Blog-Leser Gerd hat eine ungelöste Botschaft aus dem Zweiten Weltkrieg dechiffriert, die ich vor Kurzem vorgestellt habe. Das Verschlüsselungsverfahren kam schon oft auf diesem Blog zur Sprache. Überraschend ist, wofür es eingesetzt wurde.

English version (translated with DeepL)

Vorletzte Woche habe ich auf Cipherbrain fünf ungelöste Verschlüsselungen (“Cold Cases”) vorgestellt, die ich am gleichen Tag in der Diskussion im ICCH-Forum kurz gezeigt habe. Meine Blog-Leser haben hierbei mal wieder ganze Arbeit geleistet: Noch bevor die Diskussion überhaupt begonnen hatte, waren zwei der fünf Fälle gelöst.

Über eine der Cold-Case-Lösungen – Blog-Leser Rossignol löste das Pigpen-Kryptogramm des Künstlers Guy de Cointet – habe ich bereits berichtet.

Quelle/Source: Otis College

Leider habe ich dabei nicht erwähnt, dass ShadowWolf wichtige Vorarbeit zu dieser Dechiffrierung geleistet hat, was ich hiermit nachholen will. Erwähnen will ich außerdem, dass Armin Krauß bereits zuvor ein anderes Verschlüsselungsverfahren aus dem gleichen Buch von de Cointet gelöst hat, worauf ich in einem eigenen Blog-Artikel noch eingehen will.

Die zweite Cold-Case-Lösung kam sogar noch früher. Blog-Leser Gerd brauchte gerade einmal zweieinhalb Stunden, um die Dechiffrierung der steganografischen Botschaft von Lambros Callimahos bekannt zu geben.

Bevor es ins Detail geht, möchte ich noch erwähnen, dass einige meiner Blog-Leser interessante Artikel und Videos veröffentlicht haben. Von Richard SantaColoma gibt es einen neuen Artikel zum Voynich-Manuskript. Dave Oranchak (“The Quest to Crack the Zodiac 340 Cipher”)und Nils Kopal (“The BB84 Quantum Key Exchange Protocol Explained”) haben Videos auf YouTube zugänglich gemacht.

 

Der Lösungsansatz für das steganografische Rätsel

Zurück zum gelösten Cold Case. Hier ist das Bild, um das es im Folgenden geht:

Quelle/Source: NSA

Der NSA-Kryptologe Lambros Callimahos beschreibt diese Zeichnung in seinem Buch und gibt an, dass eine Nachricht darin versteckt ist. Es soll sich hierbei um eine authentische Postsendung aus dem Zweiten Weltkrieg handeln, die einem Zensor verdächtig erschienen.

Blog-Leser P. Herden vermutete, dass eine Verschlüsselungstechnik verwendet wurde, die ich auf diesem Blog schon zigfach vorgesellt habe: das Anamorphicon. Einen ausführlichen Artikel hierzu gibt es hier.

Wie ein Anamorphicon funktioniert, kann man mit folgender Postkarte zeigen, die mir Tobias Schrödel zur Verfügung gestellt hat:

Postcard-Anamorph

Quelle/Source: Schrödel

Die grafischen Elemente auf der Postkarte sind extrem langgezogene Buchstaben. Wenn man die Karte auf 10 Prozent der Breite staucht (und um 90 Grad dreht), erhält man folgendes:

Postcard-Anamorph-Sol-1

Staucht man die Karte senkrecht, ergibt sich eine weitere Botschaft:

Postcard-Anamorph-Sol-2

 

Die Lösung

P. Herdens Vermutung erwies sich als richtig. Blog-Leser Gerd fand schließlich die Lösung. Gestaucht und um 90 Grad gedreht erkennt man im unteren Teil des Bilds folgendes:

Die Schrift ist zwar nicht besonders deutlich, aber doch lesbar:

GOTT STRAFE ENGLAND

 

Wer verschickte so etwas und warum?

Anamorphica werden normalerweise als Spielerei oder Rätsel verwendet. Das Callimahos-Bild ist das erste Kryptogramm dieser Art, das ich kenne, das einen ernsthaften Hintergrund hat.

Warum jemand so einen Satz im Zweiten Weltkrieg per Post verschickte, entzieht sich meiner Kenntnis. Genauso unklar sind mir das Motiv des Bilds (der Teufel auf einem burgähnlichen Gebäude) und der darunter stehende Text. Leider gibt Callimahos keine Hinweise darauf, wer dieses Bild wann verschickt hat. Da der Klartext auf Deutsch verfasst ist, dürfte sich die Sache wohl kaum in England abgespielt haben. Vielleicht hat ein Leser eine Idee.

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank an Gerd P. Herden für diese Dechiffrierung!


Further reading: Anamorphica: Eine alte und witzige Form des Verschlüsselns

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Kommentare (13)

  1. #1 dku
    13. April 2021

    Dazu der Hintergrund auf dem WK I:
    „Kein Kriegsgegner wurde von der deutschen Propaganda stärker dämonisiert.“

    „Diese Losung fand sich auf vielerlei Propagandamaterial: auf Plakaten, Postkarten aber auch auf Alltagsgegenständen wie der oben abgebildeten Verschlussmarke in Form eines Artilleriegeschosses im Briefverkehr.“
    https://www.dw.com/de/gott-strafe-england/a-17589054
    Nach dem Motto: Warum also nicht codiert auch die schwarzen Kammern des Gegners ärgern?

  2. #2 dku
    13. April 2021

    Mit dem Sprüchlein und der scheinheiligen Frage
    „Und hier ist ein Traum den
    ich gestern Nacht träumte
    Was soll es bedeuten? ….“
    darunter schon etwas makaber.

  3. #3 Klaus Schmeh
    13. April 2021

    @dku:
    Danke für den Hinweis.
    Möglicherweise stammt das Bild also eher aus dem Ersten Weltkrieg.

    >Warum also nicht codiert auch
    >die schwarzen Kammern des Gegners ärgern?
    Aber warum war auch der Klartext auf Deutsch? Wurde dieses Bild mit deutschem Text in England verschickt?

  4. #4 dku
    13. April 2021

    Kleiner Tipp zum schnellen Lösen von zu stauchenden Anamorphiconen (wie bei der Valentinskarte oben)
    Smartphone Bildschirm ganz hell einstellen, dann das Display langsam wegdrehen bis es sehr schmal wird und Augen zusammenkneifen.

  5. #5 schorsch
    13. April 2021

    In Ihrem Blogartikel https://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/2021/03/20/drei-ungeloeste-kryptogramme-die-lambros-callimahos-hinterlassen-hat/ nennen Sie als Quelle für H. Callimahos Buch https://www.governmentattic.org/39docs/NSAmilitaryCryptalyticsPt3_1977.pdf

    Darin findet sich nach Ihren Angaben auf Seite 220 (PDF) das oben dargestellte Steganogramm.

    Wenn ich das Buch von der genannten Quelle herunterlade, besteht die Seite 220 (215 lt. Seitenbeschriftung) aus einem leeren Rahmen – allerdings mit einem – für mich kryptischen – Verweis versehen.

    Eine Kopie des Buches findet sich auch auf archive.org. Auch dort ist die entspr. Seite leer.

    Wie sind Sie denn an das Bild gekommen, Herr Schmeh? Verfügen Sie über andere Quellen? Oder ist das veröffentlichte PDF nachträglich ‘geweißt’ worden?

    Zur Frage, ob das Bild mit deutschem Text aus England verschickt worden sei – warum nicht. Es gab in England im WK I eine Vielzahl deutscher Internierter (wie auch vice versa), die durchaus das Recht hatten, mit ihren Verwandten in den Heimatländern brieflich zu kommunizieren. Und von denen haben etliche einen großen Ehrgeiz entwickelt, der Briefzensur ein – gerne auch nationalistisches – Schnäppchen zu schlagen.

  6. #6 Klaus Schmeh
    13. April 2021

    @schorsch:
    Ich habe noch einmal nachgeschaut. Hier ist das Buch:
    https://www.nsa.gov/Portals/70/documents/news-features/declassified-documents/friedman-documents/publications/FOLDER_245/41748799078803.pdf
    Auf PDF-Seite 220 (218 laut Beschrfitung) findet sich das Bild.

  7. #7 Klaus Schmeh
    13. April 2021

    >Es gab in England im WK I eine Vielzahl deutscher
    >Internierter (wie auch vice versa), die durchaus das
    >Recht hatten, mit ihren Verwandten in den
    >Heimatländern brieflich zu kommunizieren.
    Das wäre eine Erklärung. Bei Callimahos steht aber eindeutig, dass es hier um den Zweiten Weltkrieg geht. Er kann sich natürlich getäuscht haben.

  8. #8 Rob
    Oberland
    14. April 2021

    Das ist ein häufiger Spruch aus der Zeit des ersten Weltkrieges. Natürlich kann ein Veteran das auch in bewusster Anspielung im zweiten Weltkrieg benutzt haben.

  9. #9 schorsch
    14. April 2021

    Hatten Sie die folgende Postkarte schon mal in einem Blogbeitrag gelinkt? https://pictures.abebooks.com/inventory/30775461532.jpg (Gott strafe England / Er strafe es)

    Ich kann mir gut vorstellen, dass auch ein Kriegsgefangener des zweiten Weltkriegs diese Propagandakarte aus dem ersten WK kannte und als Vorbild genommen hat, sich über seine Bewacher lustig zu machen.

  10. #10 Sabine
    14. April 2021

    Ich kann keine Schrift erkennen, noch nicht mal Buchstaben.

  11. #11 Klaus Schmeh
    14. April 2021

    @Schorsch: Danke, diese Postkarte kannte ich noch nicht.

  12. #12 Kerberos
    15. April 2021

    Im ersten
    Moment dachte ich, daß es sich um einen Linolschnitt
    handelt. Aber ein paar Details sprechen dagegen.
    Auffällig ist aber, daß parallele Linien dasselbe Muster
    an hakeligen Strukturen haben. Wurde da ein gezahntes
    Lineal verwendet?
    Was den Inhalt betrifft:
    Gottes Mühlen mahlen langsam :=)

  13. #13 Sabine
    22. April 2021

    Jetzt hab ich es!
    Das weiße sind die Zwischenräume. der Rest der Text.
    Ich brauchte graues Pergamentpapier um das Weiß etwas zu dämpfen und viel Abstand zum Bildschirm. Dann bin ich vom “R” aus (das ist zu erkennen, wenn man weiß, daß es da ist) nach links und rechts gegangen. 🙂
    Ich frage mich aber, wer überhaupt suchen würde, wenn es keinen Hinweis (der Teufel) gegeben hätte.