Bereits im 19. Jahrhundert gab es Codeknacker, die Verschlüsselungen aus rein historischem Interesse lösten. Heute kann ich ein Beispiel vorstellen, das lange in Vergessenheit geraten war.


“Warum macht man das eigentlich?” Diese Frage wurde mir schon öfters gestellt, wenn ich davon erzähle, wie unermüdliche Codeknacker Verschlüsselungen aus vergangenen Jahrhunderten lösen und wie ich auf meinem Blog Klausis Krypto Kolumne darüber schreibe.

 

Eine Erfindung der Romantik

Natürlich gibt es viele Gründe, warum man Verschlüsselungen löst – sei es, um jemanden auszuspionieren, oder um einen versteckten Schatz zu finden. Manchmal ist jedoch ein ganz anderes Motiv die Antriebskraft: das Interesse an den historischen Hintergründen. Verschlüsselte Texte geben nun einmal einen unverstellten Einblick in die Lebenswelt unserer Vorfahren, und oft haben diese gerade die wichtigen Informationen verschlüsselt.

Die Idee, Verschlüsselungen aus rein historischem Interesse zu knacken, kam im 19. Jahrhundert (also im Zeitalter der Romantik) auf. Dies ist kein Zufall, denn in der Romantik erlebte die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte einen großen Aufschwung. Allerorten entstanden Museen. Alte Gebäude wurden nicht mehr bedenkenlos abgerissen, sondern als Kulturgut geschätzt. Alte Gegenstände galten auf einmal als Antiquitäten und wurden zu Liebhaber-Objekten. Die Brüder Grimm sammelten alte Märchen und Sagen, König Ludwig II. baute Schloss Neuschwanstein im mittelalterlichen Stil (oder was man damals dafür hielt), und der Kölner Dom wurde – nach Jahrhunderten als Bauruine – vollendet.

Dieser Geist beeinflusste auch die Kryptologie. Der französische Kryptologe Étienne Bazeries löste 200 Jahre alte verschlüsselte Briefe, in denen er Informationen zum Mann mit der Eisernen Maske vermutete. Über weitere historische Codeknacker aus dieser Zeit berichte ich in meinem Buch Codeknacker gegen Codemacher.

 

Ein Kryptogramm aus England

Frau Dr. Ruth Wüst von der Aargauer Kantonsbibliothek hat mir nun freundlicherweise Informationen zu einem weiteren Beispiel für historisch motiviertes Codeknacken aus der Romantik-Epoche zukommen lassen. In der gängigen Literatur zur Krypto-Geschichte wird dieses nirgends erwähnt.

Es handelt sich um einen Artikel mit dem Titel The Translation of an  Ancient Formula of Magical Exorcism, Written in Cipher, der 1870 in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift The Reliquary veröffentlicht wurde. Autor ist ein George Dodds. Gegenstand des Artikels ist ein Zettel, der 40 Jahre zuvor hinter einer Platte auf einem Grabstein in Lancashire gefunden wurde. Er sieht wie folgt aus:

Reliquary-Cryptogram

Offensichtlich ist der Text in einer Gehimschrift geschrieben. Dodds konnte diese wohl lösen. Leider ist kein Lösungsweg angegeben. Vielleicht handelt es sich auch um eine nichtgeheime Schrift, die ich nicht kenne.

Oben links steht (mit einigen Schreibfehlern) ein magisches Quadrat, das sich wie folgt entschlüsselt:

Reliquary-Cryptogram-Square

Die Summe aller Spalten, Zeilen und Diagonalen beträgt jeweils 111. Auf der rechten Seite steht AGLA EN TETRAGRAMMATON. Das bedeutet “AGLA in einem Vier-Buchstaben-Wort”. AGLA ist eine jüdische Abkürzung, die etwa mit “Oh Herr, du bist für immer mächtig” übersetzt werden kann.

Der Klartext des Kryptogramms unter dem Quadrat lautet:

Sol

Wir haben es hier also mit einem lateinischen Gebet oder einer spirituellen Formel zu tun. Auf eine Übersetzung muss ich leider verzichten. Der Zettel stammt vermutlich aus dem 17. Jahrhundert. Viele Gelehrte maßen der Verschlüsselungstechnik damals noch eine magische oder religiöse Wirkung zu.

Zum Glück sind heutige Fachartikel zur historischen Verschlüsselungstechnik meist etwas besser geschrieben. Ein paar Angaben zur Methode der Dechiffrierung und eine Ersetzungstabelle wären sicherlich sinnvoll gewesen. Aber egal, ich finde es allemal interessant, dass man sich bereits vor 150 Jahren mit solchen Themen beschäftigte. George Dodds würde heute bestimmt Klausis Krypto Kolumne lesen.

Zum Weiterlesen: Wer löst diese Verschlüsselung aus dem Jahr 1783?

Kommentare (4)

  1. #1 Thomas
    3. Juli 2016

    Der Anfang scheint unverständlich zu sein. Dann folgt ein Ausschnitt aus dem 17. Kapitel des Matthäus-Evangeliums und dann das Vaterunser. Näheres zum Auffinden, s. https://books.google.de/books?id=SOcE_kzT4OIC&pg=PT56#v=onepage&q&f=false

  2. #2 Thomas
    3. Juli 2016

    Genauer gesagt ist der zweite Teil die Exorzismusformel mit einer Bezugnahme auf Matth. Kap. 17 Vers 20

  3. #3 Helmut Winkler
    Würzburg
    4. Juli 2016

    Das scheint etwas mit Geomantik und der damit verbundenen Wahrsagerei zu tun zu haben, vgl. https://jamesgray2.me/2016/02/10/fasciculus-geomanticus-chance-fate/ und vor allem den Post von simonjkyte dazu.

  4. #4 michanya
    17. November 2016

    … magisches Quadrat – SUMME 111 – heute gibt es auch Element 111 – genannt ELEMENT UNO UNO UNO – ist es der ALLEINE – oder AGLA – der ALLMÄCHTIGE HERR wie die jüdische Kabbalah definiert.

    Es gibt auch die Ortschaft – AGLAsterhausen – in Baden-Württemberg – hier ist das Wort definiert als – ELSTER.
    Schwarz-Weis ist die Symbolik der ELSTER – als gedeudetes Yin&Yang der Welt. Markant ist das die Elster gerne GOLDSACHEN in ihr heimliches Nest befördert.
    Schwarz-Weiss – wird auch die CHYMISCHEN HOCHZEIT – von Jesus+MariaMagdala dargestellt – als Weltprinzip z.b. derRosenkreuzer.

    Black+White be UNITE – UNOSUM – biotec4u