Was bedeuten die fünf verschlüsselten Inschriften in Pisa und Umgebung? Heute kann ich die wahrscheinliche Antwort präsentieren.

English version (translated with DeepL)

Vorgestern habe ich über drei verschlüsselte Inschriften in Pisa gebloggt, die ich im Rahmen einer Italien-Reise besucht habe.

Wie ich erwähnt habe, gibt es noch zwei weitere Inschriften gleicher Art, die man in Barga und Pistoia findet. Alle drei Städte befinden sich in Italien, etwa auf halber Strecke zwischen Mailand und Rom. Barga und Pistoia sind jeweils etwa 50 Kilometer von Pisa entfernt.

Quelle/Source: Open Street Map

Weitere Informationen gibt es hier und hier.

 

Die Inschrift von Barga

Die erste Inschrift findet sich (gleich doppelt) am Dom von Barga. Sie ist rechts vom Hauptportal sowie rechts vom Nordportal angebracht.

Quelle/Source: Public Domain

Der Dom von Barga wurde im 11. Jahrhundert gebaut.

 

Die Inschrift von Pistoia

Inschrift Nummer 2 befindet sich an der Kirche San Pier Maggiore in Pistoia. Auch sie ist an der Außenwand neben dem Eingang angebracht (ob links oder rechts, ist mir nicht bekannt).

Quelle/Source: Public Domain

Die besagte Kirche in Pistoia wurde bereits um 798 gebaut. 1263 wurde sie restauriert.

 

Die Inschrift von Pisa (Museo di San Matteo)

Die dritte Inschrift stammt von der nicht mehr existierenden Kirche Santi Cosimo e Damiano in Pisa. Dort war sie auf dem rechten Türpfosten zu lesen. Heute steht der Steinblock mit der Inschrift im Museo San Matteo in Pisa.

Quelle/Source: Schmeh

Leider ist mir nicht bekannt, wann die genannte Kirche gebaut wurde.

Thomas Bosbach und Norbert Biermann haben den Text unter dem Kryptogramm untersucht. Er besagt wohl, dass zwei Handwerker namens Giovanni und Vernaccio das Portal rechtzeitig fertig gestellt haben und für den Stein mit der Inschrift verantwortlich sind. Vermutlich hat dieser Text nichts mit dem Kryptogramm zu tun.

 

Die Inschrift von Pisa (Chiesa di San Frediano)

Inschrift Nummer 4 befindet sich an der Außenwand der Kirche San Frediano, ebenfalls in Pisa.

Quelle/Source: Schmeh

Die Kirche San Frediano wurde 1061 erstmals erwähnt, die Fassade im frühen 12. Jahrhundert gebaut.

 

Die Inschrift von Pisa (Baptisterium)

Das mit Abstand bekannteste Gebäude, das eine solche Inschrift trägt, ist das Baptisterium unweit des Schiefen Turms von Pisa. Man findet die Symbole links von einem Eingang.

Quelle/Source: Schmeh

Das Baptisterium wurde von 1152-1394 gebaut.

 

Gemeinsamkeiten

Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen den Inschriften:

  • Alle genannten Inschriften bestehen aus einer dreifach gegebenen Symbolfolge. Man kann sie mit ABCBDB ABCBDB ABCBDB transkribieren. Die Kreuze sind vermutlich Trennzeichen.
  • Alle Inschriften befinden oder befanden sich an der Außenwand einer Kirche, direkt neben einem Eingang.
  • Die besagten Kirchen wurden jeweils in der romanischen Epoche gebaut. Geht man davon aus, dass die Inschriften in etwa zur gleichen Zeit entstanden sind und dass sie während der Bauphase der jeweiligen Kirche angefertigt wurden, kommt man etwa auf das Jahr 1200 als Entstehungszeit.
  • Alle Inschriften wirken wenig repräsentativ und gehörten vermutlich nicht zu den offiziellen dekorativen Elementen der jeweiligen Kirche.

 

Die Lösung

Cipherbrain-Leser Thomas Bosbach hat mich dankenswerterweise auf eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2015 hingewiesen, in der die (hoffentlich richtige) Lösung vorgestellt wird. Die Autorin heißt Daria Pasini. Inzwischen habe ich außerdem eine E-Mail von Erica Bagagli, einer Mitarbeiterin des Museums San Matteo, erhalten, in der die gleiche Erklärung geliefert wird.

Demnach steht die als ABCBDB transkribierte Symbolfolge für MIHILI. Dies ist eine damals gebräuchliche Schreibweise für den Namen „Michael“. Die Inschrift bezieht sich auf den Erzengel Michael, der in der katholischen Kirche als Beschützer vor dem Bösen gilt. Dadurch, dass sein Name dreifach am Eingang einer Kirche steht, sollen böse Mächte aus dem Gotteshaus ferngehalten werden.

Ist das Rätsel um die Inschriften damit gelöst? Vermutlich schon, denn die beschriebene Lösung klingt schlüssig. Ob sie tatrsächlich korrekt ist, kann ich mit meinen beschränkten kunstgeschichtlichen Kenntnissen leider nicht überprüfen. Klar ist aber, dass man der Verschlüsselung bis in die Neuzeit hinein oft auch eine magische Wirkung zusprach. Das würde hier passen.

Für den Fall, dass doch Zweifel aufkommen, möchte ich noch ein paar Gedanken vorstellen, die mir Paolo Bonavoglia, mit dem ich in Pisa unterwegs war, zuschickte (es handelt sich dabei wohlgemerkt nur um spontane Gedanken).

Quelle/Source: Schmeh

Wie Paolo recherchierte, stand das nach unten zeigende Dreieck für die menschliche Natur Gottes und damit für Jesus. Das erste Symbol, das wohl ein M darstellen soll, könnte für “Magister” (“Lehrer” stehen. Das “h” könnte “homo” (“Mensch”) und das umgedrehte “V” könnte “göttlich” symbolisieren. Die Interpretation der sechs Buchstaben wäre daher “Lehrer Jesus, Mensch Jesus, Gott Jesus”.

Unabhängig von der Bedeutung sind noch ein paar Fragen offen: Wann wurden die Inschriften geschaffen? Wer schuf sie? Gibt es weitere dieser Art? Hinweise nehme ich gerne entgegen.


Further reading: Selbstgedrehtes Video über die verschlüsselten Altarinschriften von Moustier

Linkedin: https://www.linkedin.com/groups/13501820
Facebook: https://www.facebook.com/groups/763282653806483/

Subscribe to Blog via Email

Enter your email address to subscribe to this blog and receive notifications of new posts by email.

Kommentare (4)

  1. #1 Norbert
    11. November 2021

    Nicht MIHIAI, sondern MIHILI.

    Eine in Italien “gebräuchliche Schreibweise” für den Erzengel Michael war das im 12. Jahrhundert bestimmt nicht. Pasini führt aus, dass es eine langobardische Form sei und dass man in Dokumenten von der zweiten Hälfte des 7. bis zur ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts die Entwicklung des Namens von Michael über Michahel und andere Formen bis hin zu Mihil/Mihili im langobardischen Sprachgebrauch nachvollziehen könne. Michael war zudem sozusagen der Nationalheilige der Langobarden.

    Die langobardische Sprache starb aber um ca. 1000 aus, so dass sich die Frage stellt, wie diese Anrufungsformel bis ins 12. Jahrhundert überleben konnte, wenn die Zuordnung richtig ist.

    Ich denke aber, dass es gerade solche magischen Rituale sind, in denen eine alte Sprache eingekapselt werden kann. Ein Zauberspruch wirkt ja umso eindrucksvoller, je weniger man ihn versteht. Und der Stein im Museo Nazionale di San Matteo legt nahe, dass es Handwerker waren, die diese Tradition über die Jahrhunderte weitergetragen haben.

  2. #2 MarcoP
    Italy
    11. November 2021

    Thank you, Klaus! I was not aware that this mystery had been solved.

    As Pasini points out, the interpretation of the inscription as a triple invocation to the archangel Michael was proposed by Margherita Guarducci in 1959 (“La misteriosa iscrizione medievale di Pisa, Barga e Lucca”).
    http://www.duepassinelmistero.com/1959.pdf

    Guarducci did not connect the inscription with the Longobard “Mihili”, but simply with the Greek abbreviation MHΛ. Personally, I find the interpretation as “Michael” convincing, but the Longobard connection seems rather far-fetched.

  3. #3 Klaus Schmeh
    11. November 2021

    >Nicht MIHIAI, sondern MIHILI.
    Danke, habe ich korrigiert.

  4. #4 Klaus Schmeh
    12. November 2021

    Bethsheba Ashe via Facebook:
    Hmmm. I’m not convinced. I’ll work with it a little.