Im Jahr 1690 schickte ein französischer Minister fünf verschlüsselte Briefe an einen Offizier. Ein damaliger Codeknacker schaffte es nicht, diese Schreiben zu dechiffrieren. Über drei Jahrhunderte später hatte Cipherbrain-Leser Norbert Biermann mehr Glück.
English version (translated with DeepL)
Viele Cipherbrain-Leser kennen sicherlich die Webseite “Cryptiana” von Satoshi Tomokiyo. Auf dieser geht es um historische Verschlüsselungstechniken. Auch ein Blog gehört zu dieser Seite. Cryptiana ist eine wahre Fundgrube für Kryptogramme und Verschlüsselungstechniken die vor Aufkommen von Verschlüsselungsmaschinen entstanden sind.
Nebenbei war Satoshi, der in Tokio lebt, einer der wichtigsten Korrekturleser meines Buchs “Codebreaking: A Practical Guide“, das ich mit Elonka Dunin geschrieben habe. Dankenswerterweise hat er sogar eine Buchkritik auf seinem Blog verfasst.
Die Briefe von Louvois an Lauzun
Ein Kapitel auf Satoshis Seite betrachtet französische Chiffren aus der Regierungszeit von Ludwig XIV. Darin geht es unter anderem um einen Brief, den der französische Minister François Michel Le Tellier de Louvois (1641-1691) …
… am 27. Mai 1690 an den Offizier Antonin Nompar de Caumont, Fürst von Lauzun (1633-1723) …
… geschickt hat. Letzterer hielt sich zu dieser Zeit in Irland auf. Hier ist ein Ausschnitt aus dem Brief:
Monsieur,
J’accuserais par cette lettre la reception de celles que vous m’avez fait l’honneur de m’escrire ….
….
…. vous recommandoit de continuer a en(voyer) sa (Majeste) tousjours de mesme 176 134 89 65 132 34 3 200 84 379 360 281 140 26 366 262 102 192 79 76 291 15 37 297 110 243 45 401 422 317 121 69 205 26 23 221 143 303 359 88 156 79 4 41 275 403 409 237 97 316 406 216 383 180 65 394 40 421 7 216 310 381 375 244 433 222 39 419 173 132 146 340 65 385 196. ….
Cipherbrain-Leser Norbert Biermann hat in der Britisch Library vier weitere Briefe von Louvois and Lauzun ausfindig gemacht, die im gleichen Jahr gesendet wurden. Dies ergibt eine Serie von fünf Briefen, die Lauvois zwischen dem 1. Mai und dem 10. Juni 1690 an Lauzun geschrieben hat.
Leider kann ich aus urheberrechtlichen Gründen keinen der Briefe hier im Original abbilden. Die folgende Nachbildung gibt einen Eindruck:
Diese fünf Briefe landeten bei John Wallis, einem der besten Codeknacker der damaligen Zeit. Wallis schaffte es aber anscheinend nicht, sie zu dechiffrieren.
We Norbert Biermann die Briefe dechiffrierte
Wer sich etwas mit historischen Verschlüsselungstechniken auskennt, erkennt, dass die fünf besagten Briefe wahrscheinlich mit einem Nomenklator verschlüsselt wurden.
Ein Nomenklator ist ein Verfahren, das für jeden Buchstaben des Alphabets eine Zahl bereithält. Außerdem gibt es für häufige Wörter jeweils eine Zahl. Wenn für mehrere Tausend Wörter eine Zahl vorgesehen ist, dann spricht man nicht mehr von einem Nomenklator, sondern von einem Codebuch. Statt Zahlen kann man natürlich auch Buchstabengruppen oder Symbole verwenden. Das folgende Bild zeigt ein Beispiel für einen Nomenklator:
In meinem Buch “Codebreaking: A Practical Guide” gibt es ein eigenes Kapitel zum Thema Nomenklatoren und Codebücher. Dort steht auch, wie man eine solche Verschlüsselung lösen kann. Die offensichtlichste Methode: Man findet den Nomenklator oder das Codebuch, das verwendet wurde. Auf diese Weise wurde schon so manches Kryptogramm geknackt, ohne dass es eines großen Analyseaufwands bedurfte.
Cipherbrain-Leser Norbert Biermann ist es nun gelungen, die fünf Briefe von Louvois an Lauzun zu entschlüsseln. Er hat dazu sogar eine Forschungsarbeit veröffentlicht, die online zugänglich ist. Wie man dort nachlesen kann, hat Norbert genau die Methode verwendet, die ich gerade erwähnt habe: Er hat in einem französischen Archiv den verwendeten Nomenklator gefunden. Der folgende Scan zeigt einen Ausschnitt:
Den vollständigen Nomenklator gibt es auf den Seiten 8-10 in Norberts Arbeit.
In Norberts Arbeit wird noch ein weiterer Brief aus der fraglichen Zeit erwähnt. Dieser wurde mit einem anderen Nomenklator verfasst. Der besagte Codeknacker John Wallis konnte ihn dechiffrieren.
Der von Louvois und Lauzun verwendete Nomenklator hatte eine hohe Qualität und war für die damalige Zeit recht sicher. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn die meisten Nomenklatoren, die im Laufe der Jahrhunderte eingesetzt wurden, waren schlecht konstruiert. Weit verbreitet war es beispielsweise, für die Buchstaben zweistellige und für die Wörter dreistellige Zahlen zu verwenden. Außerdem waren in vielen Nomenklatoren die Buchstaben und Zahlen alphabetisch sortiert, was dann zu Ersetzungsregeln wie A=11, B=12, C=13, D=14 usw. führte. Aus diesen und ähnlichen Gründen kann man heute viele Nomenklator-Verschlüsselungen auch ohne Kenntnis des verwendeten Nomenklators lösen.
Die Klartexte
Norbert hat die Briefe vollständig entschlüsselt und die Klartexte in seiner Arbeit aufgeführt. Ich will mich an dieser Stelle auf den ersten Abschnitt des oben angegebenen Briefs vom 26. Mai 1690 beschränken:
À Versailles le 26 may 1690
Monsieur,
Le corps d’Irlandois qui est debarqué s’est trouvé de bien moins bonne qualité que Sa Majesté n’avoit eu sujet de l’esperer, parce que le roy d’Angleterreavoit promis non seulement par la qualité des officiers qui ne peut estre plus mauvaise mais encore par celle des soldats et Sa Majesté, qui juge des sentiments du roy d’Angleterrepar ceux qu’elle a pour luy, voit avec desplaisir que les bons ordres qu’elle ne doute point que Sa Majesté britannique n’ait donné à cet esgard ont esté aussi mal executés que le sont ceux qu’elle donne journellement pour le reste de ses affaires en Irlande et s’il ne restoit point à Sa Majesté une centaine d’officiers et pres de trois-cents soldats des corps qui estoient à son service auparavant que le deffunt roy d’Angleterrene les rappellast il seroit quasi impossible de se servir de ce corps-là.
Ich bin wieder einmal begeistert über die Dechiffrier-Erfolge, die meine Blog-Leser immer wieder feiern können. Ich gratuliere Norbert herzlich zu dieser tollen Leistung! Berichte über weitere Kryptogramme, die Norbert geknackt hat, gibt es hier, hier, hier und hier.
Vielen Dank auch an Satoshi für seine tolle Webseite, die den Anstoß zu dieser Dechiffrierung gegeben hat.
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