdens Hypothese:
Do I think Ramsden is right? […] I think he could be correct. […] Certainly, Ramsden has avoided the multitude of complicated steps that seem to frequently be applied to torture a somewhat meaningful text out of cipher […]. Ramsden’s solution is very straightforward and makes use of a system that will be familiar to all Cryptologia readers.
Letztendlich sind bei einem so kurzen Kryptogramm immer viele Lösungen möglich, und es lässt sich ohne zusätzliche Informationen nicht beweisen, welche die richtige ist. Es darf also weiter gerätselt werden.
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Zum Weiterlesen: Die rätselhaften Altar-Inschriften von Moustier
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