Der britische Kriegsgefangene Alexis Casdagli stickte im Zweiten Weltkrieg eine Morse-Botschaft in einen Wandteppich. Er war damit nur einer von vielen Leidensgenossen, die auf kuriose Weise geheime Botschaften versendeten.
Zu den bisher kaum systematisch erforschten Themen der Kryptologie-Geschichte gehören die Methoden, mit denen gefangene Personen (trotz Zensur oder Kontaktverbot) mit der Außenwelt kommunizieren.
Dabei ist klar: Gefängnisinsassen haben zu allen Zeiten Wege gefunden, Nachrichten zu schmuggeln – genauso wie Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Entführungsopfer. Die jeweiligen Methoden gehören in den Bereich der Steganografie. Über den steganografischen Einfallsreichtum der betroffenen Personen und über die oft dramatischen Inhalte der geschmuggelten Botschaften gibt es unzählige Geschichten. Ein Buch speziell zu diesem Thema (man könnte problemlos eines füllen) ist mir allerdings nicht bekannt.
Die Botschaft im Wandteppich
Heute will ich mich auf die steganografischen Methoden von Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg beschränken. Ein besonders kurioses Beispiel ist ein Wandteppich, den der britische Soldat Alexis Casdagli (von 1941 bis 1945 in Deutschland inhaftiert) im Gefangenenlager Dössel knüpfte:
Der rot markierte Bereich ist eine Morse-Botschaft. Sie lautet: FUCK HITLER. Außerdem findet sich GOD SAVE THE KING in Morsezeichen auf dem Teppich. Ob die restlichen Morsezeichen weitere Nachrichten darstellen, ist mir nicht bekannt.
Steganografie im Gefangenenlager
Auf Klausis Krypto Kolumne bin ich bereits öfter auf Botschaften von Kriegsgefangenen eingegangen (beispielsweise hier und hier). Die meisten dieser Mitteilungen waren deutlich pragmatischer als die Hitler-Beschimpfung im Wandteppich. Oft ging es einfach nur darum, der Familie in der Heimat unzensiert mitzuteilen, wie es einem geht. Innerhalb der Lager wurden oft Ausbruchspläne steganografisch festgehalten.
Manche Kriegsgefangene übermittelten Informationen über die militärische Lage in ihre Heimat. Bekannt ist beispielsweise die versteckte Nachricht in einem Brief des US-Soldaten Frank G. Jonelis. Dieser befand sich 1943 in japanischer Kriegsgefangenschaft. Von dort schrieb er einen Brief an einen gewissen Mr. F. B. Iers, dessen Adresse er mit Raum 1619 in der Main Street 100 bei der Federal Building Company in Los Angeles angab. Der Wortlaut des Briefs lautete:
Dear Iers:
After surrender, health improved
Fifty percent. Better food, etc.
Americans lost confidence
In Philippines. Am comfortable
In Nippon. Mother: invest
30%, salary, in business. Love
Frank G. Jonelis
Die Zensoren ließen diesen Brief passieren, und so landete dieser schließlich beim zuständigen Postboten in Los Angeles. Dieser stellte jedoch fest, dass es in der Main Street 100 weder einen Raum 1619 noch eine Federal Building Company gab. Dafür residierte in Zimmer 619 das FBI. Der angebliche Name des Empfängers (F. B. Iers) machte zusätzlich deutlich, wer diesen Brief erhalten sollte.
Beim FBI kam man schnell dahinter, was die Botschaft bedeutete. Liest man jeweils nur die ersten beiden Wörter einer Zeile, dann ergibt sich: „After surrender fifty percent Americans lost in Philippines, in Nippon 30%.“ (Nach Kapitulation 50 Prozent amerikanische Verluste auf den Philippinen, in Japan 30 Prozent).
Weitere Geschichten dieser Art finden sich hier, hier und hier.
Offene Fragen
Zum Schluss möchte ich noch meine Leser um Mithilfe bitten:
- In einer Präsentation von Perry Fowler ist auf Folie 17 folgender Satz zu lesen: “… captured WWII U-boat officers spelled out messages by adding a little space after significant letters”. Weiß jemand Näheres zu dieser Geschichte?
- Vor Jahren habe ich mir eine Webseite notiert, die einen Kriegsgefangenen-Code beschreibt, der auf Briefmarken basiert. Leider ist die Seite nicht mehr abrufbar. Weiß jemand etwas darüber?
- Kennt jemand weitere Geschichten dieser Art?
Zum Weiterlesen: Der verschlüsselte Mordauftrag aus dem Gefängnis
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